Erding:Viele Wege, ein Ziel

Mit "ZAC" startet der SV Zukunft an der Lodererschule sein bisher umfangreichstes Projekt. Zum Auftakt will Ausnahmesportlerin Verena Bentele den Schülern aus einem schwierigen Umfeld Selbstwertgefühl vermitteln

Von Wolfgang Schmidt, Erding

Zum Schluss des Trainings geht eine echte Goldmedaille durch die Hände der jungen Leute. Verena Bentele sagt, dass diese nur zum Anschauen da ist, und sie sie wieder mitnehmen wird. Es ist eine von zwölf Goldmedaillen, die Bentele in ihrem Sportlerleben als Biathletin gewonnen hat. In ihrem zweiten Leben ist die 33-Jährige zur Politikerin geworden, fungiert jetzt als Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Sie hat gezeigt, wie ein Leben bravourös zu meistern ist, das mit einer schweren Bürde begann: Verena Bentele ist von Geburt an blind.

Diese Frau sitzt nun mitten unter 14 jungen Leuten in einer improvisierten Pressekonferenz und wartet auf deren Fragen. Das ist nicht so einfach, besonders dann, wenn einem im Rücken zehn Leute sitzen, mit denen die Teens sonst nie in Berührung kommen. Es sind Zuhörer aus dem Kultusministerium, der Arbeitsagentur, der Erdinger Politik und der Presse, die sich da ein Bild machen wollen vom neuesten und bisher umfangreichsten Projekt des Vereins SV Zukunft. "ZAC" heißt es kurz und bedeutet ausgeschrieben "Zukunft als Chance".

Erding: Verena Bentele ist eine Frau, die einem Mut machen kann. Sie, die Blinde, sagt, sie vermisse die typischen Frauenfragen über Klamotten.

Verena Bentele ist eine Frau, die einem Mut machen kann. Sie, die Blinde, sagt, sie vermisse die typischen Frauenfragen über Klamotten.

(Foto: Renate Schmidt)

Es ist kein Zufall, dass "ZAC" an der Lodererschule gestartet wird. Zwischen der Erdinger Mittelschule und dem Verein aus der "Tribute to Bambi Stiftung" besteht schon seit dem Jahr 2008 eine enge Kooperation. Schule und SV Zukunft wollen den Jugendlichen, die alle aus nicht einfachen Verhältnissen stammen, Selbstwertgefühl vermitteln. Das ist schwer, es wird aber ein ganzes Stück einfacher, wenn man zur Motivation die richtigen Botschafter hat - wie eben Verena Bentele. Rektorin Petra Leubner jedenfalls ist überzeugt davon "dass es den Kindern gut tut", was vom SV Zukunft angeboten wird. Vier Säulen sind es, auf denen das Programm gründet, sagt SV-Zukunft-Geschäftsführerin Birgit Mooser-Niefanger. Erstens Motivation, zweitens den Unterricht flankierende Fitness, drittens kreatives Denken und viertens Strategie. Klingt sperrig und ist den Schülern der sogenannten Praxisklasse so sicherlich nicht zu vermitteln - das hat auch niemand vor.

Ausnahmesportlerin Bentele weiß, wie man die Stimmung auflockert. Man bleibt erst einmal unter sich, beschnuppert sich, macht sich locker. Ein Film über die erfolgreiche Sportkarriere, ein bisschen Gymnastik und ein Crash-Kurs zum Thema "Wie drücke ich mich in ganzen Sätzen aus" - schon ist das Eis nicht nur gebrochen, schon sind die Jugendlichen bereit, an einer Art Pressekonferenz mit wildfremden Menschen mitzuwirken. Gut, die ersten Fragen stammen aus dem Kreis der Erwachsenen, doch als Bentele den nächsten Beitrag einfordert, von "einem, der noch unter zwanzig ist", hat sie nicht nur die Lacher auf ihrer Seite, sondern die Kids auch dazu gebracht, den Mund aufzumachen. Auch Schüler-Moderator Michael taut richtig auf. Verena Bentele ist ja auch eine Frau, die einem Mut machen kann. Sie, die Blinde, kokettiert mit dem weiblichen Teil der Klasse, sagt, sie vermisse die typischen Frauenfragen über Klamotten und so. Sie verrät ihr Lieblingsgericht, Spätzle und Linsen - das Nationalgericht der Schwaben eben. Die klare Aussage ist aber trotzdem die: Jeder muss zu sich selbst finden. Und fast noch wichtiger: Es gibt im Leben keinen Weg, der für jeden passt.

Erding: Lehrer Walter Mooser freut sich den Unterricht in seiner "richtig bunt gemischten Klasse".

Lehrer Walter Mooser freut sich den Unterricht in seiner "richtig bunt gemischten Klasse".

(Foto: Renate Schmidt)

Die ganztägige Praxisklasse besuchen sechs Mädchen und neun Jungen zwischen 13 und 17 Jahren, ist also "richtig bunt gemischt", wie ihr Lehrer Walter Mooser sagt. Und dieser Mix ist nicht auf das Alter beschränkt. Es gibt einen Absolventen mit elf Jahren Schulerfahrung und auf der anderen Seite zwei syrische Mädchen, die erst seit zehn Monaten in Deutschland sind. Für die in Deutschland Geborenen gilt, dass sie "an der Regelschule gescheitert sind oder die Schule an ihnen", wie Mooser sagt. Sie alle will der Lehrer im Arbeitsleben unterbringen.

Bis zum Schuljahresende werden nicht nur Bentele, sondern auch andere ehemalige Spitzensportler wie Deutschlands Eishockey-Legende Erich Kühnhackl den Schülern auf die Sprünge helfen. Nahezu jede Woche wird ein Coach an der Lodererschule sein. Zum Team gehören die Basketballer des FC Bayern München, der VfL Wolfsburg, Olympiasieger Klaus Wolfermann, Kickbox-Weltmeister Marko Rajkovic sowie die Ski-Ikonen Christa Kinshofer-Rembeck, Michaela Gerg und Michael Veith.

Sie alle wollen dafür sorgen, dass Inklusion nicht nur die Integration von körperlich und geistig Behinderten in das Alltagsleben bedeutet. Sie wollen den Begriff ausweiten auf Menschen, die durch ihr Umfeld einen schwereren Stand haben.

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