Kirchenasyl:Die letzte Zuflucht

Kirchenasyl

Er war im April 2014 der erste Flüchtling im Landkreis im Kirchenasyl. Drei Monaten lebte der 22-jährige Afghane im Dorfener Pfarrhaus.

(Foto: oh)

Kirchenasyl bleibt im Landkreis ein Thema: Wegen der verschärften Abschiebepraxis ist wieder mit mehr Anfragen zu rechnen. Gleichzeitig sorgen die jüngsten Ermittlungsverfahren in Bayern auch hier für Verunsicherung

Von Simon Groß

Die jüngsten Ermittlungen bayerischer Staatsanwaltschaften gegen Kirchenvertreter, die Flüchtlingen Schutz vor Abschiebung geboten hatten, betreffen nicht den Landkreis Erding. Doch sie sorgen auch hier für Verunsicherung. "Die Ermittlungsverfahren sind ein Zeichen für einen härter gewordenen politischen Kurs", sagt die evangelische Pfarrerin Andrea Oechslen: "Vielleicht wird es in Zukunft für Kirchenvorstände schwieriger Kirchenasyl zu gewähren." Diese Befürchtung teilt auch Asylberaterin Maria Brand von Amnesty International. Es sei immer schwieriger potenzielle Anlaufstellen zu finden.

Zwölf Fälle von Kirchenasyl hat es in den vergangenen drei Jahren im Landkreis gegeben. Aktuelle Fälle gibt es hier derzeit nicht. Doch obwohl immer weniger Flüchtlinge neu in den Landkreis kommen, steigen die Anfragen für Kirchenasyl wieder, sagt Pfarrerin Oechslen. Den Grund sieht sie in der verschärften Abschiebepraxis der Bundesregierung. Zum einen seien die umstrittenen Rückführungen afghanischer Flüchtlinge dafür verantwortlich, die seit Ende 2016 verstärkt stattfinden. Zum anderen haben sie und ihre Kollegen den Eindruck, dass die Zahl der Abschiebungen von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union, sogenannte Dublin-Fälle, zugenommen hätte.

Es geht um sechs Monate

Die vorerst letzten Kirchenasyle im Landkreis sind im vergangenen Jahr ausgelaufen. Seit 2014 haben eine evangelische und drei katholische Pfarreien insgesamt 14 Flüchtlinge, denen eine Abschiebung drohte, in ihre Obhut genommen. Die unter anderem aus Syrien, Eritrea und Irak stammenden Menschen hätten nach Ungarn, Italien oder Bulgarien abgeschoben werden sollen, wo sie in die Europäische Union eingereist waren. Da es in Ungarn und Bulgarien im Umgang mit Flüchtlingen immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen komme und in Italien vielen die Obdachlosigkeit drohe, hätten sich die Pfarreien dazu entschieden, sie vor einer Abschiebung zu bewahren, sagt Brand. Die Kirchenvertreter nutzen eine Regelung der Dublin-Verordnung, nach der Flüchtlinge nur binnen einer sechsmonatigen Frist an den jeweiligen Grenzstaat überstellt werden dürfen. Die Frist beginnt, sobald der Grenzstaat in die Rücknahme einwilligt. Nach Ablauf der sechs Monate muss das Asylverfahren in dem Staat erfolgen, in dem sich der Flüchtling aufhält, in diesen Fällen also Deutschland.

Kirchenasyl

Er war im April 2014 der erste Flüchtling im Landkreis im Kirchenasyl. Drei Monaten lebte der 22-jährige Afghane im Dorfener Pfarrhaus.

(Foto: oh)

Die jüngsten Ermittlungsverfahren bayerischer Staatsanwaltschaften machen Pfarrerin Oechslen keine Angst. In Erding habe es bisher keine Probleme mit den Behörden gegeben. Brand erinnert sich dagegen an einen Fall, in dem ein Kloster aus dem Landkreis eine Anzeige kassiert hat. Das Verfahren wurde später eingestellt. Der damalige Dorfener Pfarrer Johann Eschbaumer, der den 22-jährigen afghanischen Flüchtling aus dem Kloster übernahm, berichtete außerdem von Versuchen des Landratsamts, über den Dorfener Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) auf ihn einzuwirken.

Besorgt wegen der Häufung der Verfahren

Laut Brand hat sich das Asylmanagement des Landkreises seit Ende 2015 geweigert, Flüchtlinge nach einem Kirchenasyl wieder in ihren früheren Unterkünften aufzunehmen. Die Betroffenen hätten in anderen Landkreisen untergebracht werden müssen, sagt Brand. Die Sprecherin des Landratsamt erklärte dazu, die Plätze in den Asylunterkünften könnten nicht freigehalten werden, wenn sich ein Flüchtling in Kirchenasyl begebe. Nach Ende des Kirchenasyls müssten sich die Betroffenen erneut in einer Erstaufnahmeeinrichtung melden, um einer Unterkunft in einer der Landkreise zugewiesen zu werden.

Obwohl alle aktuellen Ermittlungsverfahren wegen Kirchenasyl bislang für die Betroffenen folgenlos blieben, sei allein die Häufung der Verfahren besorgniserregend, sagt Genia Schenke Plisch von der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche: "Man könnte zu der Vermutung kommen, dass es da eine Weisung gab, um ein Signal zu setzen im Wahljahr."

Zwei Priester im Landkreis Freising betroffen

Sowohl das bayerische Innenministerium als auch das Justizministerium verneinen, eine solche Weisung an Polizei oder Staatsanwaltschaften herausgegeben zu haben. In einer Pressemitteilung von Justizministers Winfried Bausback (CSU) heißt es dazu: "Ich sage ganz klar: Es gibt keine Verschärfung der strafrechtlichen Verfolgung des Kirchenasyls." Der Eindruck zunehmender Strafverfolgung könnte einerseits mit dem vermehrten Zuzug von Flüchtlingen nach Bayern und der damit einhergehenden Zunahme der Fälle zusammenhängen. Andererseits könnte eine Änderung der Ermittlungspraxis ebenfalls zu dem Bild beigetragen haben. Seit diesem Jahr müssen die Staatsanwaltschaften die Pfarrer vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens in jedem Fall einer Befragung unterziehen. Davor war das nicht einheitlich vorgeschrieben. Wie viele Ermittlungsverfahren zurzeit in Bayern laufen, könne das Justizministerium nicht angeben, da die Kirchenasylfälle nicht separat statistisch erfasst würden.

12 Kirchenasyle

So oft wurde in den vergangenen drei Jahren im Landkreis Erding Kirchenasyl gewährt. In ganz Deutschland wurden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von Februar 2015 bis Januar 2017 insgesamt 791 Fälle von Kirchenasyl gemeldet. Im Großteil der Fälle hat die Bundesrepublik, wie von den Kirchenvertretern gewünscht, das Asylverfahren übernommen. In 191 Fällen hat das Bamf "der Auffassung der Kirchenvertreter nicht folgen können".

Laut der Staatsanwaltschaft Landshut, die für die Landkreise Erding und Freising zuständig ist, laufen aktuell zwei Verfahren gegen Priester aus dem Landkreis Freising. Dort wurden 2015 und 2016 bereits zwei Verfahren eingeleitet, die später wegen Geringfügigkeit eingestellt wurden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: