NS-Zeit:Einmal "Weidende Kühe" für Adolf Hitler

NS-Zeit: Hitler kaufte im Jahr 1941 das Gemälde "Weidende Kühe".

Hitler kaufte im Jahr 1941 das Gemälde "Weidende Kühe".

(Foto: Renate Schmidt)

Der Maler Franz Xaver Stahl gilt als einer der "großen Bürger" Erdings - und war während des Zweiten Weltkriegs Mitglied der NSDAP. Bei der Parteiführung waren seine Bilder beliebt.

Von Veronika Wulf, Erding

Als "großen Bürger" rühmt die Stadt Erding den Tiermaler Franz Xaver Stahl auf ihrer Webseite. Eine Straße am Fehlbach ist nach ihm benannt. Das Wohnhaus, in dem er zur Welt kam und sie wieder verließ, ist ein Museum geworden. Nicht nur dort hängen seine Tiergemälde, auch im Rathaus, im Landratsamt und in der Kantine des bayerischen Landwirtschaftsministeriums in der Galeriestraße in München. Womit sich Erding aber nicht schmücken kann, sind Stahls Bezüge zum Nationalsozialismus.

In Stahls Lebenslauf auf der Stadtwebseite heißt es knapp: 1941 wurde er Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und 1947 bei der Entnazifizierung als "Mitläufer" eingestuft. In einem Buch zum 750. Stadtjubiläum Erdings bleibt im Kapitel über Stahl die NSDAP komplett unerwähnt. Ebenso in einer unkritischen Biografie, die der Landkreis 1991 herausgegeben hat. Horst Schmidt, SPD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat, regte bereits 2015 an, dass sich ein Erdinger Schüler in Form einer Seminararbeit dem Thema annehme könnte. Das hält er nach wie vor für nötig: "Man sollte mit der Vergangenheit auch in Erding offen umgehen." Die Frage lautet: War Stahl ein Mitläufer aus Karrieregründen oder stimmte er mit der Ideologie der Nazis überein?

Die erste Adresse für Fragen zu Stahl ist Heike Kronseder, Kunsthistorikerin und Leiterin des Franz-Xaver-Stahl Museums. Man findet sie in dem Biedermeierhaus an der Landshuter Straße 31, gelb umrahmte Fenster mit dunkelgrünen Läden, das einst Geburts- und Wohnhaus des Malers war. Seit 2014 ist es das Reich von Heike Kronseder, die es für die Stadt verwaltet und der Öffentlichkeit zugänglich machte. So war es der Wille des 1977 verstorbenen Stahl. Und so geschah es nach dem Tod seiner Witwe Margarete Stahl im Jahr 2014.

Ein Dauerraucher und Fahrradfahrer

Heike Kronseder öffnet an einem Donnerstagnachmittag. Drinnen liegen Teppiche auf dem Dielenboden wie in einem Wohnzimmer, alle Wände im Erdgeschoss und Obergeschoss sind mit Bildern von Stahl bedeckt. Es sind so viele, dass Kronseder einige auslagern musste.

Zu jedem Bild weiß sie etwas zu erzählen. Und natürlich zu Stahl selbst: 178 Zentimeter groß, 68 Kilo schwer, Dauerraucher, Fahrradfahrer. Fromm sei er gewesen und introvertiert, schüchtern und menschenscheu, hatte keinen Fernseher, kein Telefon und keine Zeitung. Jahreszahlen, Namen, Bildtitel - alles hat Kronseder im Kopf. Die Museumsleiterin ist so tief in den Nachlass des Künstlers eingedrungen, dass sie Stahl zu kennen scheint wie eine gute Freundin. Dabei ist sie ihm nur ein Mal begegnet: mit 13, als sie einen Knicks vor dem Maler machen musste, der zu Besuch kam. Jetzt hat sie knapp 1000 Fotos von ihm ausgewertet, 1400 Briefe und Postkarten sowie Zeugnisse, Handwerkerrechnungen, Pässe und Dokumente. Doch was in Stahls Kopf vorging, als er in die NSDAP eintrat, dafür hat auch sie keine abschließende Antwort.

