Grafing:Ein Tor für die Toten von Bad Aibling

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Franz F. Wörle aus Straußdorf hat für die Opfer des Zugunglücks eine Skulptur geschaffen

Von Rita Baedecker, Grafing

An die Hauswand schmiegt sich ein Feigenbaum, am Holzschuppen rankt Wein empor, im hinteren Teil des Gartens steht ein Ginkgobaum. Auf der anderen Seite der Veranda ist aus einem Haselnussstrauch, einer Kastanie und anderem Gebüsch ein undurchdringliches Biotop entstanden und zum Urwald herangewachsen. Der grüne Wall ist ein Paradies für Vögel und Insekten, lässt aber nur wenig Sonnenlicht durch. Seit 1983 wohnt der Bildhauer Franz Ferdinand Wörle in dem abseits gelegenen Anwesen in Straußdorf im Landkreis Ebersberg. "Damals hatte ich an manchen Tagen einen freien Blick bis zum Großvenediger", sagt er. Andererseits, "wer schaut sich schon den ganzen Tag den Großvenediger an?" Im Laufe der Zeit hat sich das konzertierte Grün vor die Aussicht geschoben, der Vorteil der botanischen Invasion: Es ist auch an heißen Tagen angenehm kühl.

Früchte trägt in diesem Jahr auch Wörles Kunst. Der Bildhauer erhält an diesem Donnerstag den Seerosenpreis der Stadt München. Für Wörle ist dieser begehrte Preis nicht die erste bedeutende Auszeichnung. 1988 erhielt er den Debütantenpreis des Bayerischen Staates, 1989 den Kunstpreis der Stadt Ebersberg, 2008 eine irische Auszeichnung, 2015 bekam er ein Europäisches Stipendium für die Ukraine.

Als Ehre empfindet er es, dass die Stadt Bad Aibling eine seiner Arbeiten als Mahnmal zum Gedenken an die Opfer des Zugunglücks erworben hat. Er wird sie am 7. Oktober übergeben. Die Skulptur, ein Tor, wird auf einem Buckel nahe der Mangfall-Brücke und der Bahnlinie stehen. Das Tor ist drei Meter hoch, ein Meter breit, in der Mitte ist ein Keil ausgeformt, der unten eine kleine Öffnung hat. "Der Bürgermeister hat diese Form als Eisenbahnschienen interpretiert", erzählt Wörle, "für mich ist es mehr eine Durchgangsstation, aber diese Symbolik passt hier auch sehr gut".

In der Würdigung für den Seerosenpreis lobt die Jury die Klarheit und Ruhe seiner Eisenskulpturen und seiner Grafiken. Diese Klarheit erzeugt der Bildhauer durch formale Strenge. Er baut seine Objekte aus Figuren wie Quadrat, Dreieck, Würfel, Kegel und Pyramide. Kreissegmente und Linien, die aus der Geraden oder dem rechten Winkel ausbrechen wie etwa bei der Werkgruppe "Zum Meer", ergänzen den Formenkanon und lassen das schwere Element leicht und lebendig werden. Im wuchernden Grün des Gartens wirken die Objekte wie Funde aus einer alten Kultur.

Form und Material zwingen den Betrachter, sich auf die Essenz, auf archaische Bilder und Grunderfahrungen der Existenz zu konzentrieren, auf Symbole und Stationen wie Tor, Seelenhaus, Stele oder Tisch. Stelen stehen als Markierung am Wegesrand, die Tore sind Stationen des Innehaltens, des Durch- und Übergangs - im tatsächlichen und im geistigen Sinne. Seelenhäuser wiederum geben Raum und Schutz. Solche Häuschen waren früher auf Friedhöfen üblich, da man annahm, die Seele brauche eine Weile, um Abschied vom irdischen Dasein zu nehmen.

So sehr Wörles Objekte zur Meditation einladen, so laut und staubig geht es bei deren Entstehungsprozess zu. Die Werkstatt ist angefüllt mit schwerem Gerät, Werktisch, Schweißmaschine und Kettenzug. "Der Eisenstaub ist das Schlimmste", sagt er. Nach dem Schweißen und Schleifen wird das Objekt mit Salzsäure abgewaschen. "Die Patina bekommt das Teil von selber." So auch die Feuerschale, die er für laue Abende in seinem sommerlichen Refugium geschaffen hat. Viel Zeit zum Entspannen hat er in diesem Sommer jedoch nicht.

© SZ vom 11.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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