Erding:Ende einer Tradition

Ein Besuch in der Ausbildungswerkstatt des Fliegerhorstes Erding: Mehr als 1600 junge Leute wurden dort in den vergangenen 55 Jahren zu Mechanikern und Elektronikern ausgebildet - damit ist bald Schluss

Von Jan-Hendrik Maier, Erding

"Es ist komplizierter, als es aussieht." In einer Halle steht Lukas Bäuml vor einem etwa dreieinhalb Meter hohen, röhrenformigen Metallgegenstand mit zahlreichen Verschlüssen und Ventilen. Es handelt sich um das ausgebaute Triebwerk (RB199) eines Jagdbombers vom Typ Tornado. Lukas ist in der zweiten Phase seiner Lehre zum Fluggerätemechaniker an der Ausbildungswerkstatt im Fliegerhorst Erding. Jedes Jahr lernen an dem Luftwaffenstandort 26 junge Menschen, wie man Flugzeuge und Hubschrauber wartet. Die Bundeswehr stellt dafür je zwei ausgemusterte Tornados und Starfighter, eine Propellermaschine sowie zwei Hubschrauber zur Verfügung. Etwa die Hälfte der Auszubildenden spezialisiert sich wie Lukas von Anfang an auf die Triebwerkstechnik. Hinzu kommen zwölf Stellen für Elektroniker für Geräte und Systeme. Sechs der insgesamt 38 Lehrlinge sind weiblich. Die Ausbildungswerkstatt hat in Erding einen sehr guten Ruf. Seit 1960 haben hier mehr als 1600 jungen Menschen ihre Lehre absolviert. Daher bedauern es viele, dass auch sie geschlossen wird, wenn die Bundeswehr Erding verlässt. Doch noch wird hier gelernt.

Mit seinem Kollegen Philipp Piebl schwenkt Lukas das knapp eine Tonne schwere RB199 in die Horizontale. Lukas dreht einen nur wenige Zentimeter großen Zapfen heraus, an dem kleinste Ablagerungen zu erkennen sind. "Nicht gut, denn je mehr Partikel hier hängen bleiben, desto verschlissener ist das Triebwerk", sagt er. Philipp und Lukas wollen noch eine Möglichkeit der Sichtkontrolle, die jeder Pilot vor Abflug an der Maschine durchführt, zeigen. Dazu entfernen sie am hinteren Ende des Triebwerks einen roten Verschluss, die Schaufeln - jene Teile, die bei laufendem Antrieb rotieren und die Luft einziehen - kommen zum Vorschein. Manche Stücke weisen Dellen an der Kante auf, im Realbetrieb müssten sie bald ausgetauscht werden, sagt Philipp.

Erding: Der Blick in die Wartungshalle der Ausbildungswerkstatt am Fliegerhorst Erding: Hier lernen die angehenden Fluggerätemechaniker ihr Handwerk.

Der Blick in die Wartungshalle der Ausbildungswerkstatt am Fliegerhorst Erding: Hier lernen die angehenden Fluggerätemechaniker ihr Handwerk.

(Foto: Renate Schmidt)

Die praktische Ausbildung der Fluggerätemechaniker erfolgt an militärischen Modellen, obwohl sich unter den Lehrlingen kein aktiver Soldat befindet und am Ende nur wenige bei der Bundeswehr bleiben. "Die Technik unterscheidet sich nicht groß von zivilen Flugzeugen", erklärt Ausbilder Stefan Irl. Die Azubis arbeiten einerseits am Tornado, der wie Airbus das metrische System nutzt, andererseits am Starfighter mit den Angaben in Zoll wie bei Boeing. In einem sechswöchigen Praktikum in der Werkstatt von Air Berlin am Münchner Flughafen lernen sie die rein zivilen Komponenten kennen. Seit einem Jahr steht im hinteren Bereich der Halle eine Bölkow BO 105, damit die Lehrlinge auch einen Hubschrauber warten können. "Unsere Azubis werden exzellente Allrounder sein", sagt Irl. Die unterschiedliche Flugtheorie eines Hubschraubers veranschaulicht Irl den Nachwuchsmechanikern an einer Alouette II - bekanntes Beispiel für die Verwendung dieses französischen Modells in den Medien ist die Fernsehserie "M*A*S*H". "Hier funktioniert noch alles mit Muskelkraft", sagt er und betätigt einen Steuerknüppel im Cockpit. Die drei Rotorblätter neigen sich nach unten. "Repariert wird aber nur an der BO."

