Kommentar:Ungesunde Entwicklung

Ohne Wachstum geht der Wirtschaftsraum München den Bach runter, sagt die IHK. Viele Bürger und kleinere Firmen können den Preis dafür aber nicht mehr zahlen

Von Gerhard Wilhelm

Ohne Wachstum geht der Wirtschaftsraum München den Bach runter. Auf diese einfache Aussage lassen sich die Forderungen der Industrie- und Handelskammer (IHK) reduzieren. Und deshalb müssten auf Teufel komm raus Gewerbe-, aber auch Wohnungsbauflächen ausgewiesen werden. Denn, so die Logik der IHK, der Markt regelt alles. Gebe es mehr Angebot als Nachfrage, sinken die Preise auf dem Immobilienmarkt automatisch.

Völlig außer Acht gelassen wird dabei, dass der "freie Markt" schon seit ein paar Jahren ausgehebelt ist, dank der immensen Geldmengen, die die Europäische Zentralbank seit diverser Krisen auf eben diesen Markt wirft. Dazu kommen die historisch niedrigen Zinsen und dass bei klassischen Anlageformen kein Geld mehr zu verdienen ist. Im Gegenteil, es müssen Strafzinsen gezahlt werden. Zwar schwebt auch über dem Großraum München die Furcht vor einer Immobilienblase, aber die Aussicht auf Renditen im zweistelligen Bereich bei Grundstücken lässt diese Furcht in den Hintergrund geraten. Was an Bauland vorhanden ist, wird gekauft. Preis? Fast egal. Zumindest den großen Investoren.

Nicht mithalten können in dem Spiel die Arbeitnehmer, die kleinen und mittelständischen Betriebe. Zum einen wird bei ihnen heute schon genau hingeschaut, ob sie einen Kredit zurückzahlen können, zum anderen geraten sie bei den Preisen auch auf dem Mietsektor schnell an ihre finanzielle Grenze. Die Folgen sind sichtbar: Selbst Großfirmen wie die Lufthansa müssen sich schon was einfallen lassen, um Menschen nach München zu locken. Denn wer will schon dorthin ziehen, wo sein sauer verdientes Geld für den Wohnraum oder für Pendelfahrten drauf geht? Höhere, dies ausgleichende Löhne können die wenigsten ortsansässigen Betriebe zahlen.

Die Ausweisung von Gewerbe- und Bauland am Fließband wird für die Menschen vor Ort nichts bringen, da die Preise auf absehbarer Zeit nicht sinken werden. Die Forderung nach "bezahlbaren" Grundstücken durch die Kommunen hat etwas von "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass". Denn gerade der stetige Ruf nach immer mehr Wachstum treibt in der Folge die Preise. Für die meisten Menschen würde der Großraum München unbezahlbar, für viele ist er es schon. Zum Beispiel, wenn man nach 45 Jahren Arbeit nur eine Durchschnittsrente bezieht oder alleinerziehend ist. Und ist erst mal die Region München zu einem einzigen großen Siedlungskonglomerat zusammen gewachsen und verbaut, ist auch die viel gepriesene Lebensqualität weg. Warum sollte man dann noch bleiben?

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