Pferde in der Schmiede, Kühe auf der Weide

Es scheint ein heikles Thema zu sein: der große Bürger Erdings in der NSDAP. Deshalb gesellt sich wohl der Sprecher der Stadt an Kronseders Seite, wenn Journalisten sie dazu befragen. Bei einem Gang durchs Museum wird deutlich: Stahl hat fast ausschließlich Tiere gemalt, Pferde in der Schmiede, Kühe auf der Weide, Schweine in der Suhle. Selbst bei manchen Landschaftsbildern taucht auf den zweiten Blick doch noch eine Schafherde im Hintergrund auf. Nur etwa zehn Porträts hat Stahl gemalt, von Familienmitgliedern oder guten Bekannten. "Das hat sich auch nach Hitlers Machtergreifung nicht geändert", sagt Kronseder mit Nachdruck. Sie sitzt jetzt im Dachgeschoss des Stahl-Hauses neben Regalen bis unter die Decke. Zwischen Kisten und Schachteln hat sie sich ihr "Zentrum der Forschung" eingerichtet, wie sie es nennt. Für Besucher unzugänglich. "Keine Reichsgröße, kein Kriegsgeschehen" habe Stahl gemalt. Von seinem siebten Lebensjahr bis zu seinem Tod 1977 habe sein Interesse nur einem Thema gegolten: dem Tier.

Das früheste Dokument in Stahls Nachlass, das einen Hinweis auf die NSDAP gibt, ist eine Quittung: "Empfangsbestätigung" steht darauf in Frakturschrift. Mit Reichsadler- und Hakenkreuz-Stempel bestätigte der Kassenleiter der NSDAP in der Max-II-Kaserne in München am 30. Januar 1939, dass Stahl die Gebühr von zwölf Reichsmark zur Aufnahme in die Partei bezahlt hat. Von diesem Datum an war er also Parteianwärter. 1941 sei er in die Partei aufgenommen worden, schreibt Stahl später im Zuge der Entnazifizierung. Noch im selben Jahr im Oktober wurde Stahl als Lehrer an die Akademie der Bildenden Künste in München berufen, wo er zuvor studiert hatte. Auch wenn die Parteimitgliedschaft kein Muss war: Es könnte sein, dass er diesen aus damaliger Sicht renommierten Posten, durch den sich sein Gehalt sprunghaft verdreifachte, sonst nicht bekommen hätte. Dafür gibt es aber keine Nachweise.

Die Bilder waren vor, während und nach dem Krieg gefragt

Ein Jahr später, 1942, verlieh ihm die Akademie die Dienstbezeichnung Professor. Der investigative Journalist Ernst Klee, der in seinem "Kulturlexikon zum Dritten Reich" die NS-Vergangenheit zahlreicher Personen aufarbeitete, schreibt, Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels höchstpersönlich habe diese Ernennung vorgeschlagen. "Totaler Blödsinn", widerspricht Heike Kronseder. Ihre Recherchen ergaben, dass der Akademiepräsident die Beförderung beantragte, damit Stahl nicht "als einziger Akademielehrer nicht die Bezeichnung Professor führen dürfte". So steht es auch in einem Schreiben des bayerischen Kultusministeriums von 1942.

Bormann und Hitler unter den Käufern

Franz Xaver Stahls Bilder waren vor, während und nach dem Krieg gefragt. Es war die große Zeit der Tiermalerei. Mal malte Stahl realistisch genau, jede Wimper der Kuh mit einzelnen Pinselhaaren nachgezogen, mal impressionistisch flüchtig mit dicken Pinselstrichen und Farbtupfern als Schweinerücken. All das tat er gleichzeitig. Sein Werk lässt sich nicht in Phasen einteilen. Von 1937 bis 1944 waren Gemälde von ihm in der "Großen Deutschen Kunstausstellung" ausgestellt, der propagandistischen Leistungsschau der Nazis im extra dafür erbauten "Haus der Deutschen Kunst". Auch wenn manche Bilder Stahls an Blut- und Boden-Romantik erinnern, habe der Maler weder Sujets noch Technik in dieser Zeit verändert, sagt Kronseder. "Stahl hat gemalt, sich beworben und wurde ausgewählt." 15 Gemälde stellte er insgesamt aus, acht verkaufte er - zu Höchstpreisen.

Unter den Käufern waren einige Nazigrößen: Martin Bormann, Leiter der Parteikanzlei der NSDAP, zahlte 25 000 Reichsmark. Außenminister Joachim von Ribbentrop ließ 9000 Mark liegen und Goebbels war das Gemälde "Rast" 22 000 Mark wert. Auch der "Führer" selbst kaufte ein: "Weidende Kühe" für 11 000 Reichsmark. Bekanntlich war Hitler Tierliebhaber. "Den Stahl hat er sich aber nicht ins Wohnzimmer gehängt", sagt Kronseder. "Das war eher Werbung für die Ausstellung, wenn Hitler einkaufte." 1944 wurde Stahl doch noch zum Militärdienst eingezogen und zum Sanitäter ausgebildet. 1945 entließen ihn die Amerikaner aus der Kriegsgefangenschaft. Im selben Jahr entzog ihm die Militärregierung seine Professur an der Kunstakademie wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP.

