Julius Langbehn:Rassist und Wichtigtuer

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Der völkische Philosoph und Autor Julius Langbehn ist unter der Edigna-Linde in Puch begraben. Er zählt zu den Wegbereitern des Nationalsozialismus, doch bis heute wollen manche Bürger das nicht glauben

Von Peter Bierl

Tausend Jahre soll die Linde alt sein, die den Friedhof von Puch (Landkreis Fürstenfeldbruck) prägt. Der Legende nach lebte in ihrem hohlen Stamm einst Edigna, Tochter des französischen Königs Heinrich I., vor dem die keusche Prinzessin flüchtete, als der Vater, ein Raubein, sie vermählen wollte. Auf einem Ochsenkarren soll sie 1074 nach Puch gelangt sein und dort als Einsiedlerin Wunder gewirkt haben. Gesicherte Daten gibt es nicht, die Heilige soll vor Viehseuchen und Diebstählen schützen. In Puch wird Edigna bis heute verehrt, es gibt ein Festspiel, viele Frauen tragen ihren Namen.

Der berühmteste Edigna-Verehrer liegt im Schatten der alten Linde begraben: Julius August Langbehn, einer jener völkischen Propheten, die im Kaiserreich säten, was die Nationalsozialisten ernteten. Langbehn wurde 1851 in Hadersleben in Nordschleswig geboren. Er meldete sich 1870 als Kriegsfreiwilliger, schlug sich als Kellner, Fremdenführer und Sekretär durch und studierte Archäologie und Kunst in Venedig und München. Nach der Dissertation 1881 betätigte er sich als Lehrer und Journalist. Er galt im Freundes- und Bekanntenkreis als Sonderling und stilisierte sich später zum Geistesaristokraten, Missionar und Wunderheiler, schreibt der Philosoph Konrad Lotter, der sich mit Langbehns Leben und Werk beschäftigt hat. "Er war ein aufgeblasener Typ, der sich wichtig gemacht hat", sagt Lotter.

Das gelang Langbehn mit einem Buch mit dem Titel "Rembrandt als Erzieher", das zunächst anonym erschien und ihn doch berühmt machen sollte. Noch im gleichen Jahr folgten 30 Auflagen, weitere 50 Auflagen erschienen bis in die Nazizeit. Der Überraschungserfolg wird verständlich, wenn man sich die damalige Stimmung vor Augen hält. Die Euphorie nach der Gründung des Kaiserreiches 1871, genährt von französischen Reparationszahlungen, endete mit einer Wirtschaftskrise. Die rasche Industrialisierung und Urbanisierung unterminierte traditionelle Werte, die Mittelschicht fürchtete, ins Proletariat abzugleiten. Antisemiten und Rassisten gewannen einen Massenanhang. Dieser Kulturpessimismus grundiert Langbehns Werk. Er lehnte die Moderne ab und fabulierte von einer Wiedergeburt der Deutschen. Dabei sollte die Kunst eine entscheidende Rolle spielen, allerdings eine Kunst auf rassischer Grundlage, sagt Lotter. Er hat Ästhetik am Institut für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft der Münchner Universität gelehrt und ist Mitherausgeber eines Ästhetik-Lexikons.

Ein Vorbild für Langbehn war der holländische Maler Rembrandt. Langbehns Plädoyer für eine deutschvölkische Kunst beeinflusste die Heimatkunstbewegung, die Lotter als Bindeglied zum Blut-und-Boden-Kitsch der Nazis auffasst. Langbehn beklagte den Verfall des geistigen Lebens und moralischer Werte. Die Demokratie lehnte er ab und favorisierte die Herrschaft einer Aristokratie. Die Deutschen definierte er als Angehörige der edelsten Rasse, der Arier, die ihr Blut gegen fremdes Blut durchsetzen müssten. Als Hoffnungsträger machte Langbehn eine ominöse niederdeutsche Rasse aus, die er in Rembrandt, Shakespeare und Beethoven sowie Reichskanzler Bismarck verkörpert sah. Die Preußen hingegen hielt Langbehn für verdorben durch Blutmischung mit Slawen und Juden. Solche rassistischen Vorstellungen durchziehen das Werk, damit traf er den Nerv vieler Zeitgenossen. Seine Haltung gegenüber den Juden scheint ambivalent. Einigen wenigen attestierte Langbehn Unverdorbenheit wie den Niederdeutschen. Die Masse hielt er hingegen für geldgierig und heimtückisch. Sie hätten ihren Charakter verloren, weil sie Deutsche, Engländer und Franzosen hätten sein wollen. Unschwer ist zu erkennen, dass Langbehn gegen die rechtliche Gleichstellung und Integration der Juden Front macht.

