Vor dem Eintreffen der Flüchtlinge:Das Interesse ist groß

Vor dem Eintreffen der Flüchtlinge: So sind die Flüchtlinge in dem Camp untergebracht. Auch das wollten die Besucher sehen

So sind die Flüchtlinge in dem Camp untergebracht. Auch das wollten die Besucher sehen

(Foto: Renate Schmidt)

An diesem Montag nimmt das "Camp Shelterschleife" seinen Betrieb auf, einen Tag zuvor durften sich die Erdinger umsehen

Von Sebastian Fischer, Erding

Alexander Leupolz raucht am Sonntagmorgen im Nieselregen vor Shelter 15 seine erste Zigarette des Tages , doch eine Pause hat er nicht. Er steht in einer Menschentraube, die ihm lauter Fragen stellt. Über die Betten, die in Shelter 15 stehen und Flüchtlinge, die dort schlafen werden. Was sie essen, wie lange sie bleiben. Leupolz, ehrenamtlicher Helfer beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), lächelt und antwortet. Auch auf die Frage eines Mannes, der auf die vielen Zelte blickt: "Was passiert denn im Sommer? Da werden die Bierzelte doch wieder gebraucht!"

Genau einen Monat war es am Sonntag her, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) entschieden hat, auf dem Fliegerhorstgeländein Erding den deutschlandweit zweiten sogenannten Warteraum Asyl zu errichten, 18 Flugzeugunterstände umzufunktionieren, zehn Zelte aufzustellen, für bis zu 5000 Flüchtlinge, die von dort innerhalb von drei Tagen nach ganz Deutschland weiterverteilt werden sollen.

Bevor an diesem Montag um 9 Uhr morgens die ersten Flüchtlinge erwartet werden, hatte das Bamf die Erdinger zu einem Tag der offenen Tür eingeladen in das "Camp Shelterschleife", wie das Gelände heißen soll, um nicht mehr von Lager oder Zone sprechen zu müssen. Die Bürger sollten Antworten bekommen, mit denen die Behörde einen Monat lang recht restriktiv umgegangen war.

Viele sind am Sonntag der Einladung gefolgt: Etwa 700 Menschen pro Stunde, mehr als 3000 insgesamt, wurden mit Stadtbussen in den Teil des Geländes gefahren, der schon fertig gestellt ist und zur Besichtigung offenstand.

Leupolz und sein Kollege vom Technischem Hilfswerk (THW) führen durch Shelter 15. Sie zeigen, wie sie dort mit Holzwänden abgetrennte Bereiche für jeweils sechs Menschen errichtet haben. Sie erklären, dass Familien dort ein wenig Ruhe und Privatsphäre finden sollen nach der langen Flucht. Sie zeigen, wie sie die Wände weiß gestrichen haben, um die Atmosphäre ein wenig freundlicher zu gestalten.

Und sie erklären, wie der Ablauf geplant ist: Ankunft am Morgen, Registrierung in einem der Container des Bamf, Erhalt einer Magnetkarte zur Erkennung, Erstversorgung durch das DRK mit Bettwäsche und dem Nötigsten zur Körperhygiene, Zuweisung einer Unterkunft, alleinstehende Frauen separat. Spätestens nach 72 Stunden sollen die Flüchtlinge in eine Erstaufnahmeeinrichtung unterwegs sein.

Vor den Sheltern und Zelten stehen Container mit Duschen und Toiletten, dreimal täglich gibt es etwas zu essen. Es werde einen W-Lan-Hotspot geben und Möglichkeiten, Telefonkarten und Zigaretten zu kaufen, erklärt Leupolz. Es werde darüber aufgeklärt, dass es sich empfiehlt, im Camp zu bleiben, um sicher weiterreisen zu können. Manche aber werden vielleicht das Gelände verlassen, um allein Freunde oder Verwandte in Deutschland aufzusuchen.

Was folgt im Shelter 15, ist vielleicht ein recht treffendes Stimmungsbild Deutschlands im Herbst 2015: Die meisten nicken. Manche schütteln den Kopf.

Draußen schaukelt Svetlana Kitzmann aus Hallbergmoos einen Kinderwagen, während sie erzählt, dass sie es gar nicht verstehen kann, das manche Leute Angst haben vor dem, was hier entsteht. "Das sind Menschen die froh sind, endlich irgendwo anzukommen. Ich finde gut, dass sie hier sind."

Oder Bernd Janowsky, der mit seiner Frau Mona, seiner Mutter Roswita und Sohn Benedikt gekommen ist. Sie sind da, um den Fortschritt der Einrichtung anzuschauen, die parallel zum Betrieb noch weitergeht und erst Ende des Monats fertig sein soll. Es sei wichtig, dass nun die Türen auf seien, um mal zu sehen, wie 5000 Flüchtlinge vor der eigenen Nase untergebracht sein werden. Aber Ängste hält auch er für unberechtigt, überhaupt: "Die haben wahrscheinlich andere Sorgen, als nach Erding zu laufen."

Dass an der Bundesstraße 338 trotzdem in beeindruckender Schnelligkeit ein Fußweg zur nächsten Bushaltestelle gebaut wird, kann eine Frau, die mit dem Kopf geschüttelt hat und ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, gar nicht verstehen: Auf den Kinderspielplatz in ihrer Nachbarschaft warte sie schon lange. Und dass ihr niemand sagen konnte, ob die Flüchtlinge in den wenigen Stunden, die sie in Erding verbringen, über das Grundgesetz aufgeklärt werden, hat sie auch nicht verstanden.

Hans Steinbauer arbeitet seit 37 Jahren am Fliegerhorst, in den vergangenen Wochen hat er die IT für das Bamf bereitgestellt. Am Anfang sei vieles auch chaotisch gewesen, eine Telefonleitung ging kaputt, als ein neuer Kanal gegraben wurde. Aber mittlerweile sei auch in der Belegschaft am Fliegerhorst, die hinter einem Stacheldrahtzaun so weiterarbeiten soll wie zuvor, die Zustimmung groß. "Und am Schluss wusste jeder, was er zu machen hatte."

Darüber sind sich eigentlich alle Erdinger einig, die am Sonntag zu Besuch sind: Dass die Menschen, die jetzt alle wissen, was sie zutun haben, ziemlich außergewöhnliche Arbeit leisten. Hunderte Helfer von DRK und THW, manche in ihrem Urlaub.150 Bundeswehrsoldaten, die, wie Kompaniechef Christopher Hofmann in die Kameras sagt, von 7 bis 23 Uhr Zelte aufbauen, Bodenflächen verlegen, ja: Straßen bauen. Der Satz fällt oft, auch Alexander Leupolz sagt ihn in einer der nächsten Zigarettenpausen vor Shelter 15: Es sei ein wenig wie auf Einsätzen im Sudan oder in Haiti nach dem Erdbeben. Routine, aber doch ganz neu - weil mitten in Deutschland.

Es sei eben viel zu tun gewesen und anfangs habe man wenig Erfahrung mit der Errichtung eines solchen Camps gehabt, erklärt Michael Rosenbach vom Bamf die Informationspolitik seiner Behörde, die lange auch von der Kommunalpolitik kritisiert worden war. "Das Camp war nicht Erdings Wunschkind", sagt er. Seit Sonntag ist es ein Kind, um das sich viele kümmern wollen und das alle kennenlernen durften. Und das Camp, das hat Leupolz dem beunruhigten Fragesteller noch versprochen, wird definitiv kein Volksfest verhindern.

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