In Stahls Lebenslauf, den er zusammen mit dem Entnazifizierungsfragebogen an die Militärregierung schickte, erklärte er: "Daß ich bei der Partei war, verdanke ich lediglich dem fortwährenden Drängen meines Münchner Atelier-Hausherren, dem ehemaligen Ortsgruppenleiter von Wartenberg." Dieser Vermieter schrieb ihm im Dezember 1937: "Die Beweggründe, über die wir uns genügend ausgesprochen haben, zwingen mich Ihnen die bis jetzt innegehabten Räume per 1. Februar 1938 zu kündigen." Unterschrieben mit: "Heil Hitler". In dem Atelier an der Nymphenburger Straße, das später zerbombt wurde, wohnte er auch. Um dort bleiben und arbeiten zu können, sei er in die Partei eingetreten. Politik hätte ihn "zu keinem Zeitpunkt meines Lebens" interessiert. "Bestätigungen von Berufskollegen und langjährigen Bekannten beweisen, daß ich tatsächlich aus Gleichgültigkeit eine Dummheit machte, meinem Arbeitsfrieden zuliebe mich gegen meine Art und Überzeugung in die Partei hineindrängen zu lassen."

Einer sagte, man habe gemeinsam über die Nazis geschimpft

Diese Bestätigungen werden auch "Persilscheine" genannt, da sich die Parteimitglieder mit ihnen rein zu waschen versuchten. Sie sollten von Personen verfasst werden, die nichts mit der NSDAP zu tun hatten. Stahls Weggefährten beschrieben ihn darin einstimmig als unpolitisch. "Ich kann mich (...) nicht erinnern, daß er mich jemals mit Heil Hitler begrüßt hätte", schrieb ein Akademieprofessor. "Ich war überrascht, als ich hörte, daß er bei der Partei gewesen sei", hieß es bei einem Kollegen. Ein Nachbar behauptete, man habe sogar gemeinsam über die Nazis geschimpft. Stahl habe nicht einmal gewusst, dass ein Parteitag in Nürnberg stattfand, über den alle redeten: "Er liebte nur seine Kunst und war alles andere als ein Nazi."

Den "Persilscheinen" schenkte die Spruchkammer Glauben und stufte Stahl am 18. August 1947 als "Mitläufer" ein, die zweitunterste Kategorie nach "Entlastete". Darüber gab es "Minderbelastete", "Belastete" und "Hauptschuldige". Stahl musste eine Geldsühne von 500 Reichsmark zahlen und konnte sein Leben als freischaffender Maler fortführen wie zuvor. Sein Mitläufertum tat dem beruflichen Erfolg keinen Abbruch, Stahls Bilder waren weiterhin gefragt. Nur Akademieprofessor wurde er nicht wieder. Ein Tiermaler wurde nicht mehr gebraucht. Stahl war der letzte.

Zettel, Rechnungen, Notizen - alles aufgehoben

Was jedoch in seinem Kopf vorging, als er in die Partei eintrat, wird wohl ein Rätsel bleiben. Vielleicht tauchen noch neue Dokumente auf, möglicherweise bei einer Seminararbeit eines Erdinger Schülers. "Unmöglich", sagt Kronseder. Sie habe den kompletten Nachlass und alle Archive durchkämmt. Es sei auch nichts verloren gegangen. Franz Xaver Stahl nahm es sehr genau, nicht nur beim Malen. Noch heute stehen die Birnbäume im Garten in akkuraten Reihen. Ständig machte er sich Notizen auf kleinen weißen Zetteln. Kronseder betrachtet sie als eine Art Tagebuch. Auf einem steht beispielsweise: "1 Glas Himbeermarmelade aus dem Keller entnommen, 1.5.1949, F. X. Stahl." All diese Zettel, Rechnungen, Notizen hat er aufgehoben. "Menschen, die zwei Weltkriege überlebt haben, hängen an den Dingen", sagt Kronseder. Doch zu Stahls Zeit in der NSDAP, zu seiner Haltung gegenüber der Nazi-Ideologie, sind leider keine Zettelchen da.

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