Kein Bargeld für Asylbewerber:Erdinger Chipkarte stößt auf Kritik

Kein Bargeld für Asylbewerber: Eine Flüchtlingsfamilie am Fliegrhorst. Wenn im Landkreis Erding wohnt, der hat kaum mehr die Möglichkeit, an Bargeld zu kommen.

Eine Flüchtlingsfamilie am Fliegrhorst. Wenn im Landkreis Erding wohnt, der hat kaum mehr die Möglichkeit, an Bargeld zu kommen.

(Foto: Renate Schmidt)

Mit dem sogenannten "Kommunal Pass" wird Flüchtlingen im Landkreis der Zugang zu Bargeld verwehrt. Das steht im Widerspruch zur Gesetzeslage. "Rassismus vom Amt" nennt es der Bayerische Flüchtlingsrat.

Von Florian Tempel, Erding

Die Chipkarte "Kommunal Pass", mit der Flüchtlingen im Landkreis der Zugang zu Bargeld verwehrt wird, verstößt offensichtlich gegen die gesetzlichen Bestimmungen. Als vor einem Jahr das Asylbewerberleistungsgesetz so geändert wurde, dass Flüchtlinge grundsätzlich Geldleistungen zustehen, war eine Presseerklärung der Bundesregierung eindeutig: "Allen Menschen, die als Flüchtlinge aus Drittstaaten nach Deutschland gekommen sind, steht auch Bargeld zu." Nach einer weiteren Änderung des Gesetzes gilt dies zumindest weiter für Flüchtlinge, die außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen leben - das trifft auf alle etwa 1400 Flüchtlinge im Landkreis Erding zu.

Dass Flüchtlinge im Landkreis mit der Chipkarte des Unternehmens Sodexo kein Bargeld abheben können, liegt nicht an technischen Gegebenheiten. Ein Sodexo-Sprecher sagte, dass Abhebungen an Geldautomaten prinzipiell möglich wären. Der "Kunde" Landratsamt Erding habe sich jedoch dafür entschieden, diese Möglichkeit bei den im Landkreis Erding ausgegebenen Karten zu sperren. Es wäre jederzeit problemlos möglich, auch die Erdinger Chipkarten für Barabhebungen freizuschalten, sagte der Sodexo-Sprecher - falls das Landratsamt dies wünsche.

Die Kreisbehörde rechtfertigt seine Entscheidung mit dem Hinweis darauf, im Gesetzestext sei nicht explizit von Bargeld für Flüchtlinge die Rede: "Für den Charakter der Geldleistung ist es unerheblich, ob das Geld dem Empfänger in barer oder unbarer Form geleistet wird." Auf die Frage, ob es das Landratsamt nicht als notwendig ansehe, dass Flüchtlinge Bargeld im Alltag brauchten, heißt es: "Bei Einzelfällen ist bereits eine unbürokratische Lösung vorgesehen." Was das konkret bedeutet, wird nicht näher ausgeführt.

"Mit derartigen Aktionen werden geflüchtete Menschen gezielt entmündigt"

Durch die spezielle Erdinger Chipkarte wird Flüchtlingen im Landkreis auch die Führung von Bankkonten faktisch unmöglich gemacht. Nach Schätzungen der Arbeitsgruppe Asyl und anderer Helferkreise besitzen bereits mehr als die Hälfte der Flüchtlinge im Landkreis ein eigenes Konto, um so zum Beispiel Handygebühren oder Vereinsbeiträge zu bezahlen. Ohne die Möglichkeit, Geld auf ihre Konten einzahlen zu können, werden sie nun für sie wertlos.

Dass auch Flüchtlinge ein eigenes Konto besitzen sollen, ist das ausdrückliche Ziel eines neuen Bundesgesetzes, dass erst vor sechs Wochen vom Bundesrat verabschiedet wurde. In einer Presseerklärung der Bundesregierung mit dem Titel "Jeder hat das Recht auf ein Konto" heißt es: "Ein Girokonto ist Voraussetzung für nahezu jedes Alltagsgeschäft. Banken dürfen künftig niemandem mehr verwehren, ein Girokonto zu eröffnen. (. . .) Auch Wohnungslose, Asylsuchende und Personen ohne Aufenthaltsstatus, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden dürfen, haben Anspruch darauf."

Im Nachbarlandkreis Freising hat das dortige Landratsamt schon seit Jahresbeginn alle Flüchtlinge aufgefordert, sich ein Bankkonto einzurichten. 99 Prozent der Freisinger Flüchtlinge haben nun Konto, auf das sie vom Landratsamt ihr Geld überwiesen bekommen.

Die Einführung der speziellen Erdinger Chipkarte stößt auf viel Kritik. Der Bayerische Flüchtlingsrat sieht hier sogar "Rassismus vom Amt" verwirklicht. In einer Pressemitteilung heißt es: "Diese Maßnahme lässt sich durch nichts begründen. Erneut wird eine Personengruppe massiv an der Teilhabe am sozialen Leben behindert. Zahlreiche Landkreise überweisen Flüchtlingen ihren Geldbetrag auf ein normales Bankkonto. Dass der Landkreis Erding das nicht will, weckt Zweifel daran, dass im Landkreis Erding Interesse an Menschenwürde und Integration von Flüchtlingen besteht." Die Fraktionsvorsitzende der SPD im Kreistag, Ulla Dieckmann, sagte: "Integration heißt Teilhabe am täglichen Leben. Das wird Flüchtlingen hier massiv erschwert. Das ist Ausgrenzung." Die Kreisvorsitzende der Grünen, Helga Stieglmeier, schreibt: "Integration wird zwar mit Integrationsgesetzen gefordert, offensichtlich in der Praxis aber überhaupt nicht gewünscht." Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer schreibt: "Mit derartigen Aktionen werden geflüchtete Menschen entmündigt - und das gezielt und planvoll."

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