Historie:Hühnergegacker mitten in der Stadt

Bis vor wenigen Jahrzehnten hat es selbst im Freisinger Zentrum zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe gegeben. Die Interessengemeinschaft Bürgerturm stellt Bilder der Anwesen damals und heute gegenüber

Von Peter Becker, Freising

Gackernde Hühner, Schweine oder Kühe mitten in der Stadt Freising, das ist heute unvorstellbar. Doch jeder Bürger, der es sich leisten konnte, hielt sich noch bis ins 19. Jahrhundert hinein in einem Verschlag auf seinem Grundstück ein wenig Vieh, um sich selbst zu versorgen. Das ist noch lange keine Landwirtschaft. Gewerbliche bäuerliche Betriebe, schreibt Stadthistoriker Florian Notter zur aktuellen Ausstellung der Interessengemeinschaft Bürgerturm "Ökonomie in der Innenstadt Freising", hätten sich erst durch den Wegfall von Beschränkungen in der Stadt niederlassen können. Es ist das Verdienst der Interessengemeinschaft, Fotos von einstigen landwirtschaftlichen Anwesen in Freising zusammengetragen zu haben.

220 Bilddokumente an 26 Schautafeln sind auf zwei Stockwerken des alten Gemäuers am Unteren Graben 25 bis zum 28. Oktober ausgestellt. Die Interessengemeinschaft Bürgerturm ist sich ihrem Motto "Freising einst und jetzt" treu geblieben. Den historischen Aufnahmen sind aktuelle Fotos gegenübergestellt. Der Betrachter kann so nachvollziehen, was aus den einstigen bäuerlichen Anwesen in der Freisinger Innenstadt geworden ist.

Die Initiatoren der Ausstellung haben sich dabei auf die Stadtmitte selbst und die heutigen Stadtteile Vötting und Neustift beschränkt. Letztere gehörten 1890, dem Jahr, von dem aus sie ihren Zeitbogen in die Gegenwart schlagen, noch nicht zu Freising. Im Norden reicht ihr Untersuchungsgebiet bis zum ehemaligen Standort der E-Kaserne. Die gibt es nicht mehr. Dort, gegenüber einem Supermarkt, stehen jetzt moderne Wohnhäuser an der Haindlfinger Straße. Lerchenfeld hat die Interessengemeinschaft nach Angaben des Vorsitzenden Reinhard Bögl bewusst ausgelassen. Dies hätte den Rahmen der Ausstellung gesprengt.

Historie: Wie sehr Freising noch im Jahr 1956 von der Landwirtschaft geprägt war, illustrieren die Bilder, die in der aktuellen Ausstellung der Interessengemeinschaft Bürgerturm zu sehen sind.

Wie sehr Freising noch im Jahr 1956 von der Landwirtschaft geprägt war, illustrieren die Bilder, die in der aktuellen Ausstellung der Interessengemeinschaft Bürgerturm zu sehen sind.

(Foto: Marco Einfeldt)

Als Quellen dienten Bögl und seinen Mitstreitern Adressbücher aus den Jahren 1890, 1920 und 1949 sowie die umfangreiche Häuserkartei des Stadtarchivs, die Franz Bichler erstellt hat. Immerhin: Laut Bögl hat es in der Freisinger Innenstadt in der Vergangenheit weitaus mehr als 50 landwirtschaftliche Anwesen gegeben. 51 von ihnen sind in der Ausstellung zu sehen. An geeignetes Fotomaterial heranzukommen, war bisweilen schwierig. "Die Bauern haben halt lieber ihre eigenen Ochsen fotografieren lassen als ihr Anwesen oder sich selbst", scherzt Bögl. Über ihre Nachfolgefamilien oder das Stadtarchiv gelang es der Interessengemeinschaft Bürgerturm in der Folge doch, umfangreiches Bildmaterial zu beschaffen.

