Grafing:Erlesene Runde

Grafing: Vier Politiker, zwei Tische: Lukas Schmid, Ewald Schurer, die Moderatorin Birgit Frank, Anna-Maria Lanzinger und Andreas Lenz (von links).

Vier Politiker, zwei Tische: Lukas Schmid, Ewald Schurer, die Moderatorin Birgit Frank, Anna-Maria Lanzinger und Andreas Lenz (von links).

(Foto: Christian Endt)

Die Bundestags-Direktkandidaten aus Erding und Ebersberg debattieren über Renten, Rüstung und Mindestlohn

Von Thorsten Rienth, Grafing

Man stelle sich vor, es kommen die Bundestagskandidaten - und keiner geht hin. Abgesehen von ein paar Gewerkschaftlern und den artigen Abordnungen einiger Ortsverbände ist nicht arg viel mehr losgewesen am Mittwochabend im Grafinger Kastenwirt. Dorthin hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eingeladen - um mit den Direktkandidaten der Landkreise Erding und Ebersberg zu diskutieren. Vielleicht war es gerade diese kleine Runde, die dem sonst durchprofessionalisierten Parteiengefüge eine ganz persönliche, fast überparteiliche Note verpasste.

Meistens ist es recht einfach, einen Politiker in die parteipolitische Schublade zu stecken, doch an diesem Abend war das etwas anders. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Andreas Lenz fuhr etwa im Elektroauto nach Grafing. Lukas Schmid, Abiturient und Bundestagskandidat der Linken, hatte sich hingegen ganz unrebellisch in einem weißen Hemd samt Krawatte aufs Podium gesetzt. Wo also Äußerlichkeiten und Präferenzen bei der Fortbewegung nicht mehr zur parteipolitischen Abgrenzung taugen, konnte es um die Inhalte gehen.

Das lag auch an der Moderatorin Birgit Frank. Die Journalistin stellte erst einmal klar, was es an diesem Abend alles nicht geben werde: Gefälligkeitsfragen und Floskeln. In diesem Sinne, warum komme denn eigentlich bei der Rente nichts von der Union? Eine Frage für Andreas Lenz.

Noch nie seien die Renten so stark gestiegen, wie in den vergangenen Jahren, entgegnete der Frauenneuhartinger. "Was mir Sorgen macht, sind die Jahre nach 2030, wenn die demografische Bugwelle, die wir vor uns herschieben, am größten ist." Es bleibe also noch Zeit. Die Rentenkommission wolle die Union nach der Wahl einsetzen, weil eine ernsthafte Debatte im Wahlkampf kaum denkbar sei.

Linken-Kandidat Schmid schüttelte da schon heftig den Kopf und verwies auf die deutschen Rüstungsausgaben. "Locker" seien da im Jahr 40 Milliarden Euro einsparbar. Die könnten in höhere Renten gesteckt werden. "Es sollte auf jeden Fall eine Mindestsicherung von 1050 Euro im Monat geben und das Rentenniveau zurück auf 53 Prozent steigen." Was sie ärgere, klagte die Erdingerin Anna-Maria Lanzinger (Grüne), dass von Altersarmut überproportional viele Frauen betroffen seien. "Das weiß man seit Jahren, aber außer schönen Bekundungen passiert da nichts." Tatsache sei doch, meldete sich SPD-MdB Ewald Schurer zu Wort: "Die Rente baut sich auf. Wenn wir Niedriglöhne abschaffen, schaffen wir die Zukunft für eine gute Rente." Notfalls, Stichwort Mindestlohn, müsse man die Arbeitgeber zu höheren Löhnen zwingen, was in einer Koalition mit der Union keine einfache Sache sei. Den Mindestlohn habe die Union doch aber mitgetragen, entgegnete Moderatorin Frank. Das stimme schon, sagt Schurer, aber nur als "absolute Unterschranke gegen brutale Ausbeutung". Und selbst die könne "systematisch unterlaufen" werden, weil die Wirtschaft erfolgreich gegen stärkere Kontrollen etwa auf Baustellen lobbyiere.

Mit den stärkeren Kontrollen sei er einverstanden, sagte Lenz. "Aber wenn in einer mittelständischen Bäckerei der Zoll mit der vorgehaltenen Waffe kommt, dann stellt man doch eine ganze Branche unter Generalverdacht." Linken-Kandidat Schmid nutzte das zum direkten Konter: Seit wann der Generalverdacht denn bei der CSU ein Problem sei? "Sie gehören doch zu denjenigen, die im Internet und im Kommunikationsbereich normale Leute unter Generalverdacht stellen!"

Lanzinger sagte, sie halte den Mindestlohn nicht nur in seiner Höhe für reformbedürftig. "Zu was führt die Regelung denn? Dass Praktikanten nur noch Dreimonatsverträge bekommen, damit sie weiter für drei Euro die Stunde arbeiten können - ich habe auch zu denen gehört." Vom Grundprinzip her seien die Löhne nun einmal Sache der Tarifpartner, warf Lenz ein. Überhaupt ging Lenz recht geschickt zu Werke- Er, der einzige Konservative auf dem Podium, schaffte es, dennoch kaum Angriffsfläche zu bieten. Er nahm Positionen ein, die auch aus der linken Ecke stammen könnten. Als Moderatorin Frank die Rente eines Gebäudereinigers im Jahr 2030 auf etwas über 500 Euro im Monat bezifferte, fuhr ihr Lenz dazwischen: "Ich bin nicht der Meinung, dass das richtig ist!", ehe er an anderer Stelle mahnte: Man sei "immer nur so sozial, wie man mit den Schwächsten der Gesellschaft umgeht".

Wo die parteipolitischen Grenzen verlaufen wurde trotzdem klar, beim Thema Preise fürs Wohnen: "Viele Kommunen können sich den Bau von Wohnungen doch gar nicht leisten", sagte Lanzinger. "Natürlich sehe ich den Bund in der Pflicht, die Kommunen finanziell zu unterstützen." Lenz sah den Ansatz dagegen im privaten Sektor: "Es braucht Anreize, dass die Leute bauen. So viele Wohnungen, wie benötigt werden, kann der Staat doch alleine gar nicht finanzieren." Immerhin herrschte grundsätzliche Einigkeit: Wohnpreise sinken nur dann, wenn das Angebot erhöht - also: gebaut - wird.

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