Mitten in der Region:Moderne Klingelstreiche

Heute sind es die Lausbuben von der Post, von UPS und DPD, die mit der ganzen Hand übers Klingelbrett fegen und jeden an die Haustür springen lassen, der grade zufällig daheim ist.

Von Wolfgang Schäl

Es ist ein paar Jahrzehnte her, da waren wir noch nicht ganz so seriös wie heute, da hatten wir noch so kleine anarchische Momente. Zum Beispiel auf dem Heimweg von der Schule. Zu Fuß, denn der öffentliche Nahverkehr war für den täglichen Gebrauch schon vor fünfzig Jahren zu teuer. Gut eine halbe Stunde waren wir nach endlosem, frustrierendem Frontalunterricht nach Hause unterwegs, vorbei an vielen Mietshäusern mit vielen Namensschildern an der Haustür.

Ja, und da keimte dann mitunter plötzlich das Böse auf in uns: Schnell mit der flachen Hand auf alle Klingelknöpfe, und dann nichts wie weg! Fersengeld, bevor man von den erbosten Hausbewohnern ertappt und an den Ohren gezogen wurde - damals noch eine ebenso schmerzhafte wie anerkannte Erziehungsmethode nicht nur für Eltern, sondern auch für Lehrer, Hausmeister und sonstige Respektspersonen.

Das dürfte heute niemand mehr, und es wären ja auch gar nicht mehr Schüler, denen man eine solche Lektion zu erteilen hätte, die drücken auf dem Heimweg längst lieber auf Smartphones als auf Klingelknöpfen herum. Heute sind es die Lausbuben von der Post, von UPS und DPD, die mit der ganzen Hand übers Klingelbrett fegen und jeden an die Haustür springen lassen, der grade zufällig daheim ist. Es sind die Sendboten des Internet-Bestellzeitalters, die in der Vorweihnachtszeit ihre Pakete in die Treppenhäuser werfen und ohne Gruß und ohne Entschuldigung aus dem Flur verschwinden. Nett ist das wirklich nicht, wenngleich man den gehetzten Kurierfahrern zugestehen muss, dass für Höflichkeit keine Zeit mehr ist.

Es sind ja keine pausbackigen, gemütlich lächelnden Weihnachtsmänner, die in diesen Tagen und Wochen mit hoch beladenem Schlitten aus den Wolken herabschweben, sondern mutmaßlich miserabel bezahlte Akkordarbeiter, die im Laufschritt gegen die Internet-Geschenklawine ankämpfen. Wen also sollte man heute ob der täglichen Klingelputzerei, zumindest verbal, an den Ohren ziehen? All jene, die keine Lust haben, ein Geschenk noch persönlich im Laden auszusuchen? Ach, wir wissen es auch nicht und empfehlen stattdessen, einfach nicht mehr an die Tür zu gehen, wenn es wieder läutet und der Paketwagen mit laufendem Motor vor dem Haus steht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: