Landgericht Landshut:"Völliger Blödsinn"

Prozess gegen Erdinger Frauenarzt: Der vom Angeklagten verdächtigte Bruder des Opfers weist die Anschuldigung, er sei womöglich der wahre Täter, barsch zurück. Außerdem hat er ein gutes Alibi

Von Florian Tempel, Landshut

Eine starke Auffälligkeit des wegen Totschlags an seiner 60 Jahre alten zweiten Ehefrau angeklagten Frauenarztes Michael B. ist, dass er auf jede Frage eine Antwort hat. Ein anderer würde vielleicht einmal sagen: "Ich weiß dazu nichts, ich kann es mir selbst nicht erklären." Dem 58-jährigen Gynäkologen fällt hingegen immer etwas ein.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richters am zweiten Verhandlungstag, ob er sich Gedanken zum möglichen Täter gemacht habe, hatte er gesagt, er müsse da an den Bruder seiner Frau denken. Einen Monat und zehn Verhandlungstage später war der Bruder nun als Zeuge im Prozess am Landgericht Landshut geladen. Der 69-Jährige nannte die Verdächtigung seines Schwagers "völligen Blödsinn". Wobei er auf Nachfrage des Gerichts auch auf ein Alibi hinweisen konnte. Er habe am frühen Nachmittag des 3. Dezember 2013 bei einer Postbankfiliale in Münster in Westfalen 200 Euro am Schalter eingezahlt, sagte der Bruder. Das konnte er mit einer Einzahlquittung belegen. Er war somit zur Tatzeit etwa 650 Kilometer Luftlinie vom Tatort im Erdinger Stadtteil Pretzen entfernt.

Der Bruder berichtete dem Gericht weiter, dass er und der Angeklagte sich kaum kannten. Sie seien sich zuvor nur ein einziges Mal begegnet. Das sei vor mehreren Jahren im damaligen Haus seiner Schwester in der Nähe von Osnabrück gewesen. Er und der Angeklagte hätte damals aber kaum ein Wort miteinander geredet. Danach habe er mit seiner Schwester lange keinen Kontakt gehabt, bis er im Frühjahr 2013 einmal mit ihr telefoniert habe. Es sei jedoch in keinem Fall so, dass er und seine Schwester zerstritten gewesen wären: "Wir hatten ein Vertrauensverhältnis."

Der Angeklagte hatte die Verdächtigung seines Schwager offensichtlich auf nichts aufgebaut - ohne etwas zur Persönlichkeit des Bruders sagen zu können oder ein Motiv nennen zu können, warum dieser die Frau auf so brutale Weise umgebracht haben sollte. Denn das Opfer wurde erst eine Viertelstunde lang übel verprügelt und danach erwürgt und erstickt. Warum hatte Michael B., dem die Universität Hannover einst einen Professorentitel verliehen hat, den Verdacht auf seinen Schwager gelenkt? Eine Erklärung, wie er auf seinen Schwager kam, ist, dass er sehr unreflektiert ein Gedankenspiel eines seiner drei Verteidiger aufgenommen hat.

Der Münchner Rechtsanwalt Matthias Schütrumpf hatte im ersten Prozess ein sehr gut durchdachtes Plädoyer gehalten. Er entwarf damals eine Version, nach der auch der Bruder der Getöteten der Täter sein könnte. Damit wollte Schütrumpf allerdings nur eines verdeutlichen: Selbst "erfundene" Varianten könnten mit der objektiven Spurenlage am Tatort in Einklang gebracht werden. Die Möglichkeit eines "alternativen Täters" sei deshalb gegeben und das Gericht könne und dürfe das nicht beiseite schieben. Tatsächlich sagte die damalige Vorsitzende Richterin dann in ihrer Urteilsbegründung, auch andere als der Angeklagte seien "als mögliche Täter nicht auszuschließen".

Einer, der zunächst an die Unschuld von Michael B. geglaubt hatte, in ihm nun aber den Täter sieht, ist der 28 Jahre alte Sohn der Getöteten, den der Angeklagte vor einigen Jahren adoptiert hat. Der Sohn berichtete als Zeuge, dass die Ehe seiner Mutter und seines Adoptivvaters zuletzt zunehmend belastet gewesen sei. Beide seien in Erding nicht sehr glücklich gewesen: "Es wirkte auf mich so, als ob die beiden jeden Tag einen Kübel Elend über sich ausgeschüttet haben." Es habe "genügend Stressfaktoren" gegeben. Zum einen seien die Unterhaltszahlungen und mögliche finanzielle Forderungen der vier leiblichen Kinder von Michael B. ein immerwährendes Thema gewesen. Im Herbst 2013 sei zum Beispiel gerade eine Abänderungsklage gegen die jüngste Tochter des Angeklagten aus erster Ehe gelaufen. Zudem sei auch der Tod der Mutter des Angeklagten im November 2013 aus mehreren Gründen sehr belastend gewesen: Sein Adoptivvater habe sich schon in den Jahren davor immer wieder über seine unschöne Kindheit und sein gestörtes Verhältnis zu seiner eigenen Mutter beklagt; seine zweite Frau habe aber nicht auf die Beerdigung gehen wollen, um nicht der ersten Frau und den leiblichen Kindern von Michael B. zu begegnen; schließlich ging er selbst nicht zur Beerdigung seiner eigenen Mutter.

Eines hatte jedoch auch der Sohn nicht mitbekommen: Dass seine Mutter alkoholkrank war. Er habe nie das geringste Anzeichen für eine Trunksucht bei ihr erkennen können. Der Prozess dauert an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: