Erdinger Denkmalliste:Ausgemistet

Das Landesamt für Denkmalpflege hat die Erdinger Denkmalliste überarbeitet. Neun Einträge wurden gestrichen - sie existieren zum Teil seit Jahrzehnten nicht mehr

Von Mathias Weber, Erding

Hier muss es einmal gestanden haben. Hier, wo heute Autos ein- und ausparken, wo der Asphalt voller Schlaglöcher ist, wo Mütter mit ihren Kindern die Wochenendeinkäufe in den Kofferraum wuchten. Hier, am Supermarktparkplatz an der Freisinger Straße, nur wenige hundert Meter von der Erdinger Altstadt entfernt, stand offenbar einmal ein historisch wertvolles Haus - ältere Erdinger erinnern sich vielleicht noch. Das Haus galt als so interessant, dass es das Landesamt für Denkmalpflege als Baudenkmal klassifiziert hat. Über Jahrzehnte war es in der Denkmalliste der Stadt Erding verzeichnet, unter der Nummer D-1-77-117-16. Der Eintrag: "Wohnhaus, ehemalige Herberge, Nordgiebel Obergeschossblockbau mit Außentreppe und Schrot, 18. Jahrhundert". Aber das Haus gibt es nicht mehr, Nachbarn können sich noch dunkel daran erinnern, irgendwann in den 80er-Jahren sei es abgerissen worden.

Erdinger Denkmalliste: Steht noch, hat aber ihren Status als Denkmal verloren: Die Jünglingsstatue in St. Paul.

Steht noch, hat aber ihren Status als Denkmal verloren: Die Jünglingsstatue in St. Paul.

(Foto: Renate Schmidt)

Und jetzt, mehrere Jahrzehnte später, ist es auch von der Denkmalliste der Stadt gefallen. Die Liste hat kürzlich ein Update erfahren, das Münchner Landesamt betrieb das "Projekt zur Nachqualifizierung und Revision der Denkmalliste". Das Projekt wurde 2014 abgeschlossen, im vergangenen Jahr wurde dem Stadtrat mitgeteilt, wie sich die Denkmalliste der Stadt verändert. Acht Denkmäler haben eine Neubewertung erfahren, ihre Beschreibung in der Denkmalliste wurde konkretisiert. Aber neun einstige Denkmäler wurden auch komplett von der Denkmalliste gestrichen.

Leben im und mit dem Denkmal

Neun Denkmäler wurden von der Erdinger Denkmalliste gestrichen, noch immer verfügt die Stadt aber über 81 Einzelbaudenkmäler. Viele dieser Denkmäler aus den vergangenen Jahrhunderten sind bewohnt. Prominente Beispiele in der Erdinger Altstadt sind das Kraus-Haus oder das Haus Lange Zeile 4, in dem sich die Stadtapotheke befindet. Auch neuere Gebäude in den Vorstädten sind Denkmäler, wie eine Jugendstil-Villa aus der Jahrhundertwende in der Dorfener Straße zum Beispiel.

Wer ein Denkmal besitzt und daran eine bauliche Maßnahme vornehmen will - von neuen Fenstern bis zum Streichen der Fassade -, muss diese Maßnahme von der Unteren Denkmalschutzbehörde, die am Landratsamt angesiedelt ist, prüfen lassen. Die Erlaubnis kann von der Behörde jedoch versagt werden, "soweit gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands sprechen", wie es vom Landesamt für Denkmalpflege heißt. An einem Denkmal zu bauen, kann zwar teuer sein - muss es aber nicht: es gibt dafür direkte Finanzierungshilfen, wie Zuschüsse vom Staat, vom Bezirk oder der Gemeinde, und indirekte, steuerliche Vorteile.

