Kommentar:Veränderte Bedingungen

Weit stärker als sich Bio-Genossenschaft Tagwerk seit ihren Gründungsjahren verändert hat, hat sich der Markt verändert.

Von Florian Tempel

Der Rückzug von Franz Leutner aus dem Tagwerk-Aufsichtsrat verdeutlich vielleicht mehr als alles andere, dass für die Bio-Genossenschaft endgültig eine neue Zeit begonnen hat. Wer ist Franz Leutner? Er ist einer, den man in traditionell ausgerichteten Vereinigungen wohl ehrfürchtig Urgestein nennen würde. Ohne ihn würde es Tagwerk nicht geben. 1984 gründeten er, seine Ehefrau Christa und andere die Bio-Genossenschaft, weil man damals in Dorfen oder Erding nicht einfach in einen Laden gehen konnten, um biologische Lebensmittel oder ökologisch verträgliches Waschmittel zu kaufen. Die Idee, in einer kleinstädtisch-ländlichen Gegend Verbraucher und Erzeuger von Bio-Produkten in einer regionalen Genossenschaft zusammenzubringen, war gewagt, innovativ und erfolgreich.

Tagwerk ist in den 31 Jahren seines Bestehens enorm gewachsen und längst weit mehr als nur eine Genossenschaft. Tagwerk ist eine etablierte Bio-Marke und ein unternehmerisches Netzwerk. Doch weit stärker als sich Tagwerk seit seinen Gründungsjahren verändert hat, hat sich der Markt verändert. In jedem stinknormalen Supermarkt sind heute Bio-Produkte zu haben. Laut einer Erhebung des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft lag der Gesamtumsatz der Bio-Branche im Jahr 2014 bei fast acht Milliarden Euro.

Tagwerk ist in der Bio-Branche nur eine kleine Nummer. Es mag zwar in den Ohren von Idealisten komisch klingen, wenn die Tagwerk-Genossen ihre Neuausrichtung nun auch mit dem Argument begründen, dass man in Dorfen einfach zu entlegen läge. Der ins Auge gefasste neue Standort bei Kirchheim oder Poing ist bewusst in der Nähe des Autobahn-Ostkreuzes ausgesucht und liegt somit verkehrsgünstiger, auch wenn Dorfen in wenigen Jahren einen Autobahnanschluss haben wird. Franz Leutner hat bei seinem Rückzug ohne jeden Groll gesagt, er halte das für richtig. Auch er stehe hinter dem "neuen Weg", der unumgänglich scheint, wenn es Tagwerk noch in 31 Jahren geben soll.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: