Moosburg:Von der Geburt bis zum Tod ist alles dabei

Moosburg: Rainer Irlbauer (Zweiter von rechts) am Münchner Flughafen nach seiner Ankunft aus Haiti, wo er mit der Hilfsorganisation Navis im Jahr 2010 im Einstaz war.

Rainer Irlbauer (Zweiter von rechts) am Münchner Flughafen nach seiner Ankunft aus Haiti, wo er mit der Hilfsorganisation Navis im Jahr 2010 im Einstaz war.

(Foto: Marco Einfeldt)

Seit 20 Jahren ist Rainer Irlbauer beim BRK organisatorischer Leiter der Abteilung Rettungsdienst für den Katastrophenschutz und hat dort viel erlebt, auch bei Einsätzen für Navis im Erdebengebiet in Haiti

Interview Von Marlene Krusemark, Moosburg

Mit elf Jahren kam Rainer Irlbauer zum Jugendrotkreuz. Nach seiner Lehre zum KfZ-Mechaniker absolvierte er den Zivildienst beim BRK und arbeitete anschließend zwei Jahre in München bei BMW. Von 1991 bis April 2017 war Irlbauer hauptamtlich fürs Rote Kreuz tätigt, seit zwanzig Jahren ist er außerdem organisatorischer Leiter Rettungsdienst für den Katastrophenschutz und war mit der Hilfsorganisation Navis auf Haiti. Ein paar Tage nach dem Utopia-Island-Festival, das er seit Tag eins als organisatorischer Leiter mitbetreut, spricht der 48-jährige Moosburger mit der SZ über die Stationen seines Werdegangs und die Herausforderungen seines Berufs.

SZ: Herr Irlbauer, wie kamen Sie damals als elfjähriger Junge zum Roten Kreuz?

Rainer Irlbauer: Damals hatte man als Jugendlicher nicht viele Optionen, man konnte entweder zum Fußballverein, zur Feuerwehr, zum Kolpingsverein oder eben zum Roten Kreuz gehen. Das Jugendrotkreuz Moosburg war zuvor von Sepp Kronbauer gegründet worden, der war der ganz große Rotkreuzler und absoluter Vollblutsanitäter. Der hat mich damals inspiriert, den Beruf später auch hauptamtlich zu machen.

Was ist für Sie persönlich das Besondere an der Arbeit im Rettungsdienst?

Mir gefällt an dem Job vor allem die Einsatzbreite. Es ist wirklich alles dabei, vom grippalen Infekt bis zur Reanimation, von der Geburt bis zum Tod. In meiner Zeit beim BRK habe ich elf Kinder zur Welt gebracht - das sind die schönsten Momente, wenn man dabei ist, wie ein neues Leben entsteht, den ersten Schrei hört. Es kommt aber auch oft vor, dass wir von jemandem angerufen werden, der einen Männerschnupfen hat und denkt, es geht zu Ende. Viele rufen lieber den Notdienst, bevor sie zu lange im Krankenhaus warten müssen oder auch nur, um noch rechtzeitig vor Montag eine Krankschreibung zu bekommen. Dafür gibt es dann auch immer diejenigen, die zu spät anrufen. Alte Leute beispielsweise, die trotz Schlaganfalls niemanden stören wollen und sich erst am nächsten Tag melden.

Wie kamen Sie zum Katastrophenschutz und was sind Ihre Aufgaben als organisatorischer Leiter Rettungsdienst?

Ich habe eine Ausbildung zum organisatorischen Leiter an der staatlichen Feuerwehrschule Geretsried absolviert und wurde dann von Landrat Manfred Pointner für den Kreis Freising bestellt. Der organisatorische Leiter im Katastrophenschutz ist für den Bereich Rettungsdienst und Sanitätsdienst zuständig. Eine Faustregel ist, dass der organisatorische Leiter dann zum Einsatz kommt, wenn es mehr als zehn Verletzte gibt oder vom Landrat eine Katastrophe festgestellt wurde. Beim Hochwasser 2013 bereitete ich die Evakuierung vor, richtete in Moosburg Notunterkünfte ein für den Fall, dass einer der Dämme bricht und organisierte geländegängige Bundeswehrrettungswagen. Beim Utopia-Island-Festival bin ich auch immer mit dabei, da kann es schließlich schnell mal zu einer Katastrophe wie einer Massenpanik kommen.

