Erding:Haltlose Vorurteile

Symbolfoto für Inklusion am Arbeitsplatz

Behinderte stürzen sich oft begeistert in die Arbeit und sorgen für ein positives Betriebsklima.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Behinderte können von den günstigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt im Landkreis profitieren. Gelobt wird besonders ihre hohe Motivation. Bis zu einer vollständigen Integration in das Alltagsleben ist es aber noch ein langer Weg

Von Tanja Kunesch, Erding

- 8675 Bürger im Landkreis Erding gelten als schwerbehindert. Zahlenmäßig entspricht das der Größe einer Kleinstadt. Und für diese Bürger einen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht einfach. Für den Awo-Landesvorsitzenden Thomas Bayer steckt die Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt "noch in den Kinderschuhen". Im Landkreis Erding scheinen sie von der niedrigen Arbeitslosenquote zu profitieren: Bei der Bundesagentur für Arbeit in Freising waren im April 2015 lediglich 126 Schwerbehinderte arbeitslos gemeldet, 26 weniger als im Vorjahr.

Natürlich sind von den mehr als 8000 Bürgern mit Behinderung nicht alle im erwerbsfähigen Alter und manche haben sich nicht arbeitslos gemeldet, sagt Christine Schöps, Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Freising. "Aber es ist schön, zu sehen, dass auch Menschen mit Schwerbehinderung von den günstigen Arbeitsmarktbedingungen im Landkreis Erding profitieren", sagt sie. Gerade in Zeiten, in denen Betriebe verstärkt nach Fachkräften suchen, sollten Schöps zufolge die Potenziale von Behinderten unbedingt genutzt werden. Viele verfügten über einen Berufsabschluss oder eine Ausbildung. "Behindert heißt nicht automatisch leistungsgemindert", betont Schöps. Der Arbeitgeber müsse natürlich Lust haben, sich zu engagieren und die Herausforderung anzunehmen. Dabei wird er jedoch nicht alleine gelassen: Ein spezielles Experten- und Vermittlerteam betreut sowohl Arbeitssuchende als auch Arbeitgeber und schafft die Grundlage für einen Dialog. Zusätzlich können Firmen Fördermittel und Zuschüsse beantragen, auch eine behindertengerechte Ausgestaltung der Arbeitsplätze wird unterstützt.

Das Integrationsamt in München steht der Arbeitsagentur und den Firmen zur Seite, um Behinderten den Eintritt in die Berufswelt zu ermöglichen. Dass deren Inklusion in die Arbeitswelt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, sagt Schöps. Tanja Sachs von der Caritas in Erding hält sie sogar für ein "Ding der Unmöglichkeit". "In einer Leistungsgesellschaft wie der unseren zählt vor allem die Arbeitsgeschwindigkeit, das Auftreten und das Aussehen. Je weiter ein Mensch von dem Ideal abweicht, desto weniger sind Firmen bereit, so jemanden einzustellen", sagt Sachs. Um von den standardisierten Normen abzuweichen, sei es nötig, Betriebe stärker durch Öffentlichkeitsarbeit und Auszeichnungen zu unterstützen, die als Qualitätsmerkmal gelten. In München gibt es das bereits in Form des Integrationspreis "JobErfolg - Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz".

Dass für eine Eingliederung von Behinderten ein Umdenken der Gesellschaft erfolgen muss, ist für den ehrenamtlichen Kreisvorsitzenden Willi Scheib vom Sozialverband Deutschland eine pure Notwendigkeit. Firmen hätten immer noch Vorbehalte: So würden Menschen mit Behinderung langsamer arbeiten, öfter krank sein. Viele würden auch den Aufwand scheuen, den Arbeitsplatz behindertengerecht umzubauen. Schöps weiß, dass diese Vorurteile in der Praxis kaum zu halten sind, im Gegenteil: "Insgesamt bekommen wir viel positive Rückmeldung von den Arbeitgebern. Besonders gelobt wird die hohe Einsatzbereitschaft und Motivation, die sich auf das gesamte Betriebsklima positiv auswirkt."

Um nicht nur die Vorurteile zu entkräften, sondern vor allem ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen, fängt Rudolf Ways, Kreisvorsitzender der VdK, klein an: Für viele Bürger sei Inklusion immer noch ein Begriff, mit dem die wenigsten etwa anfangen können. Unter der Bevölkerung müsse entsprechende Aufklärungsarbeit geleistet werden. Sachs hält es vor allem für problematisch, dass viele nicht wissen, wie sie mit Behinderten umgehen sollen, und deswegen den Kontakt zu ihnen meiden. Die Caritas bietet Freizeitangebote für Menschen mit und ohne Behinderung an.

Die Arbeitsagentur versucht, die Probleme anzusprechen und die Arbeitgeber zu animieren, Behinderte als mögliche Angestellte ins Auge zu fassen. Alle Beteiligten wissen: Bis zur vollständigen Eingliederung in das alltägliche Leben ist es noch ein langer Weg.

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