Freising:Moderne Schnitzeljagd

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In einem morschen Baumstumpf sind die beiden Test-Sucher schließlich fündig geworden. (Foto: Volker Lehmann)

Auch im Landkreis gibt es Menschen, die mit GPS verborgene "Schätze" suchen. Beim Geocaching gilt es, Rätsel zu lösen

Von Eva Zimmerhof, Freising

Wo bleibt nur das berühmte Finderglück? Scheinbar ist es unvermeidbar, ausgerechnet in den besonders tief im Dunkel liegenden Waldweg einbiegen zu müssen. Für die beiden, sagen wir, Digitalweltler ist es der Eintritt in eine andere Klimazone. Nach den wärmenden Strahlen der Frühlingssonne umhüllt sie nun nach wenigen Schritten kalte, feuchte Luft. In diesem Wald bei Erlau soll ein Schatz, ein Cache, liegen. Doch auf Augenhöhe sind ausschließlich kahle Fichtenstämme zu sehen, Milliarden brauner Nadeln bedecken den Boden.

Zwei Erwachsene spielen Schnitzeljagd, angetrieben von einer Art Fieber, wenn sie es auch leugnen, denn sie testen Geocaching ja nur. Geocaching ist ein Spiel, bei dem die Spieler mit Smartphone oder GPS-Gerät nach versteckten Dosen mit geheimnisvollem Inhalt suchen - und ein seit einigen Jahren auf der ganzen Welt angesagtes Hobby. Bei diesem Gedanken kommen sich die zwei Schatzsucher etwas weniger irre vor, als sie sich in Brombeerranken verheddern. "134, 135, 136... falsche Richtung." Es gilt, den eigenen Körper zur exakt angegeben Position des Schatzes, des so genannten Caches, zu bewegen. Einer der beiden Suchenden ist Geoinformatiker, er bringt das nötige Geschick im Umgang mit der GPS-Funktion des Smartphones mit. "Der Breitengrad muss bei 136 Sekunden liegen. Wir müssen also noch einmal zurück."

Ein Blick auf die Karte der Onlineplattform Geocaching.com zeigt, dass dieser Schatz nur eine geringe Schwierigkeitsstufe hat. Mittlere Größe. Auf der Webseite tauschen sich die Schatzsucher des Landkreises aus, es gibt aber auch Geocaching-Touristen und solche, die auf ihrem Weg durch das Land kurz Station machen, um mal eben einen Cache zu suchen. Nahezu überall sollen die Schätze liegen: Allein der Wieswald birgt demnach über 30 und an anderen verborgenen Stellen in Freising sollen etwa 60 versteckt sein.

Bei einigen sind Rätsel zu lösen, andere verlangen gute Geschichts- oder Mathematikkenntnisse. Ein Beispiel: "Beim wievielten Stein nach unten trefft ihr in die Mitte eines Schriftzugs aus brauner Suppe? Davon die einstellige Quersumme." Bei anderen soll hingegen bloß die angegebene Position aufgesucht zu werden. Doch was heißt hier bloß? "Es kann natürlich sein, dass die Verbindung durch die Bäume gestört ist." Der Geoinformatiker ist für eine Planänderung: Statt der GPS-Funktion entscheiden sich die Schatzsucher für Google Maps, geben die bei Geocaching.com angegebenen Koordinaten ein - und finden sich bald an einem Steilhang in einem lichtdurchfluteten Mischwald wieder. Altes, ausgeblichenes Laub raschelt unter ihren Füßen. Der Boden ist butterweich. Sie stapfen hinab, denn diese Richtung scheint ihnen der Punkt bei Google Maps zu weisen.

Kaum sind unten angekommen, müssen sie doch wieder steil hinauf. Es ist offensichtlich ein Spiel, bei dem Fans der digitalen Welt einmal wieder lange an die frische Luft kommen. Jetzt müssen sich die Suchenden bücken, drehen, am Hang an Baumstämme krallen, um nicht abzurutschen, und in Wipfel starren. Denn die zu findende Tupperdose, Metallbox oder Ähnliches kann theoretisch an einem Baum hängen, in einem Erdloch, zwischen Steinen stecken oder vergraben sein. Der Phantasie des Schatzbesitzers, des Anlegers, der ihn pflegt und kontrolliert, sind keine Grenzen gesetzt.

Irgendwann ist es genug. Außer einem stinkenden Farbeimer, findet sich nichts, was nicht in den Wald gehört. Die Schatzsucher decodieren den bisher verschmähten Hinweis auf der Webseite 'Der Tote Baum ummantelt das Geheimnis'. Unter den nächsten fünf morschen Baumstämmen: Nichts. Die Selbstachtung schwindet langsam. Schließlich hat der Cache einen geringen Schwierigkeitsgrad. Vielleicht helfen ja die Kommentare der Schatzsucher, die vor ihnen da waren? "Der Cache kann in einem Umkreis von zehn Metern liegen", steht da. "Der Hint hat mich hier eher verwirrt, sooo tot ist der Baum nicht", schreibt ein anderer. Eine verwandte Seele?

Andere warnen vor Muggels. Anscheinend ist die digitale Schnitzeljagd nicht nur bei Informatikern und Naturliebhabern, sondern auch bei Harry-Potter-Fans beliebt. Nicht eingeweihte Muggels sollen bloß nichts von dem Schatz erfahren, wiederholen die Kommentatoren. Tatsächlich ist Geocaching nicht überall gerne gesehen, in einigen Naturschutzgebieten ist das Spiel ausdrücklich verboten. Dennoch soll in jedem Staat der Erde mindestens ein Cache liegen.

Beim Spielen soll man sich eigentlich als guter Verlierer zeigen. Zwischen den Bäumen ertönt dennoch das Gemurmel schlimmster Verwünschungen. Die Nervosität wächst und die Glücksritter gehen dazu über, mit Ästen in alten Tiergängen zu stochern, deren Eingänge zwischen Wurzeln liegen. In einen schiebt der Geoinformatiker seinen bloßen Arm bis zum Ellbogen hinein. "Ich glaub, ich bin mehr so der Erdbeerfeldtyp", sagt er. Das Erdbeerfeld mitten in Neustift hatte als Cache-Versteck ebenfalls zur Auswahl gestanden. Aber sie wollten ja unbedingt das Abenteuer im Wald. Dahinten ist noch ein weiterer fauliger Baumstumpf, aus dem frisches Grün sprießt. Wieder Fehlanzeige. Müde richten sie sich auf und drehen sich um. Kurzes Erstarren. "Ha!"

Es folgt der triumphale Eintrag in das Logbuch des Schatzes. Sie waren da! Glücksgefühle durchströmen die Körper der Schatzfinder. Abenteurer. Entdecker! Das sei Belohnung und Anreiz genug, um es wieder zu tun, beschließen sie euphorisch. Nun geht es schnell bergab, hinaus aus dem Wald, um die Augen gleich wieder weit aufzureißen: Auf dem Hügel gegenüber steht ein gewaltiger Hirsch im strahlendem Sonnenschein. Fast zu kitschig, um wahr zu sein.

© SZ vom 10.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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