Militärseelsorge am Erdinger Fliegerhorst:Bis das Licht ausgeht

Militärseelsorge am Erdinger Fliegerhorst: Die Kirche am Fliegerhorst Erding: 1948 von den Amerikanern erbaut.

Die Kirche am Fliegerhorst Erding: 1948 von den Amerikanern erbaut.

(Foto: Bauersachs)

Der Fliegerhorst schließt - das ist unumstößlich. Seine alte amerikanische Kirche muss womöglich einem neuen S-Bahnhof weichen. Für viele ehemalige Soldaten und Mitarbeiter wäre das schrecklich. Aber es gibt Hoffnung.

Von Mathias Weber

Eigentlich ist alles wie man es kennt, eine ökumenische Andacht wie jede andere. Die Pastorin hält an diesem Aschermittwoch eine Predigt, in der es um Ende der Faschingszeit geht, gewohnt zaghaft stimmt das Volk in die Kirchenlieder ein und der Organist trifft nicht jede Orgeltaste zur rechten Zeit.

Und doch, diese Andacht ist keine alltägliche: Wer sie besuchen will, muss erst einmal seinen Ausweis vorzeigen, manche Teilnehmer sind in Uniform und auf den Bänken liegt nicht das Gotteslob, sondern ein kleines blaues Büchlein: Es ist das Katholische Gebets- und Gesangbuch, speziell für Soldaten. Es gibt auch ein evangelisches - das ist grün. Zu Besuch beim Aschermittwochsgottesdienst in der Kirche des Erdinger Fliegerhorstes: Alles ist wie in jeder anderen Kirche, und doch ganz anders. Eine andere Lebenswelt.

Die Bundeswehr ist eine Institution mit eigenen Regeln und vielen Eigenheiten. Eines davon ist die Militärseelsorge. Schon immer gab es eine Kirche innerhalb der Armee, die sich ausschließlich an die Angehörigen der Streitkräfte richtet. Lange Zeit gab es für den Standort Erding mit seiner stolzen, von den Amerikanern errichteten Kirche eine eigene Seelsorge. Doch auch bei der Militärseelsorge wird gespart: Heute muss das katholische und das evangelische Militärpfarramt an der Bundeswehr-Universität in Neubiberg die Seelsorge in Erding übernehmen. Auf evangelischer Seite ist Pfarrerin Barbara Hepp für den Fliegerhorst zuständig. Ständig kann sie nicht zugegen sein, aber an großen Festtagen wie an diesem Aschermittwoch will sie eine Andacht anbieten - und vor allem Seelsorge. D

Die Unsicherheit ist groß

enn die Unsicherheit in Erding und der gesamten Truppe ist so groß wie nie, zu Zeiten von Standortschließungen und Auslandseinsätzen. "Man spürt dass die Nachfrage nach Seelsorge immer weiter wächst", sagt Hepp. Vier militärische Standorte, von Pullach bis Erding, betreut Hepp. Der Fliegerhorst ist nach der Bundeswehr-Uni ihr zweitgrößter, und genau hier, sagt sie, könne man sehen, worunter die Soldaten heute leiden. "Der Standort soll 2019 geschlossen werden. Das ist eine lange Strecke für viele Soldaten, sie können damit nicht umgehen. Viele wissen nicht, wann in den nächsten sechs Jahren ihre Dienstzeit enden wird. Da ist viel Angst um die Zukunft im Spiel, das spürt man." So viel Angst, dass viele Soldaten ihre Nummer wählen und bei Hepp in Neubiberg anrufen. "Dass sie sogar zum Telefonhörer greifen, diese Hemmschwelle überwinden, sagt mir dass der Bedarf nach Seelsorge riesig ist."

Militärseelsorge am Erdinger Fliegerhorst: Kirche Fliegerhorst

Kirche Fliegerhorst

(Foto: Bauersachs)

Und das nicht nur in Erding. Die Militärseelsorger sollen auch ins Ausland zu den Einsätzen der Bundeswehr. "Jeder Militärpfarrer auf evangelischer Seite muss sich dazu bereit erklären, im Zweifelsfall auch ins Ausland zu gehen", sagt Hepp. Sie war schon für den Kosovo oder Afghanistan eingeplant, private Gründe haben sie dann aber von dem Einsatz abgehalten. Trotzdem will sich noch ins Ausland: "Ich habe das Gefühl ich möchte dort sein, wo die Soldaten sind, sagt sie. "Dort wird man als Seelsorger in seiner ureigensten Eigenschaft gebraucht. Wenig Verwaltung, viel Hilfestellung."

