Mitten in der Region:Der Gott des Satzungswesens

Es gibt Schriftstücke, die nie jemand liest, und falls aus Versehen doch, versteht er sie nicht

Von Kerstin Vogel

Neulich in einer Gaststätte in der Region. An einem Tisch im Nebenzimmer tagt der Vorstand eines für das Weltgeschehen nur bedingt wichtigen Vereins. Es geht eher zäh voran, weil es um die Satzung geht. Satzungen sind Schriftstücke, die nie jemand liest, und falls aus Versehen doch, versteht er sie nicht und fragt sich, ob den Verfasser vielleicht niemand lieb gehabt hat. (Den Verfasser selber kann man das zumeist nicht mehr fragen, weil er schon vor Jahren aus dem Verein ausgetreten ist - mit großer Wahrscheinlichkeit wegen Querelen um die Satzung.)

Auf jeden Fall aber könnten Vereinssatzungen jahrzehntelang in irgendwelchen Ordnern verschimmeln, ohne dass das irgendetwas am Lauf der Welt, in einer Kleinstadt oder auch nur in einem einzigen Nebenzimmer verändern würde, wenn nicht der Gesetzgeber beizeiten auf die Idee käme, Satzungsanpassungen zu verlangen, bevorzugt solche, an die der Erhalt der Gemeinnützigkeit geknüpft ist.

In der Folge muss so ein Verein unabhängig von seiner Rolle im Weltgeschehen die geforderte Satzungsänderung formulieren, an die Mitglieder kommunizieren, die Mitglieder darüber abstimmen lassen, das Ganze nebst Protokoll an ein Notariat geben, von wo aus es dann zum Gericht geht, wo der zuständige Sachbearbeiter dann einen Formfehler findet, die Satzung über den Notar zurück an den Verein befördert, wo das ganze Procedere dann von vorne beginnt. Weil sich so etwas auch mehrfach wiederholen kann, ist besagter Vorstand an diesem Abend in besagtem Nebenzimmer ein wenig, nun ja - einer hat es möglicherweise so formuliert - angepisst.

An dieser Stelle in der Geschichte begibt es sich nun, dass es über den Köpfen des Vorstands plötzlich rumort, man hört Geräusche, es gurgelt und plätschert - und während man sich noch denkt, dass man jetzt hoffentlich nicht wirklich, nun ja, nass gemacht wird, kommt von oben ein Schwall Wasser und dann noch einer und man wird nass gemacht. Wenig später kommt ein junger Mann gerannt, der Eimer bringt und etwas von einer übergelaufenen Dusche murmelt.

So sieht er also aus, der machtvolle Gott des Satzungswesens.

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