Erding:Kleine Wallfahrten

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Jede Station des Kreuzwegs bietet die Möglichkeit, über das eigene Leben nachzudenken

Von Gianna Niewel, Erding

Die "via crucis" ist der Leidensweg Jesu Christi. Jedes Jahr am Karfreitag folgen Betende der Prozession von einer zur nächsten Station, um sich eben dieses Leid zu vergegenwärtigen. Die meisten Kirchen haben einen Kreuzweg, mal sind es Figuren aus Ton getöpfert und gebrannt, mal sind es Bilder mit Ölfarben gemalt. Mancherorts schlängeln sich die traditionell 14 Stationen auch zwischen den Wohnhäusern entlang oder raus in die Natur.

Hartwig Sattelmair war viele Jahre Kulturbeauftragte des Landkreises, nun ist er Kreisheimatpfleger. Wenn er den Kreuzweg in Erding mit Schülern abgeht und ihnen erzählt, was die 14 Stationen jeweils darstellen, blicke er oft in fragende Gesichter: Dann nämlich, wenn ein oder zwei Kinder aus der Gruppe nachzählten - und sie auf 15 Stationen kommen. "Diese zusätzliche Station zeigt meist Kaiserin Helena, die das Kreuz findet", sagt Sattelmair. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bilde die Station mitunter auch das leere Grab oder den auferstandenen Christus ab. Der Grund hierfür: Der Kreuzweg steht in den meisten Stationen im Zeichen von Leid und Tod. Christus wird verurteilt, er fällt zum ersten Mal unter das Kreuz, er fällt zum zweiten Man unter das Kreuz, er wird seiner Kleider beraubt und schließlich an das Kreuz genagelt. Er stirbt. Das alles sei sehr negativ. "Letztlich liegt die Besonderheit aber eben darin, dass er den Tod überwinden kann", sagt Sattelmair. Also stehe die zusätzliche Station für etwas Positives, ein Symbol der Hoffnung, dass das irdische Leid überwunden werden könne.

Die Mutter von Kaiser Konstantin, Helena, gelte ohnehin als die "erste Archäologin des Christentums", sagt Sattelmair. Sie habe sich dafür interessiert, wo Jesus Christus gestorben und welchen Weg er in Jerusalem bis zum Berg Golgota gegangen sei. Nach der Legende habe sie die Grabungen veranlasst, bei denen unter anderem Reste des Kreuzes sowie der Ort des Grabes gefunden worden seien - hiermit habe sie die Tradition des Kreuzwegpilgerns begründet.

Dass die Stationen ihres Kreuzweges noch erhalten sind, das verdanken die Wartenberger keiner römischen Kaiserin, sondern engagierten Bürgern. Der Kreuzweg, der am Nikolaiberg entlangführt, sei immer wieder beschädigt worden: "Er wurde mit Farbe beschmiert. Die Steine saugen die Farbe dann auf, man kann sie nicht einfach abgewaschen", sagt Sattelmair. Zudem setze die Witterung den Stationen über die Jahrzehnte merklich zu. Die Wartenberger hätten sich vor etwa zehn Jahren zusammengetan, in Gruppen die Patenschaft für eine Station übernommen und die neu errichtet. "Die Männer und Frauen haben die Fundamente teils freilegen müssen, um die Steine gerade zu rücken, sie haben die Fugen geputzt, den alten Putz abgetragen und neu isoliert", sagt Sattelmair. Wochenlang hätten die freiwilligen Helfer gearbeitet. Der Kreuzweg am Westhang hätte somit weniger kunsthistorischen Wert, "er ist viel eher ein gutes Beispiel dafür, dass die Religion ihren Sitz im Leben hat."

In der Kirche Mariä Verkündigung in Altenerding läuft der Kreuzweg die Fassade entlang. Das spare in der Regel Kosten, weil die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Stationen zerstört werden, geringer sei. "Randaliert wird draußen, das ist schon traurig genug. In der Kirche selbst trauen sich die Täter nicht", sagt Sattelmair. Dass die Menschen in diesen Tagen überhaupt noch das Bedürfnis haben, auf einer kleinen Wallfahrt die einzelnen Stationen abzugehen, erklärt der Kreisheimatpfleger so: Sicherlich habe es etwas mit dem Glauben zu tun, mit religiöser Andacht. Letztlich biete jede Station und jedes Innehalten aber auch die Möglichkeit, über das eigene Leben nachzudenken.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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