Erding:Die Sorgen der Schuldnerberater

Erding: Die Schuldnerberatung bei der Caritas kann die Nachfrage nicht bewältigen, sagt Ralf Lohrberg.

Die Schuldnerberatung bei der Caritas kann die Nachfrage nicht bewältigen, sagt Ralf Lohrberg.

(Foto: Renate Schmidt)

In einigen Gemeinden ist die Zahl derjenigen gesunken, die ihre Raten nicht mehr bezahlen können. Doch vor allem Alleinstehende rutschen laut Caritas immer häufiger in eine Spirale

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Jeder zwölfte Mensch - 8,63 Prozent - ist in München überschuldet. Das heißt: Er kann seine Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern nicht mehr pünktlich erfüllen. Doch die Zustände in der Landeshauptstadt sind nicht auf den Landkreis Erding übertragbar, wie der Schuldenatlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform zeigt. Diesen Wert erreicht einzig die Gemeinde Wartenberg (8,77 Prozent) laut der Untersuchung für 2016, gefolgt von der Stadt Erding (8,1 Prozent). Im Gegensatz dazu ist nur jeder 38. Steinkirchner nicht in der Lage, seine Schulden zu bezahlen. Dort liegt die Schuldnerquote bei 2,6 Prozent. Die Quote in Deutschland liegt bei rund zehn Prozent. Aber auch wenn sich die Zahlen im Vergleich zu München - wo alleine im Stadtteil Hasenbergl jeder Siebte überschuldet ist - rosig lesen: Die Schuldnerberatungen sind völlig überlastet. Die Caritas-Schuldnerberatung hat bereits die Zahl ihrer Beratungen pro Jahr auf rund 360 beschränkt, weil ihr aufgrund gleich bleibender personeller Ressourcen nichts anderes übrig bleibe.

"Die reellen Zahlen sind viel höher. Viele hängen in der Warteschleife bis zu einem Jahr, andere verdrängen das Problem oder schämen sich, was vor allem bei älteren Menschen zu beobachten ist, und kommen erst gar nicht", sagt Ralf Lohrberg von der Caritas-Schuldnerberatung. Jede Statistik über niedrige Schuldenquoten sei deshalb mit Vorsicht zu sehen. Auch in Erding steige die Nachfrage, und dafür gebe es vier Hauptgründe: sehr hohe Lebenshaltungskosten und kaum preiswerter Wohnraum, fehlende Teilzeitarbeitsplätze vor allem für alleinerziehende Frauen, extrem unterbezahlte Vollzeitstellen sowie zu wenige Kinderbetreuungsmöglichkeiten besonders in den Schulferien. "Trotz Arbeitsstelle und teilweise trotz Vollbeschäftigung sind viele auf Zuzahlungen des Arbeitslosengeld II angewiesen", schreibt die Caritas in ihrem Jahresbericht. Auch das Klientel ändere sich: "Die Zahl der Alleinstehenden, die in die Schuldenspirale gerutscht sind, ist in den letzten Jahren angestiegen. Es sind nicht nur Frauen, sondern sehr häufig auch Männer. Betrachtet man die Ursachen, kristallisiert sich folgendes heraus: Unterhaltsverpflichtungen gegenüber der geschiedenen Ehefrau und den gemeinsamen Kindern ziehen Einkommenspfändungen bis unter das gesetzliche Existenzminimum nach sich und führen oft dazu, dass die eigenen laufenden Kosten wie Miete und Strom nicht mehr bezahlt werden können. So wird auch die Existenz des Unterhaltsleistenden gefährdet."

Eine Ursache für Schulden ist laut Lohrberg auch die zu leichte Möglichkeit, Schulden zu machen angesichts von Null-Prozent-Finanzierungsangeboten. "Sie machen immer ein Geschäft auf die Zukunft. Es darf nur nichts dazwischen kommen. Trennung oder Arbeitslosigkeit zum Beispiel." Arbeitslosigkeit sei eine der zentralen Ursachen für den Einstieg in die Schuldenspirale. Nahezu 47 Prozent der Klienten gingen alters- oder gesundheitsbedingt keiner Berufstätigkeit nach. Bereits ab Mitte 40 habe man kaum noch eine Chance, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und gerate auch in Zeiten des Aufschwungs in die Langzeitarbeitslosigkeit.

"Das größte Problem wird in Zukunft die Altersarmut werden", sagt Alexandra Then von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bei Creditreform. Dass die Zahlen im Landkreis Erding geringer sind, liegt ihrer Meinung in den doch noch geringeren Lebenshaltungskosten, vor allem bei den Mieten. Wegen der Mieten fände aber bereits eine Abwanderungswelle von der Innenstadt nach außen statt, das werde sich ins Umland fortsetzen, vermutet Then. "Ein Sachbearbeiter, der ein Leben lang gearbeitet hat, kann sich München nicht mehr leisten."

Beim Mieterverein Erding macht man bereits jetzt die Erfahrung, dass die Renten nicht mehr reichen, um in Erding im Alter wohnen zu können. Immer mehr ältere Menschen ziehen weg, zum Beispiel in den Bayerischen Wald. "Sie ziehen weg, weil sie es müssen, weil sie sich das Leben hier nicht mehr leisten können", sagte jüngst Mietervereinsvorsitzende Eva Kolenda. Auch Ralf Lohrberg hat immer wieder Fälle, bei denen steigende Mieten Menschen aus ihrem Umfeld vertreiben, weil es eben weiter weg vom "Speckgürtel München" günstiger sei zu leben.

Die Entwicklung im Landkreis Erding ist nicht einheitlich. Bei einigen ist die Schuldnerquote gegenüber 2006 gesunken: Dorfen (von 6,05 auf 5,5,8 Prozent), Lengdorf (5,02 auf 3,99), Steinkirchen (4,7/2,6), Erding (8,99/8,1), Oberding (8,61/6,91), Fraunberg (6,33/4,62), Moosinning (5,9/5,11), Wartenberg (9,33/8,77), Wörth (6,09/4,51), Berglern (9,05/5,89), Bockhorn (5,78/5,07), Finsing (6,7/6,55), Langenpreising (6,8/4,79), Walpertskirchen (4,82/4,46) und Buch (5,49/3,08). Verschlechtert hat sich die Situation in Taufkirchen (5,95 auf 6,1 Prozent), Isen (5,76/5,94), Sankt Wolfgang (3,78/3,92), Hohenpolding (2,85/3,62), Kirchberg (5,2/7,13), Neuching (4,57/4,69), Forstern (6,62/7,08) und Pastetten (6,21/6,43).

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