Wie wird man Militärseelsorgerin?

Im Lager müsste Hepp dann Flecktarn tragen, mit einem Kreuz auf den Schulterklappen statt eines Dienstabzeichens. Denn obwohl die Militärseelsorger Zivilisten sind, "macht es die Militärs nervös, wenn sie nicht wissen, wer denn da in ihren Lagern rumläuft", sagt Hepp. Die Militärdekanin ist eigentlich eine ganz normale Pfarrerin der evangelisch-lutherischen Kirche Bayerns. Doch wie kommt sie plötzlich zur Militärseelsorge? "Man bewirbt sich", sagt Hepp. Sie hat eine Sonderstelle, die ausgeschrieben wurde und ist von der Landeskirche an das Bundesverteidigungsministerium ausgeliehen. Sie ist für maximal zwölf Jahre Beamtin auf Zeit.

Ihr gefällt diese Aufgabe. Auch wenn Hepp, wie man bei der Andacht am Mittwoch sehen konnte, auch im Militär mit der immer geringer werdenden Bindekraft der Kirchen zurecht kommen muss. Vielleicht 30 Besucher waren gekommen, nur ein Dutzend von ihnen in Uniform. Viele, die noch zu den Gottesdiensten gehen, sind ehemalige Angestellte oder Soldaten des Fliegerhorstes. Zum Beispiel das Ehepaar Scholpp. Paul Scholpp war Hauptmann am Fliegerhorst, zusammen mit seiner Frau Margot war er jahrzehntelang in der evangelischen Gemeinde aktiv. Margot Schopp setzt ein seliges Lächeln auf, als sie von dieser Zeit erzählt, von dem christlichen Mitarbeiterkreis, bei dem sie als einzige Frau teilnehmen durfte, von der Frauenrunde, die sich lange im Casino traf. Und von ihrem fünfzigsten Hochzeitstag, den das Paar in der amerikanischen Kirche feierte.

Die Kirche bedeutet eine eigene Identität

"Die Menschen in Erding verbinden diese Kirche immer noch viel mit ihrer eigenen Identität und Geschichte", sagt Militärdekanin Hepp. Sie bekomme nach wie vor viele Anfragen von Ehemaligen, die die Räume nutzen wollen, für Taufen, Hochzeiten, Jahrestage. Doch die Stimmung in der Gemeinde ist gedrückt. Der letztjährige katholische Weihnachtsgottesdienst war der letzte, es wird keinen weiteren geben.

Familie Schopp hat Angst, dass auch die evangelische Weihnachtsvesper nicht mehr statt findet, sie hätten da was gehört. Dass der Fliegerhorst schließt, ist beschlossene Sache. Die Wehmut, Unsicherheit und Trauerstimmung betrifft aber auch das Gotteshaus: Wenn auf dem Gelände in zehn Jahren tatsächlich ein neuer Stadtteil entstehen soll, womöglich mit einem S-Bahnhof - wird dann noch Platz für die Kirche sein? Jetzt ist sie noch im Besitz des Bundes, aber kann man erwarten, dass ein privater Investor sich darum kümmert?

"Man kann die Fantasie spielen lassen"

Für Hepp wäre es dramatisch, die Kirche abzureißen, sie sagt, die Menschen hier bräuchten Orte der Erinnerung. Das glaubt auch der Erdinger Oberbürgermeister Max Gotz. Er spricht von der großen Geschichte des Ortes. "So ein Ort der Erinnerung sollte bewahrt werden", sagt er. Die Kirche könnte zu einem Zentrum eines neuen Stadtteils werden und als fußläufig erreichbarer Begegnungsraum dienen. "Man kann die Fantasie spielen lassen", sagt er. Was die Eigentumsverhältnisse angeht, kann sich Gotz tatsächlich vorstellen, die Kirche eines Tages zu erwerben.

Bis es aber so weit ist, muss noch der Fliegerhorst und seine Seelsorge abgewickelt werden. Militärdekanin Hepp kann Familie Scholpp beruhigen: Auch kommendes Weihnachten wird es eine Vesper geben. Hepp will sich nicht vorzeitig verabschieden, sondern den Seelsorgebetrieb so gut es geht aufrecht erhalten. "Ich denke es ist unser Job nicht die ersten zu sein, die gehen, sondern die letzten, die die Menschen begleiten. Wir machen hier das Licht aus."

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