Flüchtlingspolitik:Tür zum Unbekannten geöffnet

Weil er vor der Terrormiliz IS nicht sicher war, hat Saad Aljafry, 19, den Irak verlassen. In Hallbergmoos hat er eine neue Heimat gefunden. Er macht eine Ausbildung zum Elektriker, spielt Theater und geht zur Feuerwehr

Von Aladdin Almasri, Hallbergmoos

Saad Aljafry aus Hallbergmoos in der Münchner Volkssternwarte

Auf die Münchner Volkssternwarte ist Saad Aljafry im Internet gestoßen. Mit Bekannten besucht er den Beobachtungspunkt in Berg am Laim mehrmals im Monat.

(Foto: Clara Lipkowski)

Als Saad Aljafry 2015 aus Zaxo im Norden des irakischen Kurdengebiets nach Deutschland aufbrach, wusste er nicht, was ihn erwartet. Er verließ seine Eltern, die im gleichnamigen Flüchtlingscamp blieben. In das Camp war er 2014 mit seiner Familie vor dem IS geflohen. Die Terrormiliz hatte die Provinz um Mossul eingenommen und viele Familien, darunter auch die Aljafrys, die den Jesiden angehören, zur Flucht gezwungen.

Noch im Flüchtlingscamp hatte Aljafry für "Save the Children", eine internationale Kinderhilfsorganisation, gearbeitet. Er spielte mit traumatisierten Kindern, half ihnen bei den Hausaufgaben. Aber er sah keine Hoffnung für seine eigene Zukunft. Mitte 2015 brach er auf, mit zwei Brüdern und seiner Zwillingsschwester Saada, das Ziel war Deutschland, immer über Land, immer entlang der Balkanroute. Heute lebt ein Bruder in Köln, ein anderer in München mit Saada. Saad wohnt in Hallbergmoos in einem Haus des Jugendwerks Birkeneck, einer Unterkunft für Jugendliche, die ohne ihre Eltern leben.

Asyl und Arbeit

Laut Landratsamt Freising erhält ein Asylbewerber eine Arbeitsgenehmigung, wenn die eigene Identität geklärt, er nicht straffällig geworden ist und er eine gute Bleibeperspektive hat. Lehnt das Migrationsamt (Bamf) einen Asylbewerber ab, verfällt beides in der Regel. Wurde ein Bewerber aber "schlicht abgelehnt", erlischt die Arbeitserlaubnis erst, wenn die Entscheidung rechtskräftig ist. Davor können Flüchtlinge gegen den Entschluss klagen. Ein Flüchtling kann nach der 3+2-Regel eine begonnene Lehre auch dann abschließen und eine zweijährige Anschlussbeschäftigung ausüben, wenn sein Asylantrag abgelehnt wird. Bei einer Ablehnung wegen eines offensichtlich unbegründeten Asylantrags erlischt die Aufenthaltsgestattung und Arbeitserlaubnis mit Zustellung des Ablehnungsbescheids. clli

Saad ist 19 Jahre alt und spricht fast fließend Deutsch. Obwohl er sich in den ersten Monaten in Deutschland und Bayern noch sehr einsam gefühlt hat, ist er inzwischen angekommen, seit September macht er eine Ausbildung zum Elektriker. Eines Tages kam der Hallbergmooser Theaterregisseur Thomas Goerge in das Haus und fragte, wer Lust habe, in einem seiner Stücke mitzuspielen. Saad sagte sofort zu. Er sah in dem Stück eine Möglichkeit, sich selbst mit seiner Geschichte in seiner neuen Welt auszudrücken. Er habe nie geschauspielert, weil Theater im Irak nur in größeren Städten wie Mossul oder Bagdad existierte. Dann übernahm er in einem Stück nach dem Ring der Nibelungen die Rolle des Fasolt. In einem zweiten Stück nach Franz Kafka spielte er Karl, einen 17-Jährigen, der in der Nachkriegszeit von Deutschland nach Amerika flieht. Zweimal traten sie in Freising auf, außerdem in München. Das Spielen, sagt Saad, habe ihm eine Tür zu etwas Unbekanntem geöffnet. Einmal in der Woche ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr Goldach, er will dort lernen, wie man Menschen rettet. Seit Januar geht er zu Vorträgen über das Universum und in die Münchner Volkssternwarte, auf die er im Internet gestoßen ist. Die Ausbildung und die Hobbys haben ihm geholfen, Deutsch zu lernen und Freunde zu finden. Das half ihm auch, seine Ängste zu überwinden, die er anfangs in der Fremde hatte. Irgendwann habe er verstanden, dass in Deutschland Vetternwirtschaft bei Weitem nicht so ausgeprägt ist, wie im Irak, wo nur überleben kann, wer das nötige Geld und die Kontakte hat. Arme hätten keine Stimme in der Gesellschaft, sagt Saad, "sie bleiben immer arm". Dort sieht er keine Zukunft für sich. Er möchte in Deutschland bleiben, auch weil er hier viele Hobbys haben darf. Es bedeute ihm viel, nicht ständig beschränkt zu werden, durch fehlende Strukturen oder Verbote der Autorität. Trotz allem, sagt er, seine Familie, die noch im Irak ist, vermisse er jeden Tag.

Übersetzung aus dem Englischen: clli

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