Wer ein Denkmal verändert, aber sich keine Erlaubnis bei der Denkmalbehörde einholt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und riskiert ein Bußgeld. In vielen Fällen, etwa bei der Alten Schule in Langenpreising, welche die Stadt als Eigentümer offenbar ohne Wissen des Landesamtes umgebaut hat, bleibt das folgenlos. Denn diese Ordnungswidrigkeit, die bereits vor Jahrzehnten begangen wurde, ist schon lange verjährt. webe

Ein seltener Vorgang - aber kein überraschender. Die Mehrzahl der Streichungen hat den einfachen Grund, dass das jeweilige Denkmal einfach nicht mehr existiert. Bei der ehemaligen Herberge in der Freisinger Straße ist das so, aber auch bei einem ehemaligen Giebelhaus in der Münchner Straße 12 - auch dort befindet sich heute ein Parkplatz -und bei einem "eingeschossigen Kleinhaus mit Flachsatteldach" in der Münchner Straße 40. Das Haus wurde abgerissen, dort befindet sich heute ein blauer Geschossneubau mit Gewerbeeinheiten. Im kleinen Erdinger Ortsteil Singlding südlich von Pretzen wurden gleich zwei Denkmäler gestrichen: Zum einen ein "erdgeschossiges Bauernhaus" aus dem 19. Jahrhundert, das es nicht mehr gibt, sowie die alte Kapelle des Ortes aus dem 18. Jahrhundert. Nachfragen bei den Ortsbewohner führen ins Nichts: Keiner kennt mehr die Kapelle. Ähnlich ist es mit einem Wegkreuz, das sich einst an der Dorfener Straße befunden haben muss, "an der Abzweigung zum Wasserturm", wie es in der Denkmalliste hieß. Es ist nicht auffindbar.

Manch andere einstige Denkmäler existieren zwar noch, wurden über die vergangenen Jahrzehnte hinweg so stark verändert, dass nun, wie es im vergangenen Jahr im Erdinger Stadtrat von den Experten der Denkmalschutzbehörde hieß, "nichts Historisches mehr da" sei. Zum Beispiel das Gebäude in der Friedrich-Fischer-Straße 11 in der Erdinger Altstadt, in dem sich der NKD-Modeladen befindet. Das Gebäude sei ein "weitgehender Neubau", da seine Substanz zum Großteil ausgetauscht worden sei. Ähnlich ist es bei einem wohlbekannten Gebäude in Langengeisling: Die ehemalige Schule aus der Mitte des 19. Jahrhundert sei "stark überformt und modernisiert" worden, heißt es aus München. "Im Inneren wurde das Gebäude in mehrere Wohneinheiten eingeteilt, sodass die einstige Grundrissdisposition sowie die historischen Ausstattungselemente verloren gegangen sind." Die Aussagekraft als einstiges Schulhaus sei "nicht mehr ablesbar." Explizit schreibt das Landesamt, die Umbauten seien ohne dessen Beteiligung vorgenommen worden. Das überrascht, denn wie die Stadtverwaltung mitteilt, befindet sich das Gebäude in städtischem Besitz. Allerdings sei der Umbau schon vor Jahrzehnten erfolgt.

Ein besonderer Fall ist schließlich eine Figur, die sich heute vor der Kirche St. Paul befindet. Diese "Jünglingsfigur" wurde erst auf das Jahr 1800 herum datiert. Wie sich nun aber herausstellte, ist die Figur ein Teil eines Grabmals aus dem späten 19. Jahrhundert. Sie war vor dem Schulhaus in der Nähe aufgestellt und wurde erst vor einigen Jahren an den jetzigen Standort versetzt. Weil es sich um ein Fragment handel, so das Landesamt, entspräche es nicht mehr den Kriterien des bayerischen Denkmalschutzgesetzes. Schön ist die Figur aber trotzdem noch, man kann sie besichtigen. Passend zu dem Umstand, dass die Figur nun kein Denkmal mehr ist, ist auch das, was sie darstellt: Sie ist eine Allegorie auf die Vergänglichkeit.

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