Landgericht Landshut:Therapie statt Strafe

58-Jähriger wird durch eine schizoaffektive Störung zur Gefahr für die Allgemeinheit. Nun soll ihm geholfen werden

Von Alexander Kappen, Landshut/Freising

Es ist eine Entwicklung, die sich seit Jahren abgezeichnet hat. Etwa seit 2000 hätten sich bei seinem Mandanten Wesensveränderungen gezeigt, sagte der Verteidiger. Der heute 58-jährige Angeklagte fand sich in seinem Leben zunehmend nicht mehr zurecht. Er entwickelte Angstzustände, fühlte sich verfolgt und wurde selbst immer häufiger aggressiv. Er geriet wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt, die psychiatrischen Gutachten, die sich mit seinem Zustand befassen, reichen mittlerweile mehr als zehn Jahre zurück. Zuletzt verfiel der 58-Jährige zunehmend dem Alkohol und hielt sich in der Freisinger Bahnhofsszene auf. Dort fiel er mehrmals mit körperlichen Übergriffen auf - auch gegen ihm völlig fremde Personen. Dafür musste er sich jetzt vor dem Landshuter Landgericht verantworten.

Die sechste Strafkammer unter Vorsitz von Richter Ralph Reiter sprach den Freisinger nach drei Verhandlungstagen frei - er ist schuldunfähig. Laut eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens leidet der 58-Jährige an einer schizoaffektiven Störung. Da er ohne eine entsprechende Behandlung, so die Prognose, wohl weiter erhebliche Straftaten begehen würde und eine Gefährdung für die Allgemeinheit wäre, ordnete das Gericht den so genannten Maßregelvollzug an. Das heißt, der 58-Jährige wird für eine Therapie in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Bereits seit August befindet er sich aufgrund einer anderen Angelegenheit im Bezirkskrankenhaus in Haar. Das Gericht ordnete an, den bestehenden Unterbringungsbefehl aufrechtzuerhalten.

Das Verfahren war vom Amts- ans Landgericht hochverwiesen worden, weil nur Letzteres eine Unterbringung anordnen kann. Diese erfolgte "einvernehmlich", wie der Vorsitzende sagte. Sowohl Staatsanwältin als auch Verteidiger hatten auf Freispruch und Unterbringung plädiert. Der Angeklagte selbst erklärte sich ebenfalls bereit, die bereits begonnene Therapie im Klinikum fortzusetzen.

Nachdem das Verfahren bezüglich einiger kleinere Taten eingestellt worden war, blieben in der Verhandlung noch drei Fälle aus dem Herbst 2016 übrig. Alle ereigneten sich im oder am Freisinger Bahnhof. In einem fragte der Angeklagte einen fremden jungen Mann in der Bahnhofshalle nach Geld. Als dieser ihm keines gab, packte er ihn am Hals, drückte ihn nach unten gegen eine Bank und dann auf den Boden. Der Mann gab an, kurzzeitig keine Luft bekommen, sich dann gewehrt zu haben und aus der misslichen Lage heraus gekommen zu sein. In einem anderen Fall schlug der Angeklagte einem Mann eine Bierflasche ins Gesicht. Der Geschädigte erlitt eine Platzwunde und eine Verletzung über dem Auge. Bei einem weiteren Vorfall schlug der 58-Jährige abermals einem anderen Mann eine Flasche ins Gesicht und anschließend einen weiteren mit der Faust nieder, so dass der mit dem Kopf auf die Straße fiel. In den beiden Fällen "ist die Flasche zum Glück nicht zerbrochen, sonst ist das eine brandgefährliche Geschichte", betonte der Richter.

Der Gutachter berichtete, der Angeklagte fühle sich nach eigenen Angaben oft verfolgt und ungerecht behandelt. Wenn er früher verurteilt worden sei, habe er das nicht verstanden, weil er seiner Wahrnehmung nach selbst das Opfer gewesen sei. Die Clique am Bahnhof sei nach Wahrnehmung des Angeklagten immer zusammengesessen und habe überlegt, "wie sie ihn schädigen und in den Knast bringen können". Der Verteidiger, der seinen Mandanten bereits seit 15 Jahren kennt, berichtete auch von auffälligen Stimmungsschwankungen: "An einem Tag traf er mich irgendwo zufällig und drückte mir einen Kuss auf die Wange - am anderen wechselte er die Straßenseite, wenn er mich sah." Sein Mandant sei manchmal "euphorisch in die Kanzlei gekommen - und im nächsten Moment hat er rumgeschrien". Mittlerweile bekomme er Medikamente und sei auf einem guten Weg. "So ruhig wie hier kenne ich ihn gar nicht."

Der Richter zeigte dem Angeklagten seine Perspektiven auf. Bei erfolgreicher Therapie und einem entsprechenden Gutachten sei später ein Betreutes Wohnen möglich. "Und da kann es nach und nach auch Lockerungen geben." Man müsse das Ganze jetzt "vernünftig angehen und in den Griff bekommen".

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