Markanter Trend:Süchtig nach Sportwetten

Smartphones erleichtern den Zugang zu Glücksspielen: Zum bundesweiten Aktionstag weist der Erdinger Verein Prop auf Gefahren und Ursachen hin. Besonders Kinder müssten besser geschützt werden

Von Tahir Chaudhry, Erding

"Süchtige können nur Arbeitslose oder psychisch Kranke sein", so lautet ein verbreitetes Vorurteil über Glücksspielsucht. Dass das nicht stimmt, weiß der Psychologe Thomas Pölsterl, der die psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle Prop in Erding leitet, aus langjähriger Erfahrung, Seine Patienten sind vorwiegend männlich, etwa jeder Dritte von ihnen hat einen Migrationshintergrund, sie haben mindestens einen Job, um die Sucht zu finanzieren, sind oft hoch verschuldet und haben Beziehungsprobleme.

"Es ist bekannt, dass die Automatendichte in Erding deutlich höher ist als im Bayern-Durchschnitt", sagt Pölsterl und geht von zwei Hypothesen aus, die das Interesse der Glücksspielindustrie erklären können. Er glaubt, dass es zum einen an dem Passagieraufkommen des Flughafens liegt und zum anderen an den vielen zugezogenen Schichtarbeitern, die aus "ihren sozialen Bezügen fallen und hier nachts in den Spielhallen versuchen, mit ihrer Einsamkeit umzugehen".

Um auf das hohe Suchtpotenzial von Glücksspielen aufmerksam zu machen, fand am Mittwoch der Aktionstag gegen Glücksspielsucht statt. Auch in diesem Jahr nahm die Suchtberatungsstelle Prop an der bundesweiten Aktion teil. In der Innenstadt legte der Verein seine neu entworfene Bodenzeitung aus, um die Aufmerksamkeit der Passanten durch provokante Thesen oder verbreitete Klischees auf das Thema zu lenken. Zudem informierten zwei Mitarbeiterinnen des Prop Interessierte, Betroffene und Angehörige über Behandlungsstrategien. Neu ist, dass Prop nun auch behandeln und nicht nur beraten darf. Denn der Erdinger Verein wurde nach 20-jährigem Bestehen in diesem Jahr als Behandlungsstelle anerkannt.

Die Sozialpädagogin Sarah Konietzko erklärt: "Wir wollten mit der Aktion auf die besondere Situation in unserem Landkreis hinweisen - diesmal mit größerem Fokus auf die neu hinzugekommenen Sportwetten." Vor wenigen Jahren seien Sportwetter noch Exoten unter den Glücksspielern gewesen, hat Pölsterl bemerkt. "Jährlich beraten wir 35 bis 40 Glücksspielsüchtige. Heute sind davon schon etwa ein Drittel Sportwetter." Der Psychologe sieht heutzutage den erleichterten Zugang zu Glücksspielangeboten etwa durch Smartphones als ein elementares Problem. Süchtige müssten sich dadurch nicht mehr vor der Ehefrau aus dem Haus stehlen, sondern könnten einfach zwischendurch ihre Sucht stillen. Auch das Angebot wird ihm zufolge immer attraktiver: "Die garantierte Gewinnquote reizt viele, weil die Spieler sich angeblich vorab ausrechnen könnten, was sie gewinnen könnten." Hinzu komme die Illusion, die Spielausgänge seien exakt berechenbar, weil man glaube, sich gut genug in dem Sport auszukennen.

"Da das Spielverhalten sich verändert hat, versucht die Landesstelle für Glücksspielsucht in Bayern nun mittels einer App dem Suchtproblem auf derselben Ebene zu begegnen", sagt die Prop-Mitarbeiterin Konietzko. Die von der Landesstelle (LSG) entworfene kostenfreie App "PlayOff" kann bei Google Play oder im Apple Store heruntergeladen werden. Pölsterl erläutert die Anwendung: "Die App ist ideal als Tagebuch: Immer wenn man der Sucht nachgegangen ist, wird man gefragt, wie viel, wie lange man gespielt hat und wie die Ausgangssituation war, die einen dazu verleitete." Je mehr man dort eintrage, desto besser könne die Smartphone-App für den Nutzer riskante Situationen auswerten und gebe umstandsbezogene Ratschläge. "Natürlich kann dieses niedrigschwellige Angebot das Aufsuchen unserer Einrichtung nicht ersetzen", betont Sarah Konietzko zugleich.

"Wenn jemand zu uns kommt und sein Suchtproblem schildert, dann versuchen wir, mit ihm das Schlimmste, etwa eine weitere Verschuldung, zu verhindern", erzählt Pölsterl. Man frage den Patienten, ob er seine Kreditkarte für drei bis vier Monat einem Angehörigen aushängigen könne. Zur Behandlung der Suchtursachen komme man erst danach. Pölsterl und Konietzko sind sich angesichts der akuten Problematik einig, dass mehr Präventionsarbeit besonders an Schulen geleistet werden muss. Pölsterl hat beobachtet: "Die Glücksspielaffinität entwickelt sich teilweise schon auf dem Schulhof und im Elternhaus. Es fängt an mit harmlosen Wetten oder durch PC- und Handyspiele, wo ein Glücksrad oder eine slot machine eingebaut wurde" - quasi als Einstiegsdroge. In der jüngeren Generation müsse daher ein höherer Grad an Bewusstsein für diese Gefahren geschaffen werden.

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