Flüchtlingshelfer:"Sonst gibt's Chaos!"

Im Landkreis engagieren sich zahlreiche Ehrenamtliche für Flüchtlinge. Was die Helfer antreibt, was sie bewegt

Protokolle von Sebastian Fischer

Christa Tenter, 53, Taufkirchen

"Gestern habe ich mit Mirfat bei uns zu Hause eine riesige Papierflut bewältigt, weil ihre Familie gerade anerkannt wurde. Seit ein paar Wochen sitzt sie dreimal die Woche im Kinderzimmer meiner Tochter am PC, zum Deutsch lernen. Es ist ja sonst so schwierig, mit vier Kindern in der kleinen Unterkunft. Später am Abend rief sie mich an und fragte: ,Christa bist du zu Hause?' Dann würde ihr Mann jetzt vorbeikommen. Zehn Minuten später stand er vor der Tür, mit zwei riesigen Tüten und einem warmen Abendessen. Da wurde mir richtig warm ums Herz. Es passte perfekt, denn ich hatte keine Zeit zum Kochen und zwei hungrige Männer am Küchentisch.

Meinem Mann ist es manchmal ein bisschen zu viel, was ich mache. Aber er findet es gut, dass geholfen wird. Ich habe mit einer Familie angefangen, jetzt organisiere ich in der Flüchtlingshilfe die Sprachförderung. Wenn man einmal die Problematik kennt, wird es ein Selbstläufer: Man geht mit einem Auftrag rein und kommt mit fünf raus. Ich wünsche mir mehr Orte wie Taufkirchen, die wenige Flüchtlinge aufnehmen. Möglichst viel muss dezentralisiert werden. Das macht es für die Helfer viel einfacher und für alle viel harmonischer und integrativer."

Tim Pöhlmann, 20, Erding

"Ich wollte was machen, als im vergangenen Jahr die Pegida-Demonstrationen begonnen haben. Es hat mich geärgert, dass Flüchtlinge entweder ignoriert oder diskriminiert worden sind. Damals waren die Vorbehalte noch groß. Mittlerweile helfen so viele, und es fragen immer mehr Leute, was sie tun können.

Ich bin schnell mit drei Brüdern aus Syrien in Kontakt gekommen. Wir haben Deutsch gelernt und einfach nur geratscht. Ich studiere Ethnologie, mich interessieren die Hintergründe der Konflikte, die Unterschiede zwischen Schiiten, Sunniten, Aleviten. Die drei können natürlich etwas ganz anderes erzählen, als in den Büchern steht. Das war eine coole Zeit, aber dann wurde es schwer, weil sie ins Kirchenasyl mussten. Wegen des Dublin-Verfahrens wollte der Staat sie abschieben. Im Kirchenasyl haben sie mit Büchern und einfachen Youtube-Videos gelernt. Obwohl die Situation deprimierend war, haben sie weitergemacht. Mittlerweile ist ihr Asylverfahren wieder aufgenommen, sie leben in Taufkirchen und gehen zum Deutschkurs."

Doris Decker, 57, St. Wolfgang

"Manchmal ärgere ich mich auch. Da bringe ich fünf Frauen Jacken, Schuhe und Stiefel - und dann gefällt es ihnen nicht. Die können schon auch anspruchsvoll sein. Ich sagen ihnen dann: ,Ich bin ja kein Laden!'

Manche Menschen schimpfen nur: ,Was machen die Flüchtlinge denn jetzt schon wieder? Die fahren Fahrrad und kennen die Straßenverkehrsregeln nicht!' Aber da muss man halt anpacken und sagen: So und so ist das hier in Deutschland. Damit das kein Chaos gibt. Ich habe ihnen auch die Mülltrennung erklärt. Und einen Komposthaufen gekauft. Die Mitarbeiter vom Landratsamt stellen meist alle Sachen vor die Tür, zack-peng, dann sind sie weg. Die Helfer müssen oft die Hauptarbeit machen, indem sie die Leute einweisen.

Flüchtlingshelfer: Flüchtlinge und Helfer feiern gemeinsam im Gemeindezentrum in Altenerding. Viele ehrenamtliche Helfer begeistern sich für den kulturellen Austausch.

Flüchtlinge und Helfer feiern gemeinsam im Gemeindezentrum in Altenerding. Viele ehrenamtliche Helfer begeistern sich für den kulturellen Austausch.

(Foto: Renate Schmidt)

Nun ja, ich kümmere mich halt so gut ich kann, uns geht's ja doch ziemlich gut. Ich koordiniere die Sachspenden. Seit dem Spendenaufruf bekomme ich bis zu 15 Anrufe pro Tag, die Hälfte bringt's, die andere Hälfte muss ich abholen. Dann heißt es zum Beispiel: Im Zillertal wird 'ne Hütte aufgelöst, da bekommen wir Matratzen, die sind wie neu. Man muss das ja koordinieren, sonst haben die Leute nachher lauter Stofftiere und zu große Kleider. Für 67 Flüchtlinge habe ich jetzt schon Bettwäsche und Handtücher gesammelt."

Johannes Pfennig, 58, Isen

"Ich bin für die Finanzen verantwortlich. Da bekomme ich ständig Mails: ,Wir brauchen für die neuen Schulsachen 300 Euro, für die Fahrräderreparatur 100 Euro.' Dann gebe ich meistens das Okay - und gehe los. Ich spreche Leute an, die ihren runden Geburtstag feiern, von denen ich weiß: Die haben alles, was sie brauchen. Die frage ich dann: ,Ihr könnt doch eigentlich auf Geschenke verzichten, oder? Das Geld könntet ihr spenden!' Ich habe sehr große Hilfsbereitschaft in Isen erlebt.

Wenn es hilfsbedürftige Isener Kinder gibt, können wir denen die Spenden genauso zur Verfügung stellen. Wir hatten einen Stand am Christkindlmarkt, da gab es Stimmen: ,Flüchtlingen helft Ihr, für Isener Kinder habt Ihr nichts!' Ich habe die Leute direkt angesprochen: ,Dann sagt mir halt, was die Kinder brauchen!' Das haben wir im Keim erstickt."

Josef Kronseder, 44, Dorfen

"Die schönsten Momente sind die, in denen man sieht, dass sich die langfristige Perspektive der Flüchtlinge verbessert. Ich würde mir mehr solcher Momente wünschen. Wir haben bei uns etwa fünfzig Prozent Albaner. Deren Betreuung gleicht dem Modell der fünf Sterbephasen: aktive Verweigerung, Wut, Verhandlung, Depression, Akzeptanz. Klar ist: Wir kommen an der Abreise nicht vorbei. Und das richtig einzuordnen, ist schwer.

Politisch wird das in Deutschland nicht schlecht gemanagt. Die Behörden machen gute Arbeit, geben ihr Bestes. Auch die Mitarbeiter im Landratsamt muss man dafür mal loben. Ich würde auch unterschreiben, dass Albanien ein sicherer Herkunftsstaat ist - auf dem Papier. Das Problem ist, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Wirtschaftswachstum kommt bei den wenigsten Menschen an. Eine Familie bei uns sagt ganz offen: Wir sparen mit unseren drei Kindern auf die Herzoperation unseres Großvaters daheim. Hier bekommen sie im Monat ungefähr 1000 Euro. Es geht nicht, dass das die große Masse macht. Aber es ist menschlich total nachvollziehbar! Wir erzählen den Menschen dann immer: Man kann hier als Au-Pair arbeiten, man kann ein FSJ machen oder Bundesfreiwilligendienst. Oder ein Visum beantragen, um sich auf Arbeitssuche zu begeben. Die Menschen schütteln dann oft den Kopf. Was sie uns sagen: Ohne viel Schmiergeld kommen sie daheim niemals an diese Möglichkeiten."

Karin Peischl, 60, Finsing

"Die afghanische Familie hier in Finsing hatte so einen schönen Teppich vom Vormieter. Aber sie wollten noch einen und noch einen und ich hab mich gefragt: Was machen die mit den ganzen Teppichen? Natürlich sitzen sie auf dem Boden und beten. Nun ja, man lernt auch selbst dazu.

Als die Familie nach Finsing kam, haben wir erst mal zusammen geputzt. Süleyman, Goli, Nasser und der Jüngste, Mechti. Ach, der Mechti: Als der zur Schule ging, habe ich ihn ins Gymnasium gefahren und ihn angemeldet. Zu den Eltern sag' ich Mama und Papa. Am Anfang waren wir einkaufen, jeden Samstag. Inzwischen haben wir vielleicht alle 14 Tage Kontakt. Sie machen alles selbstständig. Ich habe ihnen gesagt: Wenn ihr was braucht, bin ich da.

Die Familie war lange getrennt, ist hier in Finsing zusammengeführt worden. Als ich mal gefragt habe, wie das ist, wieder zusammen zu sein, hat Goli gesagt: ,Früher haben wir auch mal gestritten, jetzt streiten wir nicht mehr.' Sie hat noch nicht so viele Worte, um ihre Gefühle auf Deutsch auszudrücken. Aber diese einfachen Worte, die sind einfach schön."

Hansjörg Walther, 78, Fraunberg

"Manche Flüchtlinge kommen in einem gesundheitlich sehr schlechten Zustand an: bakterielle Infektionen, Gallenschmerzen, kaputte Rücken, Magenschmerzen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, ihnen dabei zu helfen, zumindest die gesundheitliche Perspektive zu verbessern. Ich habe ein ethisches Grundkonzept, nach dem ich Flüchtlingen gegenüber keinerlei Vorurteile habe. Und ich kenne mich in der Sozialhilfe ein bisschen aus: Ich bin auch bei der Lebenshilfe in Erding engagiert.

Neulich habe ich einen jungen afghanischen Mann betreut, der durch eine Bombenexplosion einen Schulterdefekt hatte. Für jeden Schritt brauche ich einen Krankenbehandlungsschein, manchmal sind es drei für einen Patienten. Falls eine Operation notwendig ist, müssen wir noch zum Gesundheitsamt. Die Umständlichkeit ist ein großes Problem. Es vergeht keine Woche, in der ich nicht beim Arzt bin. Gewöhnliche Besuche, etwa beim Kinderarzt, schaffen viele Familien auch selbst. Aber wenn es um detaillierte Probleme geht, wenn ein Gespräch mit dem Facharzt nötig ist, dann ist es sehr hilfreich, wenn jemand dabei ist.

Pro Tag bin ich mindestens einmal mit den Flüchtlingen bei uns in Fraunberg in Kontakt. Meine Frau hat dort als Erste mit der Arbeit begonnen, sie macht mindestens genauso viel wie ich. In der Helfergruppe sind wir zu fünft, wir könnten durchaus noch ein paar mehr Leute gebrauchen."

Marie Jordan, 26, Dorfen

"Eines Abends saßen wir am Küchentisch, meine Eltern und ich. Die beiden waren schon länger dabei in der Flüchtlingshilfe. Das war bei uns also schon länger das Hauptthema. In den Sommerferien gab es dann zu wenige Helfer und ich bin mal mitgekommen. Es ist ja aktuell die prägende politische Debatte, man liest darüber in der Zeitung, und wenn es in der eigenen Stadt passiert, werden Theorie und Praxis quasi zusammengeführt. Dann geschieht das nicht mehr in Italien, sondern in Dorfen. Und es braucht Leute, die sich drum kümmern. Wenn viele ein bisschen was machen, ist das doch ein Anfang.

Begleiter gesucht

Das Kreisjugendamt sucht Betreuer für die zunehmende Anzahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, zur Unterstützung der Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren im Alltag und bei Behördengängen. Gefragt sind vor allem Helfer mit pädagogischem Hintergrund oder hauswirtschaftlicher Erfahrung.

Die Jugendlichen kommen hauptsächlich aus dem Nahen Osten und Nordafrika und haben oft eine monatelange und beschwerliche Reise hinter sich. Nach der Ankunft in Deutschland brauchen sie Orientierungshilfe. Die meisten der Jugendlichen sind nach dem deutschen Jugendhilferecht zu versorgen. Da nicht ausreichend stationäre Plätze in den Hilfeeinrichtungen zur Verfügung stehen, werden zunehmend ambulante Kräfte benötigt.

Die Betreuer sollen die Jugendlichen beim Einkaufen oder beim Kochen unterstützen, sie zum Arzt oder zu Behörden begleiten, oder einfach die Freizeit mit ihnen gestalten. Dazu gehört auch die Kooperation und Absprache mit anderen ambulanten Helfern, Vormündern und dem Sozialen Dienst des Jugendamts. Die Tätigkeit erfolgt auf freiberuflicher Basis und wird je nach Qualifikation vergütet. Interessenten sollen ihre Bewerbung per Post an das Landratsamt Erding schicken, Fachbereich Jugend und Familie, oder per E-mail an jugendamt@lra-ed.de. Für Rückfragen steht das Jugendamt zur Verfügung, unter Telefon 08122/58 12 14. REGI

Ich habe mit zwei anderen Frauen die Organisation übernommen für zwei Häuser, in denen insgesamt 22 afghanische Flüchtlinge leben. Mein Vater ist in der Unterkunft am Gymnasium für mehrere Familien zuständig, er kennt sich mit Behörden aus. Meine Mutter ist Hebamme, sie betreut viele Mütter. Das hat uns als Familie auch noch mal enger zusammengebracht, die Arbeit verbindet ja auch. Und wenn ich mit den Flüchtlingen spreche, weiß ich viel mehr zu schätzen, was ich habe. Es ist eben nicht selbstverständlich, dass Mama und Papa mit den Kindern abends am Tisch sitzen."

Zolal Münchhausen, 16, Dorfen

"Die Flüchtlinge müssen in ihrer Freizeit auch mit Dorfenern zusammen sein. Nur so kann Integration funktionieren. Ich gehe einmal in der Woche mit Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter auf den Spielplatz. Wir spielen gemeinsam, ich versuche ihnen mit Bildern und Skizzen etwas Deutsch beizubringen. Die Kinder sind wissbegierig, das klappt schon ganz gut. In der Schule diskutieren wir zwar über das Thema, aber da wäre mehr möglich. Wenn ich mit meinen Mitschülern über Flüchtlingshilfe spreche, finden die das alle gut. Aber ich habe das Gefühl, dass jugendliche Flüchtlinge und junge Dorfener mehr aufeinander zugehen könnten."

Daniel Gemza, 30, Taufkirchen

"Der Stammkeeper meiner A-Jugend bei der BSG Taufkirchen hatte zuletzt einen Freifahrtschein. Doch jetzt ist eindrucksvolle Konkurrenz da: Reshad aus Afghanistan. Tamer und Amin aus Syrien sind im Team auch sehr gut aufgenommen worden. Amin ist im Mittelfeld variabel einsetzbar, Tamer ist ein richtiger bulliger Stürmer, der macht vorne ordentlich Betrieb. Neun andere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus der WG in Taufkirchen, die es nicht ins Team geschafft haben, hole ich jeden Dienstag ab, dann spielen wir bei uns auf dem Platz. Bald kommen noch mehr Jungs nach Taufkirchen, ich freue mich schon: Sieben-gegen-sieben macht ja mehr Spaß als Fünf-gegen-fünf.

Das waren für mich erst mal nur Jungs, die kicken wollten. ,Schauen wir mal, was ihr könnt', habe ich gesagt. Die Taktik fehlt ein bisschen, aber die Lust am Fußball ist zu sehen. Alle sind total engagiert, hören zu. Amin habe ich mir neulich mit einem Dolmetscher zur Seite genommen, er hält sich manchmal nicht an Regeln, das geht natürlich nicht. Aber ich will ihn nicht aufgeben: Fußballerisch und menschlich steckt so viel in ihm. Ich hoffe, dass bald die Spielerpässe da sind, damit die drei Jungs auch bei Punktspielen zum Einsatz kommen können.

Nach dem Training haben wir mal Playstation zusammen gespielt und auch mal über andere Dinge außer Fußball geredet. Vorher dachte ich: Ja mei, Deutschland wird das mit den Flüchtlingen schon irgendwie richten. In letzter Zeit merke ich, dass mich das Thema in den Nachrichten viel mehr interessiert und berührt."

Denise Hecht, 28, Erding

"Ich suche gerade für einen Syrer eine Wohnung in Erding. Innerhalb der nächsten drei Monate muss er die Unterkunft verlassen und natürlich hat er Angst, auf der Straße zu landen, auch wenn das so nicht sein wird. Wir müssen möglichst schnell was für ihn finden. Aber ich bekomme meist schon am Telefon eine Ablehnung. Ich versuche dann zu erklären: Das sind ganz zuverlässige, nette Menschen, vor denen man keine Angst zu haben braucht. Aber bisher hatte ich noch keine Wohnungsbesichtigung. Ich habe im Landkreis schon alles abtelefoniert. Dabei wird das Geld ja vom Jobcenter pünktlich und zuverlässig überwiesen, da kann ja eigentlich nichts passieren. Ich kann aber auch die Vorurteile verstehen, und dass Eigentümer lieber an Menschen vermieten, die ihnen bekannt sind. Das ist ja nicht böse gemeint, sondern ein bisschen Angst und Unwissen. Ich würde mir wünschen, dass man den Leuten die Chance gibt, sich vorzustellen.

Ich betreue eine Unterkunft mit zwölf Syrern. Manche haben in Syrien studiert, die können hier viel einbringen. Manche denken ja, die Flüchtlinge machen Probleme. Aber wir können auch voneinander profitieren. Die Gemeinsamkeiten sind größer als die Unterschiede. Was wir so machen? Wir kochen zusammen, auch mal deutsches Essen: Kartoffelsalat oder Pfannkuchen. Ich erzähle ihnen, was politisch hier los ist, bringe Zeitungen mit und übersetze die. Ich will nicht so tun, als wäre alles wunderbar. Ich sage ihnen auch, dass es Leute gibt, die sie nicht willkommen heißen. Ich bin jetzt nicht die tolle Helferin oder so, im Gegenteil: Was ich jeden Tag lerne, ist genauso wertvoll für mein Leben."

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