Forstinninger Apotheke:Silvester muss umziehen

Forstinninger Apotheke: Fast vier Jahrzehnte lang stand der Holz-Silvester zwischen den Medikamentenregalen und leistete den Apothekern Gesellschaft.

Fast vier Jahrzehnte lang stand der Holz-Silvester zwischen den Medikamentenregalen und leistete den Apothekern Gesellschaft.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Statue des Heiligen hat nach 40 Jahren ihr Zuhause verloren

Von Victor Sattler, Forstinning

"Zwischen den Jahren", wie die Raunächte um den Silvestertag herum genannt werden, bringt als Redensart gut zum Ausdruck, dass diese Zeit nicht bloß Besinnlichkeit bedeutet, sondern meist auch für Aufbruch und Loslassen steht. Zwischen den Jahren, da fühlen sich viele weder mehr im alten noch im neuen Jahr so richtig zu Hause. Für den Heiligen Silvester, seit vielen Jahrhunderten der heimliche Lieblings-Patron der Forstinninger, der alljährlich Pferde segnet und ansonsten in Form einer Holzstatue in der nach ihm benannten Apotheke hausen durfte, kommt es dieses Jahr sogar noch härter: Seit der plötzlichen Schließung der Sankt-Silvester-Apotheke am 1. Dezember ist er nun zwischen den Jahren auch noch zwischen Wohnsitzen begriffen.

Die Bürger Forstinnings müssen in dieser Übergangszeit folglich ganz stark sein: Denn aktuell können sie am Ort weder ihren Medizinvorrat aufstocken, noch ihrem hölzernen Kumpanen einen Besuch abstatten. "Der Verlust der Apotheke ist ein zentrales Problem für uns, das man nicht einfach so hinnehmen sollte. Wir müssen den Bürgermeister entschieden dazu auffordern, wieder eine Apotheke nach Forstinning zu holen", sagt Wilfried Röhmel, der 1978 die Sankt-Silvester-Apotheke mit einem kleinen Detail zu dem machte, was sie fast 40 Jahre lang war. Denn Röhmel war der Vermittler, der ihrer Gründerin Erika Weber damals den Holz-Silvester ans Herz legte, nachdem er den armen Kerl arg "lädiert" in der Leichenhalle auftat.

Ein passender Name für Webers Apotheke war somit gefunden und ein restaurierter Silvester bekam hier seinen Platz angetraut. Den Legenden nach soll Silvester, der "Viechpatron", sogar Stiere wieder zum Leben erweckt haben können, hier in Forstinning begnügte er sich aber bisweilen auch damit, mittelschwere Erkältungssymptome zu lindern. Dem Namen nach zwar ein "Waldmann", war Silvester trotzdem keineswegs sturer Pflanzenheilkundler, sondern gab sich stets modern zwischen massiven Arzneischränken, mit deren Mittelchen jeder Infektion auch mal antibiotisch zu Leibe gerückt werden konnte.

In den einsamen Nächten in der Apotheke leistete er Erika Weber traute Gesellschaft, so erzählte sie es gern - und nachdem Weber, die 1997 in den Ruhestand ging, kürzlich verstarb, stellte ihr Nachfolger Bernd Grünberg ihr Sterbebild über Silvester auf, wo sie es am liebsten gehabt hätte. Wilfried Röhmel sieht eben darin den Dienst, den die Heiligen der Menschheit erweisen: "Wir können über sie Kontakt halten, zu jenen, die uns vorangegangen sind", erklärt er ruhig. Für Röhmel steht fest, dass in einer etwaigen neue Apotheke auch wieder Silvester einkehren müsste, um an die schöne Tradition anzuknüpfen. "Die Statue hat zwar keinen materiellen Wert, aber einen hohen persönlichen", erklärt er.

Aber Moment mal - wo ist Silvester denn jetzt überhaupt? Grünberg hat seine vergleichsweise kleinere Forstinninger Filiale geschlossen, um sich im neuen Jahr in München niederzulassen zu dürfen; das Gesetz setzt ihm bei drei Apotheken das Limit. Eine Mitarbeiterin Grünbergs hätte gerne in Forstinning seine Nachfolge angetreten, aber es kam kein Vertrag mit der Vermieterin zustande, aus Gründen, die Grünberg nicht näher benennen möchte. Die Statue, die er in den vielen Jahren sehr lieb gewonnen habe und der er regelmäßig ihre abgefallenen Finger ankleben musste, durfte er bei seiner Umsiedlung leider nicht mitnehmen. Und Grünberg lacht schallend, als er hört, dass nicht einmal Wilfried Röhmel um den tatsächlichen Wert des Artefakts weiß. "Auf etwa 18 000 D-Mark wurde die Silvester-Statue damals geschätzt", verrät Grünberg und muss Luft holen. Immerhin handele es sich dabei um eine aufwendig hergestellte Handarbeit aus dem 19. Jahrhundert.

Bei einem Kopfgeld in dieser Größenordnung ist es wahrscheinlich das Beste, dass der obdachlose Heilige mit Schließung der Apotheke wieder in seiner Pfarrgemeinde Unterschlupf fand; wenn auch nur übergangsweise. Im Pfarrbüro hat Silvester zwar bisher keine persönliche Ansprache - aber dafür verspricht Diakon Hans Dimke ein baldiges Wiedersehen der Forstinninger mit dem Gemeinde-Maskottchen: Am 31. Dezember, bei der traditionellen Pferdesegnung, die hier seit 1988 viel und gern besucht wird, werden Reiter für ihre treuen Vierbeiner wieder Gottes Schutz erbitten. Dimke, der den Gottesdienst hält, will dann am Sonntag zusammen mit einem blumengeschmückten Silvester ein paar Runden in der Kutsche drehen, daran hat sich trotz aller Umbrüche nichts geändert. Ein denkbar schönes neues Zuhause für die Statue wäre nach der Prozession und dem Jahreswechsel auch das Kinderhaus Sankt Silvester, so Dimke.

Ein guter Neujahrsvorsatz für die Gemeinde hingegen wäre sicherlich, die Nahversorgung in Forstinning wieder zu verbessern. Bis dahin hilft man sich hier mit einem Pick-up-Service über einen Apotheken-Briefkasten aus. Was eine ersehnte neue Apotheke anbelangt, darf man laut Wilfried Röhmel aber optimistisch sein: "Ein bisschen Vertrauen dürfen wir in die Heiligen auch haben!", erinnert er gutmütig. "Das Vertrauen, dass sie eines Tages immer wieder an den Ort zurückkehren, wo sie hingehören."

Die Pferdesegnung am 31. Dezember beginnt um 13.30 Uhr mit einer Andacht am Maibaum. Bewirtet werden die Teilnehmer anschließend am Rupert-Mayer-Haus.

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