Mitten in Erding:Grüße aus dem Süden

Was hat man von Freunden zu halten, die einem im eisigen Winter über Whatsapp Fotos vom Südseeurlaub schicken? Nicht viel. Sie wollen einen offenbar quälen. Eines Tages frieren aber auch sie wieder

Von Gerhard Wilhelm

Verkehrte Welt. Da lebt man im Süden, und es ist Eiszeit, während in Norddeutschland die Eisdecken bei Plusgraden tagsüber schmelzen. Dabei gilt doch München als die nördlichste Stadt Italiens. Und die Aussichten für die nächsten Tage sind alles andere als erwärmend. Der Dauerfrost geht mittlerweile bei vielen Menschen in Dauerfrust über. Die Folgen der Kälte kann jeder bei sich oder in seinem Umkreis feststellen. Schnupfen, Husten oder noch schlimmer. Oder Autobatterien, die bei der Kälte ihren Betrieb einstellen.

Jetzt könnte man den Spruch "Früher war alles besser" mal wieder anführen. Aber was das Wetter betrifft: Es gab Jahre, da war es kälter. Und das sogar über einen längeren Zeitraum. Und es hatte mehr Schnee. Viel mehr. Richtige Schneeberge gab es. Aber daran erinnern sich nur noch Menschen der Vor-Internet-Generationen. Jüngere können das gerne googeln und feststellen, dass das kein postfaktisches Gerede ist oder alternative Fakten.

Was beweisbar in der Zeit ohne Internet, Whatsapp oder Facebook besser war, das ist die Sitte, aus dem Urlaub Grüße zu schicken. Jeder kann es verstehen, dass man am liebsten die Badehose einpacken würde, um in den warmen Süden zu fliegen. Wer hängt nicht diesem Gedanken nach, wenn er Fotos von Stränden, Meer, Sonne sieht? Aber das alles ist weit weg und der Kollege neben einem sitzt auch noch im Büro.

Wie muss man eine Mail oder sonstige Nachricht von Freunden und Kollegen aus dem Urlaub bewerten? Vielleicht auch noch mit einem Foto, wie sich die Bagage am Strand tummelt und fröhlich in die Kamera winkt, während man selbst bei Minusgraden bibbert? Sadismus? Im besten Fall kann man annehmen, dass sich der Absender gar nichts gedacht hat, einfach sich der Wärme und des Lebens erfreut. Und deshalb war es früher besser: Früher wusste man in neun von zehn Fällen, wenn die Karte im Briefkasten landet, dass die Person mittlerweile wieder im kalten Deutschland angekommen ist und braun gebrannt ebenfalls bibbert - vielleicht sogar noch mehr, da sie gerade an einem Temperaturunterschied von 40 Grad zu knabbern hat. Das ist dann Masochismus. Sie hätte ja nicht wegfahren müssen.

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