Erding:"Wohlstand und Geschmack"

Zweiter Teil des Berichts von Freiherr von Obernberg: "Reisen durch das Königreich Baiern": 1816 gab es in Erding die erste Straßenbeleuchtung und die Feuerwehr war vorbildlich

Von Thomas Daller, Erding

1816, vor genau 200 Jahren, erschien der zweite Band der Schriftenreihe "Reisen durch das Königreich Baiern". Verfasser war Freiherr Ignaz Joseph von Obernberg, ein Verwaltungsbeamter und Lokalhistoriker. Er war Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften und 1813 wurde er in die Klasse der Edlen der Adelsmatrikel des Königreichs Bayern eingetragen. Vor 200 Jahren führten ihn seine Reisen, die er in Briefform beschrieb, auch durch Erding. Dort blühte der Getreidehandel, die Schranne war nach München die größte in ganz Altbayern. Die Loderer hingegen hatten ihre besten Jahre bereits hinter sich, weil die Menschen damals anfingen, leichtere Kleidung zu tragen. Größter Kunde für ihr Loden war nur noch das Militär. Beeindruckt war der Autor auch von der brandneuen nächtlichen Straßenbeleuchtung, deren Unterhalt mit einer Gebühr für abendliche Tanzveranstaltungen finanziert wurde. Und schon damals war man als Besucher erstaunt über die "Gewerbigkeit der Stadt".

"Über die sanft gebogenen, wohl angebauten Hügel, welche die Vizinalstraße von Dorfen passirt, gelangten wir an dem heiteren Wintertage, der sich uns dort so freundlich angekündigt hatte, nach diesem Städtchen zurück", schreibt Freiherr von Obernberg, der zuvor Dorfen besucht hatte. "Aus der Ferne schon erblickten wir seine Thürme, eine weite schöne Ebene beherrschend, indem alle Hügel der Umgebung hier sich allmählich verflächen.

Erding, in der Vorzeit der Hauptort des alten Herting- oder Harting-Gaues, der Sitz eines bedeutenden Landgerichts und Rentamtes, zählet 257 Behausungen und 1600 Einwohner. Die Stadt ist an der fischreichen Sempt gelagert, von einem fruchtbaren Getreidboden umgeben. Von ihrer Geschichte ist wenig bekannt, indem die älteren Urkunden und Schriften in Zeiten der Kriege zerstreuet und verbrannt worden. Schon zu den Zeiten der Römer soll sie unter dem Nahmen Ariodurum gestanden haben. Otto von Freising sagt, die Hunnen (eigentlich die späteren Ungarn) haben den Ort von 902 - 955 viermal verwüstet. Sollte der, in einer alten Handschrift überlieferten, Sage zu glauben seyn: so hätten diese Barbaren zwischen Erding und Freising eine Niederlage von 30 000 Mann erlitten, und von der eroberten Beute wären in Erding zwey große Kirchen erbaut, aber auch nachher wieder in Asche gelegt worden. Gewisser ist, daß diese Stadt im dreyßigjährigen Kriege, 1632 und 1634 durch Brandstiftungen der Schweden gegen 210 Häuser, und die meisten Bürger durch ihr Schwert verloren habe. In Jahre 1648 schoßen die Einwohner zur Brandschatzung für Schweden und Franzosen 6000 Gulden zusammen; gleichwohl ward die Stadt bis auf sieben Häuser in Schutt und Asche gelegt. Die Reichsarmee hatte Befehl, sich in und um Erding zu halten. Dieß war dem Feinde verrathen, und zog der Stadt die neue Verwüstung zu. Nur der unermüdete Fleiß ihrer Bewohner konnte sie wieder zum blühenden Zustande erheben, der sich erhielt, obschon seit dem Jahre 1720 bis 1784 vier weitere Feuersbrünste große Schäden verursacht hatten.

Jener Wohlstand beurkundet sich durch die öffentlichen Gebäude, und die wohlthätigen Stiftungen; nähmlich das Spital zum heil. Geist, für zwölf verarmte Bürger und Bürgerinnen, stand schon 1448 wozu die Altfrauenbergische Familie vieles beytrug. Das Leprosenhaus ward in ein Armenhaus umgeändert. (...)

Die Fortdauer des Wohlstandes hängt großentheils von dem wöchentlichen Getreidemarkte (Schranne genannt) ab, welcher nach jenem von München, der größte im ganzen Altbaiern, und für die Bürger von Erding der ergiebigste Nahrungszweig ist. An den Tagen vor, und nach dem Markte ist vorzüglich die Straße nach München wie bedeckt mit Wägen, welche die Handels-Spekulation hin und wieder führet, um das Getreide in der Hauptstadt um höhern Preis zu verwerthen. Daher auch die Brauer, Bäcker, Wirthe u. dgl. sich vorzüglich gut stehen, und mit ihrem Gewinne vortheilhaft auf die anderen Familien wirken. Außer der wochentlichen Schranne am Donnerstage werden hier sechs getrente Jahrmärkte gehalten, und ein besonderer Pferd- und Viehmarkt, welche das Ihrige zur Gewerbigkeit der Stadt beytragen.

Erding: Heilig Blut von Nordosten, eine Lithografie aus dem Jahr 1825 von Euler von Chelpin. Ein Repro des Originals befindet sich im Museum Erding.

Heilig Blut von Nordosten, eine Lithografie aus dem Jahr 1825 von Euler von Chelpin. Ein Repro des Originals befindet sich im Museum Erding.

