Mitten im Amtsgericht:Wir starten nicht, wir warten

Es ist wie bei Samuel Becketts "Warten auf Godot". Kommt er?

Alle sind da: der Angeklagte, die Staatsanwältin, der Amtsrichter, eine Gerichtshilfe, eine Dolmetscherin, die Zeugen, eine Polizistin und ein Sachverständiger. Nur einer fehlt um 8.30 Uhr: der Pflichtverteidiger. Was vor Gericht eher die Ausnahme ist. Öfter glänzt der Angeklagte durch Abwesenheit und muss erst von der Polizei "überredet" werden, doch bitte zu seiner eigenen Verhandlung zu kommen.

Die Suche nach dem vermissten Verteidiger gestaltet sich schwierig. Es fängt damit an, dass er aus Hannover kommt, was den einen oder anderen zur Frage treibt: "Haben wir in Bayern oder sogar in München denn keine?" Das Letzte, was Amtsrichter Björn Schindler von ihm gehört hatte, war eine Anfrage beim Gericht, wo er in München übernachten könne. Ein Anruf in Hannover bringt die Auskunft, dass der Herr Anwalt heute nicht in der Kanzlei sei, sondern auf einem Termin in München. Da schau her. Damit ist wohl Erding gemeint. Ist ja alles Bayern für Hannoveraner.

Auch Anrufe auf dem Mobiltelefon bringt nichts. Nicht mal die Mailbox ist an. Richter Schindler wundert sich zwar, dass der Anwalt nicht anruft, sollte er womöglich im Stau stehen und später kommen. Doch er bleibt guter Hoffnung und vertagt erst mal bis 9 Uhr. Der Saal leert sich, die einen gehen frische Luft schöpfen, die anderen arbeiten oder holen sich einen Kaffee. Nur die Staatsanwältin, die schon gegen 8 Uhr da war, verspricht die Stellung zu halten - vielleicht kommt er ja bald, der Herr Pflichtverteidiger.

Doch es ist auch um 9 Uhr wie bei Samuel Becketts "Warten auf Godot", der Pflichtverteidiger kommt nicht. Amtsrichter Schindler stellt die Anwesenheit der Personen fest, die Abwesenheit des Verteidigers und schließt die Verhandlung. Auf ein nächstes Mal. Wann? Unbekannt. So wie der Verbleib des Pflichtverteidigers. Auf einen Haftbefehl samt Fahndung wie gegen Angeklagte, die schwänzen, wird verzichtet. Und auch die Staatsanwältin muss feststellen: es gibt offenbar in der Strafprozessverordnung keinen Passus, wonach man die Kosten eines gescheiterten Verfahrens dem Schuldigen, also dem Pflichtverteidiger auferlegen könnte. Und so endet nach 40 Minuten fürs Erste der Prozess. Bestimmt hat der eine oder andere gedacht: Hätte ich auch länger schlafen können. Kein Verlass auf Hannoveraner.

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