1892 erschien die Schrift "Der Rembrandtdeutsche. Von einem Wahrheitsfreund" - wiederum anonym. Sie enthielt zwei Rezensionen des Tübinger Theologen Paul Wilhelm von Keppler (1852-1926), des späteren Bischofs von Rottenburg, sowie "666 Schlussbemerkungen". Die Zahl 666 gilt in okkulten Kreisen als Zahl des Antichristen. In diesen Aphorismen rechnete Langbehn mit Kritikern ab. Er schlug zurück gegen Professoren und Journalisten, die ihm die Anerkennung versagten. Wer heute gegen die "Lügenpresse" hetzt, findet dort Munition. Als Drahtzieher machte Langbehn die Juden aus, sie würden die Presse, die Literatur und die Bildung kontrollieren, die Bauern um ihr Land prellen.

Dieses "Synagogengeschmeiß" vergifte Deutschland, sie seien wie "Pest und Cholera" und müssten entrechtet, ins Ghetto zurück geschickt, vertrieben oder vernichtet werden. Auch in Deutschland sei eine "Austreibung oder Niedermetzlung ihres Stammes" nicht unmöglich, heißt es drohend. "Und wer weiß, ob nicht doch noch einmal in Deutschland Juden verbrannt werden." Der Text ist beispielhaft für den eliminatorischen Antisemitismus, der im Kaiserreich grassierte und den die Nationalsozialisten verwirklichten.

Mit seiner Hinwendung zum Katholizismus greift Langbehn auf das Arsenal des christlichen Antijudaismus zurück: die Juden als Gottesmörder, als Ritual- und Kindermörder, die nach Christenblut dürsteten und sich als sittliche Brunnenvergifter betätigten. Die völkische Grundierung bleibt: Für Langbehn stand fest, dass Jesus und die Apostel mit Ausnahme von Judas keine Juden gewesen sein können, sondern mindestens halbe Arier waren.

Langbehn lernte den Maler und Schriftsteller Benedikt Momme Nissen (1870-1943) kennen. Nissen wird sein enger Freund, Vertrauter und Biograf. Der Historiker Bernd Behrendt hat 1984 in seiner Analyse nur Langbehns Dissertation, ein völkerpsychologisches Traktat sowie die Bücher "Rembrandt als Erzieher" und "Der Rembrandtdeutsche" berücksichtigt, aus denen die obigen Zitate stammen. Bei allen anderen Werken sei nicht klar, was Langbehn oder Nissen geschrieben haben.

Langbehn war 1875 aus der lutherischen Kirche ausgetreten, am 26. Februar 1900, dem angeblichen Todestag Edignas, ließ er sich katholisch taufen. Das Datum sei kein Zufall. Langbehn habe sich seelenverwandt gefühlt, vermutet Lotter. Auf seinen Wanderungen hatte er Edignas Grab entdeckt. Dass sie der Stadt Paris die ländliche Einsamkeit vorgezogen hatte, passte zu seinem antimodernen Weltbild, in dem eine Stadt wie Berlin als degenerierter, jüdisch kontrollierter Moloch galt.

Schließlich verfügte Langbehn, dass er anonym neben Edignas hohler Linde beerdigt werden wollte. "Hier möchte ich wohl begraben sein. In einer Großstadt lieber nicht", soll er geäußert haben. Nissen ließ den Leichnam von Rosenheim überführen, wo Langbehn an Magenkrebs gestorben war. Der Pfarrer, der ihn beerdigte, kannte den Namen des Toten nicht, die Aufschrift am Grab lautete ursprünglich: "A.J.L. Geb. 1851 Gest 1907". Nachdem Jahre später die Identität Langbehns aufgedeckt worden war, wurde eine Marmortafel mit Namen und Lebensdaten angebracht. Auf dem Grabstein steht heute der Verweis "Der Rembrandtdeutsche", darunter ein Spruch von Bischof Keppler: "Auch er war die Stimme eines Rufenden in der Wüste." Das Grab steht unter Denkmalschutz und wird von Bürgern gepflegt.

Den 50. Todestag des Propheten feierte die Gemeinde Puch 1957 an der Edigna-Linde mit Ansprachen und Kranzniederlegung. Es sei eine große Ehre für Puch, "den großen Philosophen auf dem hiesigen Friedhof zu haben", erklärte der damalige Bürgermeister. Ein Regierungsrat wünschte sich, "dass die Saat des Verstorbenen in den Menschen unserer Zeit aufgehen möge". Niemand scheint auf die völkische Ideologie Langbehns hingewiesen oder gar daran Anstoß genommen zu haben, jedenfalls wenn der Bericht der Lokalzeitung über die Feier korrekt ist.

Zwölf Jahre später beschloss der Gemeinderat, dem Andenken Langbehns eine Straße zu widmen. Warum, das ist aus dem Protokoll nicht ersichtlich. Sie beginnt am Kriegerdenkmal und endet am Ortsausgang. Etliche Anwohner hängen bis heute an dem Straßenpatron, und manche pflegen die Legende, er habe mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun gehabt.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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