Was ist Ihre Rolle auf dem Utopia-Island-Festival?

Ich bin seit dem ersten Tag des Festivals involviert und habe auch das Sicherheitskonzept mitentwickelt - wie viele Einsatzkräfte benötigt werden, wie die Fluchtwege aussehen müssen. Ich bin verantwortlich für das gesamte Rettungspersonal und kann auch beschließen, dass bei Überfüllung ein Zelt geschlossen wird. Ich übernachte deshalb auch während des Festivals immer im Hotel gegenüber, damit ich zur Not sofort vor Ort sein kann. Die Kommunikation mit den Veranstaltern funktioniert immer sehr gut, nur dieses Jahr gab es Probleme mit dem Personal des Sicherheitsdienstes. Das wird aber in der Nachbesprechung aufgearbeitet, die bald stattfindet.

Was sind die Anforderungen an den Rettungsdienst beim Utopia-Island-Festival?

Die Besonderheit bei diesen Einsätzen ist sicher die Weitläufigkeit des Geländes. Mit einer Trage zügig vom einen zum anderen Ort zu kommen, kann schnell zur Herausforderung werden - wie dieses Jahr, wo alles verschlammt war. Man sagt, man schafft mit einer Trage pro Minute 25 Meter. Daher transportieren wir die Patienten von der Mainstage mit der Wasserwacht über den See. Allgemein muss man sehr vorausschauend sein, auch was die Wetterlage betrifft. Bei Unwetter können Bauzäune plötzlich wie Drachen fliegen. Ich bereite das Festival immer vorher monatelang in meiner Freizeit vor, lasse mir die Pläne schicken und halte mich auf dem Laufenden, was die Gesetzgebungen angeht.

Wird Ihnen Ihre Arbeit gedankt?

Ja, ich mache den Einsatz bei Utopia immer, weil gute Stimmung herrscht und man als Sanitäter sehr willkommen ist. Nächstes Jahr muss ich eine Rezertifizierung machen, um organisatorischer Leiter zu bleiben - das mache ich Utopia zuliebe. Die Leute bedanken sich, selbst wenn es keinen Einsatz gab - einfach nur dafür, dass man da ist. Sonst heißt es eher: Wo bleibt's ihr so lange? Das ist eine Einstellung, die in letzter Zeit leider stark zugenommen hat. Aber es gibt auch immer diejenigen, die einen Jahre später auf der Straße ansprechen und sich mit den Worten bedanken: "Wenn es Sie nicht gäbe, wäre ich nicht mehr hier." Das gibt einem natürlich einen ordentlichen Motivationsschub.

Sie waren auch in der Moosburger Hilfsorganisation Navis aktiv. Was haben Sie von diesen Einsätzen mitgenommen?

Ich war sieben Jahre lang Leiter der medizinischen Abteilung von Navis. 2010 war ich mit der Organisation auf Haiti, das gerade von einem Erdbeben zerstört worden war. Unsere Hilfe war dort sehr willkommen, die Wertschätzung offensichtlich: Menschen, die mit ihren Kindern zur Untersuchung kamen, zogen ihnen weiße Sonntagskleider an, obwohl die Insel komplett zerstört war. Einfach nur aus Respekt vor dem Rettungsdienst.

Verändert so ein Einsatz die Sichtweise auf das zu Hause in Bayern?

Meine Denkweise hat sich durch diese Einsätze in die Richtung verändert, dass man auch mit wenig glücklich sein kann und nicht alles so selbstverständlich ist wie hier, wo der Kühlschrank immer voll ist. Ich weiß, dass es nur eine Katastrophe geben muss - und alles könnte sich drehen. Da wären die Leute hier mit ihrer Tiefkühlpizza, ihrem Wohlstand und dem - Gott sei Dank - langen Frieden heillos überfordert. Wenn ich einen Tipp geben könnte: Jeder sollte regelmäßig den Erste-Hilfe-Kurs auffrischen. Die meisten Unfälle passieren noch immer im häuslichen Bereich.

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