Mitten in Erding:Erfolgsmodell Demokratie

Politik ist viel Routine, ab und zu aber sollte man sich in Erinngerung rufen, worum es wirklich geht

Von Mathias Weber

Lokalpolitik, so meint man als langjähriger Beobachter, hat viel mit Routine zu tun. Hier eine Ausschusssitzung, dort ein Antrag; hier eine Pressemitteilung, dort ein Bürgergespräch; hier ein 100ster Geburtstag, dort eine Bierprobe. Und immer schön lächeln. Spannend wird es aber, wenn diese Routine einmal durchbrochen wird, wie bei der letzten Sitzung des Erdinger Stadtrates. Im Sitzungssaal unter dem Dach des Erdinger Rathauses wurde es zwischen der "Neufassung der Benutzungs-und Gebührensatzung der Stadtbücherei Erding" und der "Änderung der Satzung zur Regelung von Fragen des örtlichen Gemeindeverfassungsrechts" ein wenig rührselig; und nicht nur der dem einen oder anderen Stadtrat, sondern auch den Zuhörern blieb da ein Klos im Hals stecken.

Oberbürgermeister Max Gotz hatte Stadtarchivar Markus Hiermer nämlich gebeten, ein paar Worte über die Erdinger Demokratiegeschichte zu verlieren. Denn vor fast genau 70 Jahren, in den ersten Monaten des Jahres 1946, durften die Erdinger zum ersten Mal nach dem Krieg in freier und geheimer Wahl ihre Kreuzchen machen: Bei der ersten Kreistagswahl, bei der ersten Stadtratswahl, bei der ersten Landtagswahl, bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Landesversammlung, und schließlich durften die Erdinger auch mit abstimmen über die bayerische Verfassung; die, wie Hiermer in seiner unnachahmlich Art betonte, ja tatsächlich von den Menschen in Bayern beschlossen wurde - ganz im Gegensatz zum Grundgesetz, über das das Volk nicht abstimmen durfte. Man kann über einige Wahlergebnisse aus dieser Zeit schmunzeln: Etwa, das die CSU schon im ersten Erdinger Kreistag weit mehr Abgeordnete hatte als die SPD - und einen KPD-Abgeordneten gab es sogar. Allerdings schadet es auch nicht, sowohl die Bürger als auch die Stadträte daran zu erinnern, welche große Errungenschaft und welches Geschenk die Demokratie ist - abseits aller Routine des täglichen Geschäfts. Stadtarchivar Hiermer brachte es auf den Punkt, als er die Präambel der bayerischen Verfassung zitierte - ein viel zu selten gehörter Text. Darin heißt es, das bayerische Volk gebe sich nachstehende Verfassung, und zwar angesichts "des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechts dauernd zu sichern."

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