Mitten in der Region:Hochmut kommt vor der Wiesn

Begegnungen in der S-Bahn: Wer vom Oktoberfest heimfährt, sieht anders aus als die, die auf dem Hinweg sind. Und wie war das bei uns im vergangenen Jahr?

Von Marina Wudy

Wer viel mit der Bahn im Münchner Umland unterwegs ist, braucht zu Oktoberfestzeiten nicht in die Landeshauptstadt zu fahren, um zu wissen, dass Wiesn ist. Denn an den Bahnhöfen und in den Zügen der gesamten Region tummeln sich scharenweise heiter gestimmte, hübsch zurechtgemachte Trachtenträger. Angesichts dieser geballten, volkstümlichen Heiterkeit mag sogar den ein oder anderen mürrischen Berufspendler heimtückisch die Lust darauf befallen, selbst Teil der munteren Volkswanderungen auf die Theresienwiese zu werden, statt den alltäglichen Weg zur Arbeit fortzusetzen. Davon abgesehen allerdings bietet die farbenfrohe Trachtenshow auf den Bahnsteigen enormen Unterhaltungswert, und vielmehr noch die Möglichkeit, die eigene Sherlock Holm'sche Beobachtungsgabe zu schulen. So kann man die Outfits der fröhlichen Trachtler beispielsweise nach rein modischen Gesichtspunkten bewerten. Daneben bietet sich aber auch die Möglichkeit, zu ergründen, ob der jeweilige Lederhosen-Träger nun gerade von der Wiesn kommt oder erst auf dem Weg eben dorthin ist.

Vor allem frühmorgens lassen sich dabei die eindrücklichsten Kontraste beobachten: Gut sitzendes Trachtenoutfit, blumiger Parfumgeruch, freudige Erwartungshaltung - eindeutig auf dem Hinweg. Verrutschte Dirndlschürze, undefinierbare Flecken auf der Trachtenweste, dazu ein wenig betörendes Aroma irgendwo zwischen Bier-, Kotz- und Hendlgeruch und, im schlimmsten Fall, ein leicht irrer Blick, der vom durchlebten Wahnsinn der vergangenen Stunden zeugt - offensichtlich auf dem Heimweg.

So macht man sich insgeheim über diese zum Teil erbärmlichen Kreaturen lustig und fällt ebenso hochmütige wie harte Urteile. Bis sich mit einem Hauch von Schuldbewusstsein und einem unguten Gefühl in der Magengegend die Erinnerung an den eigenen Wiesnbesuch im vergangenen Jahr Bahn bricht, nach dem man selbst gleichermaßen verwahrlost und verwirrt beinahe in die falsche S-Bahn gestiegen wäre (wenn man sich denn überhaupt noch an den Heimweg erinnert). Und einem einfällt, dass ja der alljährige Wiesngang dieses Jahr auch noch ansteht.

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