(Foto: Renate Schmidt)

Bedeutend war immer, und ist noch gegenwärtig die Manufaktur der Loderermeister in Erding, obschon ihr Absatz in neuerer Zeit einigen Verlust erlitten hat. Diesen führte theils der Luxus, theils Rücksichtnahme des Landvolkes auf leichtere, und der nassen Witterung mehr angemessene Kleidungsstoffe herbey. Das weibliche Geschlecht wählet jetzt meistens Zeuge aus Leinen und Wolle gewebt, nicht ohne Vortheil für das Kostüm, indem die Tracht geschmeidiger dem Körper anpasst, und sich besser ausnimmt.

Die Loderer in Erding, 22 an der Zahl, beschäftigen 90 Weberstühle, deren Bedarf in jeder Woche wenigstens 21 Zentner und auch mehr beträgt, je nachdem Bestellung vorhanden ist. Da 6 bis 10 Kreuzer nach Beschaffenheit der Wolle zum Spinnerlohn ab jedem Pfunde bezahlt werden, läßt sich leicht ermessen, daß sie durch diese nahmhafte Wollspinneren wohlthätig auf ihre Umgebungen wirken. Der Gelderwerb fließt durch den Kanal der Lebens-Bedürfnisse für die Familien der Loderer in den Säckel der Bürgerschaft, und allenthalben wird das Interesse für die Schafzucht befördert.

Die hiezu erforderliche Wolle wird meistens im Bezirke der Landgerichte Wasserburg und Mühldorf und in ihrem Umgebungen aufgekauft. Den größten Theil ihres Absatzes finden jene Fabrikate in der Schweiz, in Tirol und Salzburg; im Inlande vorzüglich bey der königlichen Militär-Oekonomie-Kommission. Sollte dieser letzte Absatz der Manufaktur in Erding entzogen werden, so leidet sie einen sehr empfindlichen Stoß.

Unter den öffentlichen Anstalten fielen mir vorzüglich auf: die nächtliche Beleuchtung, das Feuerhaus, die Schulen, und die Vizinalstraßen. Die Beleuchtung fand ihr Entstehen im vorigen Herbste. Die Gemeinde wiedmete derselben ihr dem Staate gemachtes Anleihen von 2500 Gulden als Fond, welcher noch einen Zuschuß von jedem Freytanze erhält. Dauert dieser die ganze Nacht, so werden 26 Kreuzer, außer dessen 24 Kreuzer entrichtet. Hiermit ist der jährliche Aufwand von 300 Gulden für 26 Laternen vollkommen, und auf eine sehr passende Weise gedeckt.

Erding: Blick auf Erding von Nordwesten aus dem Jahr 1818, ein Aquarell von Alois Fackler. Ein Repro des Orginals ist im Museum Erding zu sehen.

Blick auf Erding von Nordwesten aus dem Jahr 1818, ein Aquarell von Alois Fackler. Ein Repro des Orginals ist im Museum Erding zu sehen.

(Foto: Renate Schmidt)

Das Feuerhaus ist aus einer abgewürdigten Kirche gebildet, steht an der Hauptgaße und hat große Thore, um das Löschgeräthe schnell und bequem abführen zu können. Sechs wohlbestellte Spritzen stehen in fertigem Stande, ein Wagen ist stets mit den Lösch-Eimern beladen. Alles Nöthige findet sich in Ordnung vorgerichtet; die Bedienung, die Anspann ward unter die Bürger vertheilt, so daß jeder auf der Stelle ergreift, was ihm zugewiesen ist. Außerdem stehen noch bey dem königl. Rentamte zwey Spritzen bereit, und für Wasser-Vorrath ist hinlänglich gesorgt.

Erfreulich war mir zu vernehmen, daß die Werktagsschule einen dritten Lehrer erhalte, welcher zugleich den Chor regiren und die Kinder im Gesange unterichten wird. Der Lehrerinn der weiblichen Industrie-Schule giebt Unterricht in der französischen Sprache; und seit dem Eintritte des Winter-Semesters bestehet auch eine Zeichnungs-Schule. Ein Schulgarten für Küchengewächse und Obstbaumzucht ist eben ausgemittelt, wozu der Weinwirth Lex mit seinem eigenen Garten an dem vormaligen Stadtgraben das wohlthätige Opfer brachte.

Vortheilhaft sind der Stadt, und eben so gemeinnützlich die 7 - 8 gebahnten Wege, die von jener auslaufen: nach Vilsbiburg, Dorfen, über Hohenlinden nach Wasserburg, über Schwaben nach Ebersberg, und von beyden nach Rosenheim; ferner nach Isen, welcher bis Haag fortgesetzt wird; - die Kommerzialstraße nach München und Landshut, die Straße nach Freising. Seit einem Jahrzehend sind jene nach Vilsbiburg nach Taufkirchen und Velden, nach Dorfen, so wie nach Isen und Schwaben neu angelegt. Sie haben bereits die Getreide-Zufuhr bis auf das Doppelte vermehrt, den gegenseitigen Verkehr allenthalben befördert, die Reise-Routen verkürzt und erleichtert.

Uebrigens hat die Stadt ein munteres Ansehen. Die lange Zeil- und Hauptgasse mit dem Platze sind wohlgeordnet und geräumig, theilen die Stadt in drey Haupt-Quartiere ab, und wohlgebaute Häuser erscheinen in selben, Wohlstand und Geschmack verkündend. Die Gräben und Wälle außer den Mauern, seit zehen Jahren der Kultur überliefert, sind mit 56 Gärten und Gärtchen bedeckt, und geben dem Aeußern eine blühende angenehme Gestalt. (...)

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