Moosburg:"Rituale sind nichts Krankes"

Die Moosburgerin Andrea Huber begleitet Menschen bei Lebensübergängen. Die dabei ausgeübten Zeremonien sollen dabei helfen, Gefühle tiefer zu erleben, Schwieriges zu meistern und Neues anzunehmen

Interview von Katharina Aurich, Moosburg

Die Nachfrage steigt, Lebensübergänge auf freiere Form zu begehen, als das die Kirchen anbieten - sei es nun eine Hochzeit oder eine Trauerfeier. Die Moosburgerin Andrea Huber arbeitet freiberuflich als Gestalterin von Ritualen und Zeremonien. Vor dem Osterfest sprach die Freisinger SZ mit Huber über die Kraft von Ritualen, die Bedeutung von Gesprächen vor einer Trauerfeier und ihre Art, Hochzeiten zu organisieren.

SZ: Warum brauchen wir andere oder neue Rituale?

Andrea Huber: Ich glaube nicht, dass wir unbedingt neue Rituale brauchen. Unsere Kultur - wie jede andere - kennt die Kraft von Ritualen. Nur haben wir heute vergessen, wie hilfreich, oft sogar heilsam es ist, gerade kritische Lebensübergänge mit einem Ritual zu würdigen. Das muss nichts Großes sein, obwohl gerade die intensive Vorbereitung, die Wahl eines besonderen Ortes, besonderer Kleidung und die bewusste Entscheidung für bestimmte Gesten das Besondere ausmachen. Jeder kann für sich Rituale durchführen: Den Auszug eines Kindes aus der elterlichen Wohnung bewusst mit einem kleinen Fest feiern. Oder eine Fehlgeburt verabschieden, indem die Eltern das Kind symbolisch begraben, vielleicht sogar im Kreis der Familie oder enger Freunde. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, Menschen dazu anzuregen, eigene Rituale zu entwickeln.

Wie machen Sie das?

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Rituale und Zeremonien zu gestalten, als Ergänzung oder Alternative zu dem, was die Kirchen anbieten. Viele Lebensübergänge werden gar nicht gefeiert oder gewürdigt, zum Beispiel krisenhafte Ereignisse wie eine Trennung, der Übergang in den Ruhestand oder um ein abgetriebenes Kind zu verabschieden. Diese Ereignisse sind aber ebenso Teile unseres Lebens. Ein Ritual kann Bewusstsein schaffen und ermöglichen, Trauer, Schmerz und natürlich auch Freude wirklich zu fühlen. Es bietet Raum, Emotionen zuzulassen und hilft damit der Seele, mit einer schwierigen Situation klar zu kommen und Neues anzunehmen.

Moosburg: Wenn das Wetter mitspielt, können sich Brautleute im Freien in einem Kreis von Blüten das Ja-Wort geben.

Wenn das Wetter mitspielt, können sich Brautleute im Freien in einem Kreis von Blüten das Ja-Wort geben.

(Foto: Privat)

Das klingt nach therapeutischer Arbeit.

Ich bin keine Therapeutin. Und da gibt es auch nichts zu therapieren. Ein Ritual ist ja nichts Krankes. Ich begleite Menschen während eines für sie bedeutsamen Lebensübergangs. Aber Rituale wirken stärkend, impulsgebend. Durch das bewusste Erleben des Übergangs wird es leichter, das, was ist, und das, was sein wird, anzunehmen. Unsere Wurzeln und unsere Traditionen zeigen uns, wie es geht. Je älter und authentischer eine Kultur ist, desto lebendiger sind ihre Rituale. Hier können wir gerade von Stammeskulturen lernen, in denen es auch heute noch eine Fülle an Zeremonien und Festen für den Lebensweg eines Menschen gibt.

Wie gestalten Sie eine Trauerfeier und das Bestattungsritual?

Trauerfeiern lehnen sich häufig an das an, was die Menschen von kirchlichen Zeremonien kennen. Das Vertraute gibt gerade in dieser Situation Halt. Eine freie Trauerfeier ist jedoch individuell, offen und würdevoll - aber nicht unbedingt pathetisch. Vorher kläre ich mit den Hinterbliebenen, welche Symbole, Texte und Musik gewünscht sind, ob ein Gebet oder ein Segen gesprochen werden soll. In meinen Reden dürfen die Charakterzüge des Verstorbenen aufscheinen, das hilft. Ehrlichkeit ist wichtig. Während meiner Vorgespräche für eine Trauerfeier bekomme ich oft eine ganze Lebensgeschichte erzählt. Das Vertrauen, das mir da entgegengebracht wird, empfinde ich als sehr kostbar. Manchmal bespreche ich mit den Menschen auch ihre eigene Trauerfeier. Das sind oft sehr berührende Momente, wenn wir miteinander die Biografie, die Höhen und Tiefen des Lebens, betrachten. Und der Mensch, der sich langsam daraus verabschiedet, setzt selbst seine Schwerpunkte und Akzente für seine letzte große Feier.

