Jura für den Alltag:So funktioniert Deutschland

Jura für den Alltag: Die Rechtskunde ist kompliziert: Zehainesc Ifter-Gebrekidan (hinten links) übersetzt, was Richterin Ramona Wolfe den Schülern erzählt.

Die Rechtskunde ist kompliziert: Zehainesc Ifter-Gebrekidan (hinten links) übersetzt, was Richterin Ramona Wolfe den Schülern erzählt.

(Foto: Renate Schmidt)

Richterin Ramona Wolfe erklärt Flüchtlingen an der Berufsschule Erding grundlegende Gesetze. Die überwiegend eritreischen Schüler zeigen großes Interesse. In anderen Gruppen wird auch heftig diskutiert

Von Veronika Wulf, Erding

In Deutschland haben Männer und Frauen das Recht zu wählen, Eltern dürfen ihre Kinder nicht schlagen und auch mündliche Verträge sind gültig. Was für die meisten Bürger selbstverständlich ist, müssen Neuankömmlinge oft erst lernen. Seit Ende 2015 finanziert das bayerische Justizministerium deshalb Rechtskunde für Flüchtlinge. Beispielsweise Berufsschulen können dieses Angebot in Anspruch nehmen und einen Richter des Amtsgerichts ihrer Stadt einladen. Das hat jetzt auch die Berufsschule Erding getan. Amtsrichter erklären den Flüchtlingen der 11. Berufsintegrationsklassen (BIK) grundlegende Prinzipien und Werte der deutschen Rechtsordnung, des Zivil-, Straf- und Familienrechts.

Es ist 8.15 Uhr in der Berufsschule, 17 Schüler im Alter von 17 bis 22 Jahren haben sich im Halbkreis auf den Stühlen versammelt und schauen erwartungsvoll zu Richterin Ramona Wolfe, die ihnen in den nächsten drei Stunden erklären wird, wie Deutschland funktioniert. Sie sind die Tigriniya-Gruppe, fast alle kommen aus Eritrea, wo Tigrinya gesprochen wird. Auch zwei junge Guineer sind dabei, die Tigrinya aber weitgehend verstehen. Ein Stockwerk höher findet Rechtskunde auf Kurdisch statt. In allen Sprachgruppen hilft ein Übersetzer, denn Gesetze sind oft kompliziert und es kommt auf Feinheiten an.

Meist sind die jungen Männer und Frauen bisher vor allem mit einem Teil des deutschen Rechts in Berührung gekommen: dem Asylrecht. Jetzt geht es um das Recht, das das Zusammenleben regelt, erklärt Wolfe. Übersetzerin Zehainesc Ifter-Gebrekidan wiederholt Satz für Satz auf Tigrinya. "Ich gehe davon aus, dass Sie eine Zeit lang in Deutschland bleiben. Ich werde Ihnen helfen, dass Sie sich besser integrieren können." Zu jedem Rechtsbereich zeigt Wolfe ein kurzes Video des Justizministeriums: In einfachen Worten und Zeichnungen werden die Systeme erklärt. Es tauchen auffallend viele Polizistinnen und Richterinnen darin auf. Der Unterricht legt bewusst Schwerpunkte: auf Gleichberechtigung der Frau, Religion und all das, was Flüchtlingen in ihrem Alltag begegnet wie Mietverträge und geklaute Handys.

"Die Bundesrepublik ist eine Demokratie. Was bedeutet das?", fragt Wolfe die Klasse. "Freiheit", "Religionsfreiheit", antworten die Schüler. Das gehöre dazu. "Zunächst bedeutet es aber die Herrschaft des Volkes. Die Staatsgewalt liegt nicht in den Händen eines Herrschers oder Monarchen." Die Schüler hören still und aufmerksam zu. Das ist nicht in allen Gruppen so. "In der Arabisch-Gruppe gab es gerade bei der Religionsfreiheit große Diskussionen", sagt Annekatrin Schulz, Lehrerin an der Berufsschule, die auch Flüchtlinge unterrichtet. "Warum darf der Muezzin dann nicht zum Gebet rufen?", habe ein Schüler gefragt. Auch dass Männer in Deutschland nur eine Frau heiraten dürfen, habe nicht allen eingeleuchtet. Die eritreische Gruppe dagegen nickt meist verständnisvoll. "Unter den Eritreern sind die meisten Christen", sagt Schulz. Ihre Kultur unterscheide sich nicht so sehr von der deutschen.

Das Meiste, was Richterin Wolfe sagt, nehmen die Schüler unkommentiert auf: Man darf niemanden einsperren oder körperlich verletzten, "auch nicht den Ehepartner oder die eigenen Kinder". Häufig betont Wolfe die Gleichstellung der Frau: Eine Frau dürfe arbeiten, egal ob sie verheiratet ist oder nicht und egal ob ihr Mann das will. "Wenn man von einer Polizistin angehalten wird, muss man ihr genauso Folge leisten wie einem Polizisten." Mehrmals wiederholt sie auch, dass nur Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte das Recht durchsetzen dürfen - keine Geistlichen, Privatpersonen oder selbsternannte Friedensrichter. "Dem Staat kann man vertrauen, er ist nicht bestechlich", betont Wolfe. Fragen kommen vor allem bei den Themen Schwarzfahren und Verträge auf. Die Schüler wollen nichts falsch machen, aber auch ihre Rechte kennen. Die Fragen, die Richterin Wolfe ihnen stellt, beantworten sie meist richtig. "Was kann man machen, wenn man mit der Politik nicht zufrieden ist?", fragt Wolfe. "Demonstrieren", ruft ein Schüler. "Fliehen", sagt ein anderer. Die Klasse lacht. Es war als Witz gemeint.

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