Halbjahresbilanz der Agentur für Arbeit:Selbst in Traumberufen fehlen Auszubildende

Wer im Landkreis eine Lehrstelle sucht, hat sehr gute Chancen. Das gilt mittlerweile auch für die beliebten Bürojobs

Von Regina Bluhme, Erding

Es ist Halbzeit auf dem Ausbildungsmarkt - zumindest nach den Berechnungen der Agentur für Arbeit, deren Beratungsjahr am 1. Oktober 2017 begonnen hat. Gemeldet wurden im Landkreis Erding bislang 620 freie Ausbildungsstellen. Zugleich machten sich 626 Jugendliche mithilfe der Berufsberatung auf Lehrstellensuche. Wer jetzt noch keine Lehrstelle ergattert hat, hat immer noch sehr gute Chancen, einen Platz zu finden, betont die Agentur für Arbeit. Auch in Berufen, die besonders begehrt sind, zum Beispiel im Einzelhandel oder im Büromanagement. Bis zum offiziellen Ausbildungsbeginn im August und September ist noch hin, und bei den Zahlen "ist noch einiges im Fluss", betont Christine Schöps, Pressereferentin der Agentur für Arbeit Freising (Einzugsgebiet: Erding, Freising, Dachau und Ebersberg). Im März waren für alle vier Landkreise zusammen laut Agentur 1678 freie Ausbildungsstellen gemeldet. Insgesamt 1226 Jugendliche hatten zuletzt noch nicht den passenden Ausbildungsplatz gefunden. Für eine Bewerbung ist es auf keinen Fall zu spät, schreibt Pressereferentin Christine Schöps. Besonders gute Chancen haben laut Arbeitsagentur - "sofern die individuellen Voraussetzungen passen" - Bewerber für folgende Ausbildungen: Kaufmann-/frau im Einzelhandel, Verkäufer/in, Lagerlogistik-Fachkraft, Kaufmann/-frau im Groß- und Außenhandel oder zum Handelsfachwirt/in.

Laut Statistik der Agentur rangiert unter den Top-Ten der Lieblingsberufe bei den Mädchen im Berufsberatungsjahr 2017/18 auf Platz Eins Kauffrau im Büromanagement, gefolgt von Medizinischer Fachangestellter und Industriekauffrau. Bei den Jungs liegt Kfz-Mechatroniker auf Platz eins, gefolgt von Mechatroniker und Kaufmann im Einzelhandel. Auf den ersten Plätzen aller bei der Arbeitsagentur gemeldeten Ausbildungsstellen im Landkreis Erding liegen Kaufmann/-frau im Einzelhandel, Feinwerkmechaniker/in und Fachkraft Lagerlogistik. Diese Berufe seien natürlich auch der Branchenstruktur im Landkreis Erding geschuldet, fügt Schöps an. "Der Handel ist hier eine starke Branche", generell gebe es in der Boomregion eine Vielzahl an Ausbildungsmöglichkeiten.

Kürzlich bei der Regionalkonferenz der IHK-Kreisgruppe Erding-Freising hatten mehrere Mitglieder erklärt, dass sie mittlerweile höhere Gehälter zahlten, um überhaupt noch Mitarbeiter zu bekommen. Aber das Lohnniveau sei nicht "das Kriterium Nummer Eins" bei den Jugendlichen, ist Christine Schöps überzeugt. Die wichtigste Frage laute: Gefällt mir der Job? "Das Materielle kommt bei vielen Auszubildenden noch nicht so zum Tragen, weil die meisten ja noch zu Hause wohnen" und sich zum Beispiel nicht um die Miete kümmern müssten.

Um sicher zu sein, dass der Traumjob auch passt, rät die Agentur zu einem Praktikum. "Und man sollte auch einen Plan B haben", so Schöps. Manchmal würden die Jugendlichen nämlich in einer ganz anderen Sparte als gedacht fündig. Wie zum Beispiel der junge Mann, der bei Simone Grahl, Berufsberaterin bei der Agentur für Arbeit Freising, vorgesprochen und ganz genaue Vorstellungen mitgebracht hatte: Der Mittelschüler wollte unbedingt tiermedizinischer Fachangestellter werden, berichtet Christine Schöps. "Die Stellen dafür sind in unserer Region leider rar gesät", fährt Schöps fort, und so habe der Schüler trotz guter Noten und zahlreicher Bewerbungen keine Zusage erhalten. Als er im Gespräch mit Simone Grahl berichtete, dass sein Hobby die Wasserwacht sei, schlug die Berufsberaterin eine Ausbildung als Fachkraft für Bäderbetriebe vor. Nach einem Praktikum und mehreren Bewerbungen bei Schwimmbädern, habe der junge Mann nun einen Ausbildungsvertrag in der Tasche, so Schöps.

Den Mittelschüler hätte das Handwerk auch gut brauchen können, "aus der Mittelschule kommen ja traditionell unsere Auszubildenden", sagt Rudolf Waxenberger, der Erdinger Kreishandwerksmeister. Das Handwerk suche weiterhin händeringend "ausbildungswillige und ausbildungsfähige Mitarbeiter - und Fachkräfte sowieso". Während es in einzeln Branchen wie dem Schreiner- und Zimmererhandwerk "noch ganz gut" laufe bei den Auszubildenden, so sehe es in der Gastronomie und auf dem Bau "bitterböse" aus, betont Waxenberger, der selbst in der Baubranche tätig ist. Das Grundübel liegt seiner Ansicht nach am "Akademisierungswahn", wie er erklärt. Auch an der Berufsschule werde heute einiges von Auszubildenden am Bau gefordert. Hier allerdings sieht Waxenberger eine weitere Hürde und zwar auf Seiten der Bewerber: Von diesen müssten die Arbeitgeber auch "eine gewisse Disziplin" einfordern: Neben Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit eben auch den Willen, "eine gewisse Leistung zu bringen, auch in der Berufsschule". Und das bedeute: Bereitschaft zum Lernen.

Licht am Ende des Tunnel kann Waxenberger trotz Imagekampagnen nicht erkennen. Ein wenig überspitzt, aber durchaus treffend, habe ihm kürzlich ein verzweifelt suchender Fliesenleger erklärt: "Wenn der nächste Bewerber kommt, dann lege ich ihm eine Fliese hin, und wenn er erkennt, dass das eine Fliese ist, dann nehme ich ihn."

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