Erding:Mitten in der Durststrecke

Erding: Ein Blick in die Werkstätte für behinderte Menschen

Ein Blick in die Werkstätte für behinderte Menschen

(Foto: Bauersachs)

Das Selbstverständnis der Mitarbeiter leidet am meisten: Der bisher größte Kunde der Werkstätte für behinderte Menschen in Erding und Freising hat im vergangenen Jahr seine Aufträge gestrichen

Von Ines Alwardt

Früher hat er Schlösser in Garagentore eingebaut. 20 Jahre lang. Jeden Tag. Immer am selben Platz. Jetzt sitzt Michael Gaigl an einem Arbeitstisch, mitten in der Metallabteilung, und zieht Schrauben fest. Der Beschlag, den er aus mehreren Einzelteilen zusammenbaut, wird später einmal ein Kopfteil mit einem Massagesessel verbinden. Aber Michael Gaigl spricht lieber von den Garagentoren, sie gehörten zu seinem Leben. "Das war schon eine große Umgewöhnung für mich", sagt Gaigl. Der Mitarbeiter der Behindertenwerkstätte lächelt freundlich, aber seine Stimme verrät, er ist auch traurig.

Der bisher größte Kunde der Werkstätte für behinderte Menschen in Erding und Freising (WFBM), der Garagentor-Hersteller Cardo Door Production (ehemals Normstahl), hat im vergangenen Jahr seine Aufträge gestrichen. Das Moosburger Unternehmen wurde von einem schwedischen Konzern aufgekauft, produziert wird nun im Ausland. Und plötzlich hatte auch Michael Gaigl keine Arbeit mehr. Um 25 Prozent ist der Erlös seither eingebrochen, an den Standorten in Erding und Freising fehlen dadurch sechzig Dauerarbeitsplätze.

Die Mitarbeiter verdienen 75 bis 600 Euro im Monat

Albert Wittmann seufzt, wenn er über diese Zahlen spricht. "Für uns ist das eine echte Durststrecke, an der werden wir noch deutlich zu knabbern haben", sagt der Geschäftsführer, und er meint nicht das Geld. 150 "Mitarbeiter", wie die Menschen mit Behinderung in der Werkstätte heißen, bedrucken am Standort Erding T-Shirts, sie befüllen Salz- und Pfefferstreuer für die Business-Class der Lufthansa, sie fertigen Metallstutzen und viele andere brauchbare Dinge. Mit dem Erlös zahlt die Werkstätte ihren Lohn, je nach Arbeit und Einsatz sind das 75 bis maximal 600 Euro im Monat.

Eigentlich geht es für die Mitarbeiter aber um etwas anderes: Die Arbeit gibt ihnen das Gefühl dazu zugehören. Viele von ihnen hätten in ihrem Leben erfahren, dass ihnen nichts zugetraut wurde, sagt Wittmann. "Für das Selbstverständnis unserer Mitarbeiter ist das daher sehr wichtig, wie bei jedem anderen Menschen auch. Sie wollen mitreden können." Die Arbeit gibt ihnen Sicherheit.

Termin und Qualität sind nicht verhandelbar

Als Michael Gaigl nach 20 Jahren plötzlich keine Schlösser mehr einbauen durfte, war das auch erstmal schwierig. "Wir reden dann ganz viel mit den Mitarbeitern, damit sie verstehen, dass es nicht an ihnen liegt", sagt Wittmann. Lange habe es gedauert, bis Gaigl sich an die neue Arbeit gewöhnt hatte. "Manchmal dauert das Monate, bis sie die neuen Arbeitsschritte ausführen können." Trotzdem müssen die Produkte zum vereinbarten Liefertermin fertig sein. "Termin und Qualität sind nicht verhandelbar."

Auftrag der Werkstätte ist es laut Sozialgesetzbuch, behinderten Menschen eine "gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" zu ermöglichen - und sie zu fördern. Für jeden Mitarbeiter wolle man deshalb die richtige Tätigkeit finden, "in der Regel ist es so, dass wir unsere Arbeit an die Menschen anpassen", sagt Wittmann.

"Wir ernähren uns von kleinen Aufträgen"

Nur wird das immer schwieriger. "Im Moment ernähren wir uns von vielen kleinen Aufträgen." In der Abteilung Druck liegen 20 pinke T-Shirts auf dem Tisch, "Kathrin heiratet" steht in großen Lettern vorne drauf, ein Junggesellinnen-Abschied. Stückzahlen unter 10 000, "das ist unsere Nische", sagt Wittmann. Bei solchen Mengen lohne es sich für die meisten Unternehmen nicht, die Aufträge an Firmen in Fernost zu vergeben. Die Konkurrenz aus China - auch die Behindertenwerkstätte spürt sie, vor allem im Metallbereich. "Wenn die ein fertiges Produkt zu einem Preis anbieten, den bei uns allein das Rohmaterial kostet, können wir nicht mehr mithalten", sagt Wittmann.

Aber auch hierzulande sei es schwierig neue Kunden zu gewinnen. "Die Firmen warten nicht darauf, dass wir kommen und bei Ihnen anfragen." An die meisten Aufträge kommt die Werkstätte über Mundpropaganda, aber weil es in der Region kaum noch produzierendes Gewerbe gebe, seien die Möglichkeiten begrenzt. Viele Menschen hätten noch immer ein falsches Bild von der Arbeit in der Werkstätte: "Wenn wir bei Firmen anklopfen, sagen die: Ja, ein paar Bürsten könnten wir schon brauchen - dabei machen wir so was gar nicht." Ein Vorurteil.

Vor fünf Jahren wurden das Gebäude der Werkstätte in Erding umgebaut und saniert. Mit seinen Aluminium-Lamellen an der Fassade sieht es von außen aus wie ein großer Konzern. Kein Zufall. "Ich wollte, dass es genauso aussieht wie ein moderner Industriebetrieb", sagt Wittmann.

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