Bevor ein Mechaniker ein Flugzeug auf Herz und Nieren überprüfen kann, muss der Stromfluss unterbrochen werden. Lukas nimmt dafür den Pilotensitz im Tornado ein. Anhand detaillierter Skizzen prüft er, ob sich alle Schalter in einer bestimmten Position befinden. Es ist faszinierend, auf wie viele Knöpfe und Anzeigen ein Pilot achten muss. Mit der linken Hand schiebt Lukas zwei schwarze Hebel an den obersten Rand. Im echten Einsatz würde der Jet nun mit Höchstgeschwindigkeit fliegen. "Früher berührten Piloten dabei manchmal mit ihren Fingerknöcheln den kleinen roten Knopf für den Notabwurf der Außentanks", sagt Lukas. "Bei vollem Tempo kann das zum Absturz führen."

Erding: Philipp Piebl und Lukas Bäuml (rechts) überprüfen ein Triebwerk. Oft kommt es auf Kleinigkeiten an.

Philipp Piebl und Lukas Bäuml (rechts) überprüfen ein Triebwerk. Oft kommt es auf Kleinigkeiten an.

(Foto: Renate Schmidt)

14 angehende Mechaniker haben die Fachrichtung Instandhaltungstechnik gewählt. "Wir erledigen die groben Sachen am Triebwerk und überprüfen und warten alles andere am Flugzeug", sagt Max Lehmann. Eine Aufgabe ist der Ausbau eines Triebwerks, was bis zu eine Woche dauern könne. Neben dem zivilen Praktikum in München geht es für die "Instandsetzer" vier Wochen lang an den Fliegerhorst nach Penzing, an den Standort der Transall. Im ersten Ausbildungsjahr erlernen die Fluggerätemechaniker nicht nur handwerkliche Grundtechniken, sondern sie stellen auch einen Miniaturflieger aus Kohlestofffasern her. Die Herausforderung: Die Komponenten müssen wie im echten Flieger verbaut werden. "Das erfordert beim Fräsen Präzision bis auf 0,01 Millimeter", sagt der Leiter der Ausbildungswerkstatt Franz Neumüller. "Das entspricht einem Fünftel des Durchmessers eines einzigen menschlichen Haars."

Die zwölf Elektroniker-Lehrlinge arbeiten als Einzige in der Ausbildungswerkstatt nicht direkt an den Flugzeugen, sondern an einzelnen ausgebauten Komponenten. Auch das Praktikum bei den "Fliegern" sei nach der Wartung des letzten Tornados im September des vergangenen Jahres weggefallen, sagt Leopold Bauernschmid, der stellvertretende Ausbildungsleiter. Eine Besonderheit der Werkstatt ist das angegliederte Wohnheim für die Lehrlinge, die aus ganz Deutschland nach Erding kommen.

Presseoffizier Helmut Hacker führte die Erdinger SZ in den Flugbetriebsbereich. Zwar starten und landen hier keine Kampfjets mehr, die Flugbereitschaft nutzt den Platz aber noch als Ausgangspunkt für ihre Beobachtungsflüge. In den "Sheltern" parken keine Maschinen, sie dienen vielmehr als Lagerort. Vom Außensteg des stillgelegten Kontrollturms in etwa 18 Metern Höhe eröffnet sich ein ungewohnter Blick auf den Flugplatz, der offiziell noch militärischen Status genießt: Traktoren fahren auf den Wiesen entlang der Rollbahnen, das Heu wird gewendet.

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