Nationalsozialismus:Massenweise Nazi-Geschenke - im "persönlichen Auftrag des Führers"

Nationalsozialismus: Die eineiigen Zwillinge Hermann und Franz Wandinger wurden am 24. Juli 1897 in Dorfen geboren.

Die eineiigen Zwillinge Hermann und Franz Wandinger wurden am 24. Juli 1897 in Dorfen geboren.

(Foto: oh)

Die Dorfener Goldschmiede Franz und Hermann Wandinger haben fleißig für Adolf Hitler gearbeitet. Sie schufen "Ehrengeschenke" für Nazigrößen und internationale Faschisten.

Von Florian Tempel

In Dorfen, wo die Zwillingsbrüder Franz und Hermann Wandinger als kulturelle Persönlichkeiten auf der Stadthomepage geehrt werden und eine Straße nach ihnen benannt ist, ist zu ihnen in der Zeit des Dritten Reichs bislang nur eine Anekdote bekannt. Die geht so: 1933 erhielten die damals 36 Jahre alten Goldschmiedemeister den Auftrag, einen silbernen Maurerhammer für die Grundsteinlegung des Haus der Kunst zu schmieden. Als Adolf Hitler am 15. Oktober 1933 mit diesem Hammer auf den Grundsteinsockel haute, zerbrach er und hätte ihn beinahe am Kopf getroffen.

Die Grundsteinhammer-Anekdote ist eine wahre Geschichte, aber nicht die Wahrheit zu den Brüdern Wandinger in den Jahren des Nationalsozialismus.

Schon was Franz Wandinger in einer eidesstattlichen Erklärung vom 3. November 1949 zum zersprungenen Grundsteinhammer schreibt, verzerrt die Sache erheblich und bestimmt nicht unabsichtlich: "Die Folgen waren für uns verheerend, drohende Verhaftung, da ein Anschlag vermutet wurde. Ausserdem war es für uns auch geschäftlich und künstlerisch von grösstem Nachteil." Sicher gab es unangenehme Fragen, aber es gab keine nachhaltigen Probleme.

Als die Brüder Wandinger in späteren Jahren zumindest eingestanden, sie hätten nach dem missglückten Hammer sehr wohl weitere "staatliche Aufträge" erhalten, trifft auch das den Nagel nicht auf den Kopf, sondern geht weit daneben. Die nach ihrem Tod ausgestellte Bescheinigung des aus Dorfen stammenden Kunsthistorikers Hermann Bauer, "eine unpolitischere Kunst als die ihre" sei nicht vorstellbar, macht hingegen stutzig. Wer kommt schon auf die Idee, bei Goldschmieden politische Kunst zu vermuten?

Die Wahrheit zu den Dorfener Goldschmiede-Zwillingen ist, dass sie von 1933 bis 1945 in stetig größer werdendem Umfang "im persönlichen Auftrag des Führers" gearbeitet haben, was sich anhand von archivierten Dokumenten - in denen sich die zitierte Formulierung häufig findet - klar nachvollziehen lässt.

Die Firma "Franz und Hermann Wandinger" mit Sitz in der Haager Straße in Dorfen und einem Atelier in der Münchner Maxvorstadt hat zum Beispiel massenhaft Silberwaren nach Berlin in die Neue Reichskanzlei und auf den Obersalzberg geliefert, das persönliche Tafelsilber des Führers. Die Wandingers produzierten zudem viele Dutzend handgehämmerter Fotorahmen aus Sterlingsilber für Hitler.

Sie schufen "Ehrengeschenke" für Nazigrößen und internationale Faschisten. Während des Zweiten Weltkriegs produzierten sie unablässig und mit zunehmender Kriegsdauer immer intensiver Goldverzierungen für Hunderte Mappen und Kassetten der Ritterkreuz-Urkunden. Und auch das steht fest: Franz war seit Mai 1933 NSDAP-Mitglied. Hermann war von 1933 bis 1936 bei der SA und von 1937 an Parteimitglied in der NSDAP.

Am 24. Juli 1897 kommt zuerst Franz, dann Hermann in Dorfen auf die Welt. Ihr Vater ist Goldschmied, er stammt aus Wartenberg, hat eine Dorfenerin geheiratet und mit ihr insgesamt sechs Kinder. Die Zwillinge gehen nach der Schule bei Goldschmieden in München in die Lehre. Nach dem Ersten Weltkrieg tritt Franz ins elterliche Geschäft in Dorfen ein, Hermann arbeitet in verschiedenen Betrieben im In- und Ausland.

