Ganztagsbetreuung:"Wirkungsvoll, aber strapaziös"

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Eine große Herausforderung ist für Schulleiterin Marietta Hager immer wieder die Auswahl der Schüler, die in die Ganztagsklasse aufgenommen werden. (Foto: Marco Einfeldt)

Marietta Hager, Rektorin der Neufahrner Mittelschule, erklärt, warum es gerade bei den gebundenen Ganztagsklassen nicht ohne mehr Geld geht

Interview von Alexandra Vettori, Neufahrn

Die Ganztagsbetreuung an Schulen wird immer wichtiger, gleichzeitig hinkt man in Bayern dem Bedarf hinterher, sowohl, was die Quantität als auch was die Qualität anbelangt. Das war das Fazit einer Veranstaltung zum Thema Ganztagsschule, die jüngst in Neufahrn stattgefunden hat. Die SZ sprach darüber mit der Rektorin der Neufahrner Mittelschule, Marietta Hager. Dort gibt es schon seit zehn Jahren gebundene Ganztagsklassen.

SZ: Erst mal zur Erklärung: Welche Formen der Ganztagsbetreuung gibt es jetzt?

Marietta Hager: Derzeit gibt es zwei Varianten der Ganztagsbetreuung an Schulen in Bayern. Das sind die gebundene Ganztagsklasse und die offene Ganztagsbetreuung. Bei der offenen Betreuung treffen die Kinder mit Schülern aus anderen Klassen und Jahrgängen zusammen, nehmen gemeinsam ihr Mittagessen ein und erledigen anschließend ihre Hausaufgaben. Der Nachmittag klingt mit Freizeitangeboten aus. Betreut werden die Kinder dabei durch externes Personal. Bei der gebundenen Ganztagsklasse wird der Unterricht im Wechsel mit Studierzeiten, Projektstunden und gemeinsamen Mittagessen über den Tag rhythmisiert. Hier bleiben die Schüler im Klassenverband und werden durchgehend von Lehrkräften betreut.

Seit wann gibt es an Ihrer Schule die gebundenen Klassen und wie viele sind es derzeit?

Im Schuljahr 2007/2008 hat mein Vorgänger, Rektor Hans Deuter, die erste gebundene Ganztagsklasse eingerichtet. Je nach Anmeldezahlen und der daraus resultierenden genehmigten Klassenzahl konnten wir seither jedes Jahr zwischen zwei und neun Ganztagsklassen bilden.

Wo sehen Sie Vor- oder Nachteile von offener und gebundener Ganztagsschul e, im Hinblick auf Pädagogik und Schüler?

Der Vorteil der offenen Ganztagsbetreuung zeigt sich an der größeren Flexibilität bei der Aufnahme der Schülerinnen und Schüler. Auch wenn in einer Jahrgangsstufe keine Ganztagsklasse gebildet werden kann, können einzelne Kinder nach dem regulären Unterricht die offene Ganztagsbetreuung besuchen. Bei den gebundenen Klassen ist der personelle Einsatz deutlich größer, zu den Lehrern werden noch pädagogische Zusatzkräfte zur weiteren Differenzierung oder für unterschiedlichste Projekte eingesetzt. Insgesamt ist die Betreuung intensiver, die positiven Auswirkungen im Hinblick auf Sozialkompetenzen und schulische Leistungen sind, entsprechende Arbeitshaltung mal voraus gesetzt, deutlich feststellbar.

Und jetzt aus dem Blickwinkel der Lehrer und Schulleiter. Was macht mehr Mühe, birgt mehr Chancen, pädagogische Ansätze unterzubringen?

Gebundene Ganztagsklassen einzurichten bedeutet einen deutlich höheren Arbeitsaufwand. Die Kooperation mit den Trägern, die Personalabstimmung, die Erarbeitung von pädagogischen, jahrgangsstufenangepassten Konzepten, von Elternabenden, die Durchführung zusätzlicher Fortbildungen und nicht zuletzt die Vertretung von Lehrkräften an den Nachmittagen, die wegen Fachkonferenzen und Fortbildungen fehlen, ist insgesamt aufwendig. Eine große Herausforderung ist für mich die Auswahl der Schüler, die in die Ganztagsklasse aufgenommen werden, auch wenn sie im Team erfolgt und pädagogische und familiäre Situation berücksichtigt. Eltern für die Ganztagsbetreuung dann absagen zu müssen, ist für mich sehr frustrierend. Insgesamt sind die Rückmeldungen der Kollegen aus den gebundenen Ganztagsklassen sehr positiv. Der intensive persönliche Kontakt, das gemeinsame Essen, die längere Lern- und Arbeitszeit werden als sehr wirkungsvoll, aber durchaus auch als sehr strapaziös empfunden.

Welche Betreuungsform kostet die Eltern etwas? Wie erleben Sie die Bedürfnisse, Nachfragen der Eltern?

Im Gegensatz zur Betreuung im Hort ist die Betreuung in allen Ganztagsklassen kostenlos. Allerdings müssen die Eltern die Kosten für das gemeinsame Mittagessen - derzeit bei uns 4,20 Euro pro Mahlzeit - bezahlen. Gerade in den unteren Klassen ist die Nachfrage nach Ganztagsbetreuung groß. Viele Eltern sind berufstätig und wollen ihre Kinder gut betreut und gefördert wissen.

Bei einer Veranstaltung zur Ganztagsbetreuung im Neufahrner Gymnasium war jüngst eine zentrale Forderung: Mehr Geld! Wohin sollte das Geld fließen? In Lehrerstunden, mehr pädagogisches Personal? Ausstattung?

Jede gebundene Ganztagsklasse kostet tatsächlich viel Geld: Zum einen sind da die Kosten für die zusätzlichen Lehrerstunden, das sind in der Mittelschule zwölf Unterrichtsstunden mehr pro Woche. Ferner fließt Geld in die pädagogischen Zusatzkräfte, das Einrichten von Essensausgabestellen und Speiseräumen. Wichtig sind auch sinnvolle Sport- und Spielgeräte für die zusätzlichen Freiluftpausen.

Wenn Sie Kultusministerin wären: Was wäre ihre ideale Ganztagsschule?

Der Bereich der Ganztagsbetreuung muss sicherlich in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden. Für den enormen organisatorischen Mehraufwand sollten auch für die Schulleitungen mehr zusätzliche Verwaltungsstunden vorgesehen werden. Dies alles braucht aber auch eine ausreichende Versorgung mit Lehrkräften, die beim derzeitigen Lehrermangel nicht zur Verfügung stehen.

© SZ vom 09.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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