Lokalgeschichte:Spiegel in die Vergangenheit

Lokalgeschichte: Hans Niedermayer, der "Pfarrerlehrbub" aus Eitting, der dann doch lieber Historiker und Lehrer wurde.

Hans Niedermayer, der "Pfarrerlehrbub" aus Eitting, der dann doch lieber Historiker und Lehrer wurde.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Hans Niedermayer liest in Fischers Seniorenzentrum aus seinen Kindheitserinnerungen und schickt dabei viele seiner Zuhörer auf eine Reise zurück in ihre eigene Jugend

Von Wilken Hustert, Erding

Jeder Mensch hat seine ganz eigenen Kindheitserinnerungen und besitzt seine persönliche Ansicht von Heimat. Für die meisten sind diese Erinnerungen in einer glücklichen Zeit angesiedelt, in der die Sonne immer schien und wo die eigene Unbeschwertheit den Druck der Außenwelt abhielt. Kurz, wo alles noch in Ordnung und scheinbar irgendwie auch besser war. In Literatur und Film fand die Thematik der miteinander verknüpften Begriffe Kindheit und Heimat schon immer genügend Platz - als ein Ort der Sehnsucht und der eigenen Geschichte, die man retrospektiv auch mit zeitgeschichtlichen Ereignissen verbinden kann.

Zu diesem Thema hat das Katholische Bildungswerk im Festsaal von Fischers Seniorenzentrum eine Lesung mit Hans Niedermayer organisiert. Der aus der Region stammende Autor las aus seinem Buch "Eine Welt, die es so nicht mehr gibt - Erinnerung an meine Kindheit und Jugend". Das Buch ist eine als Taschenbuch verarbeitete Zusammenfassung der zwei bereits veröffentlichten, autobiografischen Büchern Niedermayers "Kind in einer anderen Welt" und "Der Pfarrerlehrbub", beide im Verlag Sankt Michaelsbund erschienen.

Hans Niedermayer, Jahrgang 1934, ehemaliger Schuldirektor und Kommunalpolitiker, erzählt von seinem Aufwachsen in den späten dreißiger und vierziger Jahren. In Exzerpten mit den Titeln "Bei den Großeltern", "Ritterkreuz für einen Bauernknecht", "Evakuierte, Flüchtlinge und Ausgewiesene" und "Der fliederfarbene Liebesbrief" veranschaulicht Niedermayer seine Jugend. Man erfährt im ersten Teil der Lesung, wie er glücklich in Eitting aufwuchs und dort die meisten Zeit bei den Großeltern verbrachte, an die er sich liebevoll erinnert. Die durch Entbehrungen gezeichneten Kriegsjahren mit heimkehrenden Soldaten, immer näher rückender Front und dem darauffolgendem Neuanfang nach Kriegsende schildert er ebenso wie den kühlen Empfang der Flüchtlinge aus dem Sudetenland oder Ostpreußen. Im zweiten Teil bezieht sich Niedermayer auf die Zeit nach dem Krieg, als er in verschiedene katholische Internate geschickt wurde. Anekdotisch erzählt er über sein Heranwachsen im Franziskanerseminar in Freystadt in der Oberpfalz, wie er sich schließlich entschied, die Ausbildung zum Geistlichen zu quittieren, und, dass seine erste Liebe im Sommer 1949 ihn durch falsch unterzeichnete Liebesbriefe in Schwierigkeiten brachte - sie unterschrieb mit "dein Freund Peter".

Als Chronist der örtlichen Zeitgeschichte berichtet Niedermayer, der in München Geschichte und alte Sprachen studiert hat, in seinen oft humorvoll geschriebenen Erinnerung über eine Welt, die in unserer hoch technisierten, vernetzten und oft komplizierten Gegenwart krass und mittelalterlich vorkommen muss. Eine Zeit, in der die Landwirte noch den Boden mit Gaul und Pflug bearbeiteten, Wasser- und Stromleitungen nichts Selbstverständliches waren und nur die besten Schüler ein Studium aufnehmen konnten.

Hans Niedermayer zeichnet eine zunächst befremdliche, etwas trostlose Welt, als das Wirtschaftswunder noch nicht begonnen hatte und das Land, durch das Millionen von Vertriebene und Obdachlose zogen, noch größtenteils in Trümmern lag. Es ist aber keine wehleidige Schilderung der damaligen Zeit. Niedermayer wirft einen ehrlichen Blick zurück, verschönert und kritisiert nichts und erzählt so, wie er sich erinnert. Der Einblick, den man dadurch bekommt, ist umso authentischer.

Für viele Zuhörer, unter ihnen viele ehemalige Freunde und Bekannte des Autors, wurde es zu einer kurzweiligen Reise auch zurück in ihre Kindheit. Die etwa einstündige Lesung wurde mit viel zustimmenden Nicken und Aufrufen begleitet. Das Publikum identifizierte sich schnell mit dem Dargestellten. Manchen waren durch Niedermayers Erinnerungen, die sie anregten, ihre eigenen wiederzufinden, sehr gerührt. Der Autor selbst gab scherzend an, vor dem Auftakt der Lesung ein Gläschen Schnaps zu sich genommen zu haben, um nicht zu sehr von seinen Geschichten übernommen zu werden. Nach dem Ende der Lesung blieben einige Zuhörer, um sich mit Niedermayer über gemeinsame und eigene Erinnerungen auszutauschen. Auch draußen vor dem Festsaal unterhielt man sich noch lange über das Thema Vergangenheit.

Hans Niedermayer hatte am Ende noch beiläufig erwähnt, wie er in den vergangenen Jahren jene Orte seiner Kindheit wieder besucht hatte und die Veränderungen bemerkte, die die Zeit mit sich gebracht hatten: Vieles war einfach verschwunden, anderes stark verändert. So sehe man wie sich die Orte der Kindheit langsam verändern und erlöschen. Doch dank der Erinnerung, die in allen Formen aufzufinden ist, behält jeder, griffbereit, einen Spiegel in die Vergangenheit.

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