Nach der Rückkehr besucht er die Kunstgewerbeschule in München und studiert anschließend an der Kunstakademie Bildhauerei. Sein Professor dort ist Joseph Wackerle, den Adolf Hitler verehrt und später auf seine "Gottbegnadeten-Liste" setzen wird. Hermann wird Meisterschüler von Wackerle. Die Brüder gründen in der Adalbertstraße 70 in München ein gemeinsames Goldschmiede-Atelier, als Filiale zum Dorfener Betrieb, den Franz seit 1929 leitet.

Spätestens seit 1928 sind die Brüder mit dem Architekten und Innenarchitekten Paul Ludwig Troost bekannt, ein entscheidender Punkt in ihrem Leben. Troost kennt Hitler seit 1930, ist dessen erster Lieblingsarchitekt vor Albert Speer und prägt stilbildend das nationalsozialistische Erscheinungsbild. Die Eröffnung des von ihm geplanten "Hauses der Deutschen Kunst" erlebt Troost nicht, er stirbt 1934. Doch seine Ehefrau Gerdy führt das Büro weiter und tritt an seine Stelle. Fortan berät sie Hitler, wenn es um Möbel, Wohnaccessoires oder eben Nazi-Urkunden und Kriegsorden geht. Werden Gold- oder Silberschmiedearbeiten benötigt, bekommen die Wandingers den Auftrag.

Gerdy Troost hebt alles auf: die Tagebücher, Pläne und Zeichnungen ihres Mannes, aber auch Geschäftsbriefe, Rechnungen, Aufstellungen und Notizen, als sie die Chefin des Atelier Troost ist. Die US-Armee findet 1945 die in den Kellern des "Braunen Hauses" und des "Führerbaus" gelagerten Papiere. Alles kommt zunächst in die "Library of Congress" in Washington und 1965 zurück nach München, in die Bayerische Staatsbibliothek. Im Nachlass Troost finden sich zahlreiche Dokumente, die von den Brüder Wandinger stammen oder mit ihren Arbeiten zu tun haben.

Wer Hitler-Souvenirs sammelt, kennt die "Wandinger-Twins"

Es gibt nur wenige Historiker, die den Nachlass Troost erforscht haben. Die Brüder Wandinger spielten dabei stets nur eine Nebenrolle. Bei ganz anderen Experten sind die Zwillinge hingegen kleine Berühmtheiten. Amerikanische Sammler von Hitler-Souvenirs und NS-Orden kennen Franz und Hermann als "The Wandinger-Twins" und ihre Werke aus der Zeit des Dritten Reichs stehen bei ihnen hoch im Kurs.

In den USA hat man keine Berührungsängste mit Hitler-Schtonk, sondern sieht sein Tafelsilber, seine Fotorahmen und die NS-Urkundenkassetten als interessante Objekte deutscher Zeitgeschichte. Und so gehört es zur Geschichte von Franz und Hermann Wandinger, dass von ihren Arbeiten ausgerechnet die Teile heute begehrt sind und teuer bezahlt werden, von denen sie selbst am liebsten nichts mehr wissen wollten.

Ihre ersten weiteren Arbeiten für Hitler nach dem missglückten Grundsteinhammer waren die silbernen Fotorahmen und das vielteilige Hitler-Besteck mit allem Pipapo wie Spargelzangen und Hummergabeln. Die Besteckteile haben die Wandingers wohl nur entworfen und in einer Manufaktur produzieren lassen. Lediglich besondere Teile wie Kerzenständer oder Zigarettenkästchen wurden von ihnen selbst hergestellt. Mit einem Lieferschein belegt ist auch eine weitere Lieferung von 750 Teilen auf den Obersalzberg, wo zu Hitlers 50. Geburtstag das "Teehaus Kehlstein" errichtet wurde.

Im gleichen Design wie das Tafelsilber sind Hitlers persönliche Fotorahmen, von denen ausweislich der im Nachlass Troost erhaltenen Bestellungen und Rechnungen etwa 250 Stück von den Wandingers gefertigt wurden. Die eigentliche Handarbeit hat von 1937 bis 1942 wohl Franz Wandinger geleistet. Sein Bruder Hermann ist von 1936 bis 1942 Direktor der Goldschmiede-Meisterschule in Hanau.

