Hitzige Debatte um Hochwasserschutz:Ohne Solidarität geht es nicht

Hochwasserrückhaltebecken

Am Oberlauf der Sempt soll das Wasser bei Gefahr aufgehalten werden. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen.

(Foto: SZ-Grafik)

Erding braucht für den eigenen Hochwasserschutz die Unterstützung des Nachbarn. Eine Variante sieht ein Rückhaltebecken und einen hohen Damm auf der Flur der Gemeinde Wörth vor

Von Mathias Weber

In kein Jahr hätte die Diskussion um den Hochwasserschutz entlang der Sempt, wie sie in der Öffentlichkeit und zum Teil auch von der Politik geführt wurde, besser gepasst als in das Jahr 2016. Ein Jahr, in dem das "Postfaktische" in der Gesellschaft angekommen ist, in dem es mehr um Gefühle, vor allem um Ängste ging und kaum mehr um die Fakten.

Der erste Höhepunkt der turbulenten Diskussion war Mitte Juli. An einem verregneten Mittwochabend lud das Wasserwirtschaftsamt in die Wörther Turnhalle ein, die fast voll besetzt war. Das Amt wollte endlich informieren, welche Maßnahmen es geplant hatte, um in Zukunft im Hochwasserfall Schaden von den Erdinger Ortsteilen entlang der Sempt und den Orten am Oberlauf des Flusses abzuhalten. Gerüchte gab es im Vorfeld genug. Bekannt war, dass auf Wörther Flur wohl ein Hochwasserrückhaltebecken entstehen solle, das im Fall des Falles mit dem Wasser der Sempt geflutet werden soll. Die beiden Bürgermeister Max Gotz (CSU, Erding) und Thomas Gneißl (ÜPWG, Wörth) machten Druck beim Wasserwirtschaftsamt. Sie wollten ihre Bürger endlich wissen lassen, was im Münchner Amt geplant wird.

Die Infos kamen dann, und sie haben den Wörthern gar nicht geschmeckt. Das Wasserwirtschaftsamt hat zwei verschiedene Varianten untersucht: einmal einen Ausbau des sogenannten linearen Hochwasserschutzes im Erdinger Stadtgebiet. Das würde meterhohe Dämme und Schutzwände in Bergham, Aufhausen, Langengeisling und Altenerding bedeuten. In einer internen Untersuchung hat aber die zweite Variante besser abgeschnitten: das Hochwasserrückhaltebecken zwischen Wörth im Süden, Niederwörth im Norden und der Bahnstrecke und der Wilfinger Straße im Westen. Das Becken soll im Mittel alle 20 bis 50 Jahre im Einsatz sein, gestaut wird es durch einen neu zu bauenden, 1,4 Kilometer langen Damm, der zwischen einem bis 3,5 Meter hoch sein soll. Außenstehenden schien die Argumentation des Wasserwirtschaftsamtes, warum es diese Variante sein soll, nachvollziehbar. Für die Wörther waren sie ein Schlag ins Gesicht. Niemand konnte sich vor allem für den geplanten Damm erwärmen. Angst vor den Folgen, die dieses Bauwerk für die Anwohner haben könnte, war ein zentraler Faktor an jenem Abend in Wörth; und sehr geringes Vertrauen gegenüber den Experten der staatlichen Stelle. Da wurde zum Beispiel die Kostenkalkulation in Frage gestellt: Wer sage denn, dass das alles so stimmt? (Eine Vertreterin der Regierung von Oberbayern, die die Finanzkalkulationen überprüft, tat das.) Sogar Bürgermeister Thomas Gneißl stimmte ein; er stellte ganz offen die Kompetenz des Wasserwirtschaftsamtes in Zweifel mit fragwürdigen Aussagen: "Ergebnisse", sagte er, könne man "hinmassieren". Auch wenn Erdings OB Gotz sagte, man müsse den Experten Vertrauen schenken - die Wörther hatten sich da schon ihre Meinung gebildet.

In der ist der große Nachbar, die Kreisstadt, der Feind, auf dessen Kosten man in Wörth womöglich eines Tages absäuft. "Hier kämpft David gegen Goliath", hieß es aus Niederwörth. Gotz mahnte allerdings wieder - auch auf der zweiten Informationsveranstaltung in Altenerding später im Jahr - zur verbalen Abrüstung. Auch Bürgermeister Gneißl war erkennbar auf verbale Abrüstung aus, was den Wörther Besuchern der Veranstaltung aber ziemlich egal war: Ihre "Hausaufgaben" hätten die Experten aus München "nicht richtig gemacht", von "unseriöser Planung" war die Rede. Am Ende wurde aus dem maximal dreieinhalb Meter hohen Dammbauwerk sogar ein "Staudamm". Wobei es auch von Erdinger Seite bisweilen wenig hilfreiche Diskussionsbeiträge gab: Hochwasserreferent Burkhard Köppen forderte zum Beispiel mehr Solidarität von Wörth. Er erinnerte daran, dass der Erdinger Stadtrat einst die Bahn-Südeinschleifung Richtung Dorfen verhindert hatte, die für genau diesen Bereich bei Wörth ein massives Bahn-Bauwerk bedeutet hätte. Die aggressiv geführte Debatte war den Beteiligten am Ende des Jahres wohl selbst zu viel. Zumindest ist es wieder ruhiger geworden in der Debatte um den Hochwasserschutz, doch das dürfte sich 2017 wieder ändern. Das Wasserwirtschaftsamt hat für die erste Jahreshälfte eine weitere Informationsveranstaltung angekündigt, dann soll das Ergebnis einer Grundwasseranalyse vorliegen. Denn das ist eine große - berechtigte - Sorge der Wörther: Der Damm soll mit sogenannten Spundwänden in der Erde verankert werden, und diese Wände könnten das Grundwasser aufstauen und in die Keller der Anwohner drücken. Mittlerweile hat sich auch eine Interessensgemeinschaft in Wörth gegründet.

Das Wasserwirtschaftsamt glaubt, dass solcherlei Probleme technisch lösbar sind. Die Wörther wird das kaum beruhigen. Sie werden auf absehbare Zeit keinen Frieden schließen mit dem Damm und dem Becken. Bürgermeister Gneißl hat das im Laufe des Jahres immer wieder gesagt: Er will die Interessen seiner Bürger verteidigen - auch vor Gerichten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: