Fliegerhorst Erding:Der lange Abschied von der Wiege der Logistik

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Das Ende des Bundeswehrstandortes ist längst beschlossen. Stück für Stück zieht sich die Luftwaffe zurück. An vielen Stellen hat der Verfall bereits eingesetzt. Für die Nachfolgenutzung gibt es bereits Pläne.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Oberstabsfeldwebel Hartmut Kastls Blick vom früheren Tower über das Geländes des Fliegerhorstes Erding schwankt zwischen Stolz und Trauer. Von 1994 bis zu seiner Pensionierung war er in Erding stationiert. Jetzt macht er gerade eine Wehrübung wegen des feierlichen Appells der Bundeswehr an diesem Samstag. Er kennt die Geschichte des heutigen Waffensystemunterstützungszentrum 1 wie wenig andere. Der Standort Erding wird aber bald der Vergangenheit angehören. Am 4. April 1956 waren die ersten deutschen Soldaten auf dem Fliegerhorst eingetroffen, um die dort stationierten US-Einheiten abzulösen. 2021 soll in Erding der letzte Soldat abgezogen sein.

Wenn Oberstabsfeldwebel Kastl zurück blickt, dann auf die "besseren" Zeiten des Fliegerhorstes - wobei besser wohl das falsche Wort ist, da sich damals noch Ost- und Westblock feindlich gegenüber standen und Kalter Krieg herrschte. Den Kastl aber nicht in seiner Erdinger Zeit erlebte. Alle Versorgungsverbände der deutschen Luftwaffe nach 1956 sowie das Materialkommando haben ihren Ursprung in Erding. Der Fliegerhorst gilt daher als "Wiege der Luftwaffen-Logistik". Anfang der 1980er Jahre nahm der Fliegerhorst Erding eine zentrale Rolle bei der Ablösung des Starfighters durch den Kampfjet Tornado ein. "Erding war damals auch so was wie das Amazon der Bundeswehr", sagt Kastl. In manchen Jahren lagerte in den Hallen des Materialdepots Waren im Wert von 1,6 Milliarden Euro. Sie wurden weiterverteilt an Nato-Einheiten in Südeuropa und Afrika.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die US-Luftwaffe den 1935 errichteten Fliegerhorst bezogen und ihn zu einem der größten Nachschubdepots Europas ausgebaut. Auch von Erding aus starteten 1948/49 Flugzeuge im Rahmen der Berliner Luftbrücke. Mehr als 7500 Menschen arbeiteten zeitweise dort. Rund 2700 davon Soldaten. Heute sind es nur noch rund 800 zivile Mitarbeiter und 550 Soldaten.

Die meisten Hallen und Gebäude stehen noch, aber Bundeswehrmaterial beherbergen nur noch wenige. Einige verfallen, andere wurden umgewidmet wie zum Beispiel das Rechenzentrum in eine Recyclinganlage. Einige haben inzwischen - sozusagen als Vorboten - zivile Nutzer wie MTU (Triebwerksinstandhaltung und -montage), BMW oder ein Autohaus. Die leer stehenden Gebäude wurden "abgeschlagen", wie es in der Militärsprache heißt. Heizung und Strom wurden abgeschaltet. Das Militär zieht ab, die Stadt will einziehen und hat für seinen Teil des 428,6 Hektar große Areal schon Pläne. Vom Bahnhof für den Erdinger Ringschluss zum Flughafen München bis hin zu Wohn- und Gewerbeflächen, aber auch ein Bereich für Sport und Freizeit sowie ökologische Ausgleichsflächen. Bereits heute ist die Stadt dem Fliegerhorst an manchen Stellen des 18 Kilometer langen Außenzauns auf die Pelle gerückt.

Vom früheren "Glanz" ist heute oft nur wenig zu sehen. Wo auf der knapp 2,5 Kilometer langen Startbahn früher Starfighter, Tornados oder Transportmaschinen abhoben, landen heute nur noch ein paar Privatflieger. Als der letzte Tornado im September 2014 startete, erlosch kurz später die militärische Betriebserlaubnis für die Start- und Landebahn. Kastl weiß, dass sogar mal eine Awacs-Maschine, ein fliegendes Radarsystem, in Erding einen Zwischenstopp einlegte. Und im Notfall hätte sogar das Space Shuttle landen sollen. Auf dem 60 Kilometer langen Straßennetz lässt es sich heute geruhsam joggen. Nur noch ein paar Gleise erinnern daran, dass im Fliegerhorst schon einmal ein Bahnhof war, über den die meisten Mitarbeiter einpendelten. Aus den getrennten Unteroffiziers- und Offiziersheimen wurde vor Jahren schon ein Casino für beide - ein getrenntes rentierte sich für so wenige Soldaten nicht mehr. Zum Leidwesen von manchem Offizier, wie es heißt. Die heute leer stehende Lärmschutzhalle, in der Triebwerke getestet wurden, haben die wenigsten Erdinger gesehen - nur das Jaulen und Sausen der Motoren gehört.

"Es ist traurig zu sehen, wenn Gebäude abgerissen werden oder vergammeln. Jedes hat seine Geschichte", sagt Kastl. Für die Mitarbeiter um die 50 stelle sich zudem die bange Frage "Wie geht es weiter?", wenn der Fliegerhost aufhöre zu existieren.

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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