Welche Rolle haben Sie während einer Trauerfeier und wie geht es Ihnen dabei?

Ich wähle die Worte mit großer Sorgfalt. Das Gesprochene wirkt, aber meine Rolle lässt sich nicht auf die einer Rednerin reduzieren. Ich glaube nicht einmal, dass ich als Person so wichtig bin. Immer wieder höre ich, dass Menschen die Liebe spüren bei dem, was ich tue. Ich sehe mich als eine Art Kanal, durch den die Liebe erfahrbar wird. So sind meine Trauerfeiern nicht nur traurig: sie spiegeln das Leben. Gefühle sind Teile von uns, alles hat seine Berechtigung - Tränen, Verletzlichkeit, Lachen.

Moosburg: Anna Huber gestaltet Rituale.

Anna Huber gestaltet Rituale.

(Foto: Marco Einfeldt)

Lachen auch?

Der Tod gehört zum Leben. Das ist für mich keine theoretische Überlegung, sondern eine wirkliche Erfahrung. Vielleicht empfinde ich ihn deshalb nicht als tragisch? Die Emotionen der Hinterbliebenen sind da, sie kommen und gehen, und ich bin liebevoll dabei. Ich begleite, ich höre zu, erfahre, wo die Menschen stehen, woran sie glauben. Das greife ich auf. Ich versuche zu erspüren, was die Menschen weiter trägt, was ihnen hilft, wieder ins Leben zurückzufinden.

Woraus ziehen Sie Kraft für diese Arbeit?

Aus meiner eigenen Spiritualität. Ich spüre, dass ich angebunden bin an etwas Größeres, Göttliches. Das gibt mir Kraft. Und ganz wichtig: Ich achte darauf, mich zu erden. Auf dem Heimweg im Auto höre ich oft ganz laut Musik. Das Kochen, Lachen, selbst die gelegentlichen Auseinandersetzungen mit meinen Kindern helfen mir, mich immer wieder im Leben zu verwurzeln. Und ich lasse es mir gut gehen: Ich gehe viel spazieren, arbeite in meinem kleinen Garten, genieße die Sonne.

Ein erfreulicheres Fest, eine Hochzeit - wie sehen Ihre Zeremonien aus ?

Meine Trauungszeremonien sind fröhlich, innig und auch spirituell. Sie sollen der kraftvolle Impuls für eine Ehe sein. Ich versuche eine Form zu finden, die das Wesen des Brautpaares möglichst genau widerspiegelt. Der Ort, die Texte, die Musik und die rituellen Handlungen lassen sichtbar und hörbar werden, was der Kern einer Beziehung ist. Die Zeremonien finden - wenn das Wetter es erlaubt - im Freien statt: im Wald, auf einer Wiese oder an einem See. Ich arbeite gerne im Kreis, gestalte ein Zentrum aus Blütenblättern, in dem sich die Brautleute das Jawort geben. Die Hochzeitsgäste bilden den Rahmen dafür. Sie sind mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit dabei, wenn sie nicht in Reihen hintereinander sitzen, sondern in einem Kreis.

Das klingt viel formloser als bei einer kirchlichen Trauung.

Tiefe, Innigkeit und Nähe tragen das Ritual. Wenn ich Paare traue, die bereits aus vorherigen Beziehungen Kinder haben, beziehe ich diese in die Zeremonie mit ein. Bei einer Hochzeit verändern sich Familiensysteme. Wenn ein Vater während der Trauung die Hand der Tochter in die des Bräutigams legt, kann diese Geste ein Loslassen symbolisieren. Und das Versprechen, die Selbständigkeit der Kinder anzuerkennen. Für die Brautleute biete ich auch einen Vorbereitungstag an. Wenn zentrale Themen der Beziehung in geschütztem Rahmen angeschaut werden, entsteht eine große Nähe. Die Partner lernen viel über sich selbst und darüber, wie sie ihr Miteinander lebendig gestalten können. Wieder geht es um die Liebe - gibt es etwas Schöneres im Leben?

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