Und eine weitere Schwierigkeit war zu bewältigen. Interessengemeinschaft-Pressesprecher Martin Maier erläutert, dass sich manches landwirtschaftliche Anwesen in Freising als Mietshaus entpuppte. "Es war im Besitz eines Landwirts aus dem Landkreis", erklärt er. Dieser habe seinen Stadtbesitz weiter vermietet. Für die Wippenhauser Straße waren beispielsweise zwölf Landwirte aufgelistet. Nach genauer Recherche stellte sich dabei aber heraus, dass es sich um Angestellte des Schafhofs handelte.

Historie: Die Amtsgerichtsgasse im Jahr 1956.

Die Amtsgerichtsgasse im Jahr 1956.

(Foto: Marco Einfeldt)

Ein prominentes Beispiel der Ausstellung ist das Anwesen von Kaspar Hiebl an der Mainburger Straße 54. Einst trug es die Hausnummer 704. Der Steckbrief des Anwesens schildert, wie der Maschinenfabrikant Sebastian Buchberger 1873 beim Freisinger Magistrat die Bewilligung zum Bau einer Waschküche samt Stallung beantragt hat. 1880 wurde der Besitz versteigert. 1883 eröffnete Johann Kirmaier ein Maschinengeschäft. 1887 stellte der Ökonom Kaspar Hiebl den Antrag, dort ein Wohnhaus mit Stallung bauen zu dürfen.

Einer seiner gleichnamigen Nachfahren führte 1949 noch das landwirtschaftliche Anwesen weiter, baute aber Anfang der Sechzigerjahre einen Aussiedlerhof am Pförrerauweg in Lerchenfeld. Sein ebenfalls gleichnamiger Sohn übernahm den Hof. Er war ein großer Pferdefreund und nahm regelmäßig am Oktoberfestzug teil. Seine zweite große Leidenschaft galt Autos, insbesondere Lastwagen. Das war der Grund, warum sich Hiebl aus der Landwirtschaft zurückzog und an der Mainburger Straße ein modernes Transportunternehmen gründete. Seine Heizöltankwagen sind vielen Freisingern in Erinnerung geblieben. Inzwischen wird das Anwesen an der Mainburger Straße von den Erben als Mietobjekt, aber auch gewerblich genutzt.

Historie: Die Amtsgerichtsgasse heute.

Die Amtsgerichtsgasse heute.

(Foto: Marco Einfeldt)

Natürlich fehlt in der Ausstellung die ein oder andere Anekdote nicht. So zum Beispiel die von Mathias Kreitmair, dessen Hof sich an der Auffahrt zum Domberg befand. Sein Schwiegervater war Josef Schreiber, Funkbauer von Wellhausen. Dieser fuhr oft stilgerecht in Dachauer Tracht mit Silberknöpfen und Röhrenstiefeln nach München. Dort fiel er Kronprinz Luitpold auf, der ihn malen lassen wollte. Schreiber willigte ein. Was aus dem Bild geworden ist, weiß niemand. Die Familie Kreitmair hat der Ausstellung aber ein Foto einer kleinen Kopie des Gemäldes leihweise überlassen.

Mathias Kreitmair heiratete eine der drei Töchter Schreibers. 1890 kaufte er das Anwesen des Riedererbauern an der Auffahrt zum Domberg. Erhalten ist das Hauptgebäude mit dem auffälligen Sonnentor. Dort gab es einen Stadel und einen Stall für fünf Kühe, ein Pferd und einige Hühner. Die Felder der Kreitmairs lagen schon damals weit vor der Stadt in Lerchenfeld, Attaching und dem Moos. Seine Nachfahren bewirtschaften diese jetzt von einem Hof in Anglberg aus.

Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es für die landwirtschaftlichen Betriebe in der Stadt zu eng. Es war kein Platz mehr, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. So wurde der Hof von Lorenz Bauer an der Apothekergasse 5, der 1967 durch einen Großbrand beschädigt worden war, erst gar nicht mehr aufgebaut. Auf dem Grundstück steht heute ein Mietshaus, das sich im Familienbesitz befindet.

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