Dort verkracht er sich allerdings mit dem Bürgermeister und dem Landrat von Hanau, weil er sich nach deren Geschmack zu oft in München statt in Hanau aufhielt. Das alles ist in Akten im Bundesarchiv in Berlin archiviert. 1942 wird er auf Druck der Hanauer NS-Bonzen in den Ruhestand versetzt. Doch er kommt gerade recht, um seinem Bruder bei den immer umfangreicher werdenden Bestellungen aus Berlin zu helfen.

Die Arbeit der Wandingers an Nazi-Ehrengeschenken ist im Nachlass Troost umfassend nachvollziehbar. Erst sind es nur wenige vergoldete Reichsadler, die auf lederne Urkundenmappen kommen, zum Beispiel für Orden für Benito Mussolini oder General Franco oder die Ernennungsurkunde von Hermann Göring zum Generalfeldmarschall. Als 1939 der Zweite Weltkrieg beginnt, nimmt die Produktion jedoch ungeahnte Dimensionen an. Hitler "stiftet" das "Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes", von dem nach und nach noch mehrere Stufen eingeführt werden. Die "Ritterkreuzträger" sind wichtige Akteure der NS-Propaganda, manche haben eigene Autogrammkarten, besuchen Schulen und Hitlerjugend-Veranstaltungen.

Ab der zweiten Stufe, dem Ritterkreuz mit Eichenlaub, das 863 Mal verliehen wird, sind die Wandingers dabei. Die lederne Mappe für die auf Pergament handgeschriebene Urkunde bekommt einen aus Feinsilber geschmiedeten, feuervergoldeten Reichsadler vorne drauf. Bei der nächsten Stufe, dem Ritterkreuz mit Schwertern, das 148 Mal verliehen wird, werden für die Urkunden große Kassetten gebaut, die neben dem Reichsadler noch Ornamentbänder erhalten. Bei der vierten Stufe, dem Ritterkreuz mit Schwertern und Brillanten, wird das Hakenkreuz in den Klauen des Adlers mit Diamanten ausgefasst. Dieser Orden wird 27 Mal verliehen.

Als Geschenke von Hitler an Göring und Mussolini stellen die Wandingers noch viel reicher verzierte Kassetten her. Göring bekommt zum 50. Geburtstag eine Kassette, die mehr als 100 000 Reichsmark, umgerechnet etwa 400 000 Euro, kostet. Gerdy Troost schreibt, "der Führer war voller Freunde und Begeisterung und sagte mir am Telephon, daß die Urkunde und Kassette das schönste Dokument der Weltgeschichte seien." Eine Ordenskassette, die Mussolini zu seinem 60. Geburtstag erhalten sollte - vier Tage vorher wird er abgesetzt -, ist noch fetter mit Edelsteinen besetzt und doppelt so kostspielig.

Da mit zunehmender Kriegsdauer immer mehr Ritterkreuze verliehen werden, haben die Wandingers immer mehr Arbeit. Die "kriegswichtigen Aufträge des Führers" auszuführen, wird aber auch schwieriger. Vieles gibt es nur auf Bezugsschein. Gerdy Troost schreibt im Januar 1943, dass die Wandingers "zur Erledigung von besonderen und vordringlichen Staatsaufträgen (. . .) eine Mehrzuteilung von 50 Zentner Koks benötigen".

In anderen Briefen geht es um Packpapier und Bindfäden und natürlich auch um viele Kilogramm Silber und Gold sowie Quecksilber fürs Feuervergolden. Auch Diamanten und Edelsteine müssen besorgt werden. Im Juli 1943 schreibt Gerdy Troost, sie habe "nun alles irgendwie noch auftreibbare Material an Edelsteinen besichtigt und die mir zur Verwendung von Ehrenkassetten geeigneten Partien für den Führer beschlagnahmen bzw. kaufen lassen".

Laut einer Aufstellung von Franz Wandinger sind das Smaragde, Rubine, blaue und gelbe Saphire im Wert von 250 834 Reichsmark. Die für Ritterkreuzorden verarbeiteten Diamanten waren, wie in einem Spiegel-Artikel von 1958 zu lesen ist, vom "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" holländischen Juden gestohlen und ins Parteihauptquartier nach München gebracht worden. Von dort ist es nicht weit in die Werkstätten der Brüder Wandinger.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: