Erding:"Den Fußball kriegt man nicht kaputt"

Wenn Aue dritte Liga spielt, dann kann Erding das auch, sagt Philipp Bönig, Erdings bekanntester Fußballer. Im SZ-Interview spricht der 35-Jährige über 14 Profijahre, Bürgermeister-Ambitionen - und ein denkwürdiges Video

Interview von Sebastian Fischer, Erding

Philipp Bönig wollte eigentlich um zehn Uhr kommen, aber er kann auch um elf. Er setzt sich, trinkt ein Mineralwasser, wirkt entspannt. Müssen wir uns beeilen, noch Termine heute? Er winkt ab: "Nein, kein Stress." Bönig, 35, hat Zeit. Der gebürtige Erdinger spielte als Kind bei Eintracht Freising, wechselte dann zum FC Bayern und mit 21 in die zweite Liga zum MSV Duisburg. Beim VfL Bochum wurde er Bundesligaprofi und blieb neun Jahre lang, bis er 2012 noch einmal weiterzog: zum ungarischen Klub Ferencváros Budapest. Nach 14 Jahren als Profi ist Bönig in diesem Sommer zu seiner Familie, Frau und zwei Töchtern nach Erding zurückgekehrt. Allerdings: So viel Zeit hat er dann doch nicht. Am nächsten Morgen wird er nach Österreich fahren, ins Trainingslager für vereinslose Profis der Fußballergewerkschaft. Seine Karriere soll noch nicht vorbei sein.

SZ: Herr Bönig, Sie haben mal gesagt: ,Mein Leben geht nicht ohne Fußball.' Geht es doch?

Bönig: Geht es nicht! Es ist wirklich schön, wieder bei der Familie zu sein, nicht nur alle zwei Wochen für eineinhalb Tage. Aber ich fühle mich zu gut, um aufzuhören.

Also halten Sie sich gerade fit und warten auf ein Angebot?

Ich bin gerade jeden Tag im Stadtpark und halte mich an den Trainingsplan eines befreundeten Fitnesscoaches. Ich hoffe, dass ich gerade einfach nur eine längere Sommerpause habe. Wobei die Zeit natürlich schwierig ist: Die Kader sind alle voll. Ich hoffe auf den September, wenn die Transferperiode vorbei ist. Dann darf ich als vertragsloser Spieler ja noch wechseln.

Klingt kompliziert, nach Ungewissheit.

Anfang 30 war man früher im besten Fußballeralter, jetzt bist du da schon im Winter deiner Karriere. Ich bin aber optimistisch und hoffe, dass es noch mal klappt. Es gibt kein schöneres Gefühl, als nach einem Sieg abgekämpft in der Kabine zu sitzen. Das will ich noch mal erleben. Ich habe mich auch nicht auf eine Liga festgelegt, nach dem Motto: Darunter mache ich nichts.

Gab es schon Angebote?

Es gibt ein paar Anfragen. Ich habe zum Beispiel Anrufe aus Asien erhalten. Aber da muss man schon genau abwägen, ob das für ein Jahr Sinn macht.

Im Internet wird Ihr Marktwert auf 100 000 Euro taxiert. Stimmt das noch?

Echt? Hab gar nicht mehr geschaut. Ich habe nie gewusst, was mein Marktwert ist, das war für mich nie relevant.

100 000 Euro wären für den Bezirksligisten FC Erding wohl zu viel. Dessen Abteilungsleiterin Silvia Kuhmann sagte jüngst, der Kontakt mit Ihnen sei noch nicht zustande gekommen. Klingt, als wäre da etwas geplant.

Nein, da ist gar nichts geplant, es gibt auch keinen Kontakt. Aber wo wir gerade davon sprechen: Erding sollte schon mal versuchen, im Fußball auf sich aufmerksam zu machen. Die Wirtschaftskraft in der Region ist ja da. Die Chancen sind hier immens.

Sie meinen: Hier müsste eigentlich viel mehr möglich sein?

Ich denke, dass der Standort Erding mindestens Regionalliga spielen könnte, eher noch dritte Liga, und als langfristige Vision könnte man die zweite Liga ausgeben. Wenn ich mir anschaue, welche Städte dort spielen: Aue in der dritten Liga, oder Sandhausen in der zweiten. Da ist in Erding schon Aufholbedarf.

Was wird denn falsch gemacht?

Um das beurteilen zu können, war ich zu lange weg. Ich denke, dass es hier sehr viele Talente gibt. Die gehen nach München, Ingolstadt oder Augsburg. Viele fallen aber durchs Raster und würden unter bestimmten Voraussetzungen wieder zurückkommen - mit denen müsste man versuchen, etwas aufzubauen. Wenn man sich anschaut, was zum Beispiel in Buchbach passiert, das ist ein kleiner Ort und der TSV spielt in der Regionalliga eine gute Rolle. Da kann man nur den Hut vor ziehen.

VfL Bochum - SV Werder Bremen

184 Spiele absolvierte Philipp Bönig für den VfL Bochum, 140 davon in der Bundesliga, wie hier gegen Torsten Frings (li.) und Clemens Fritz (re.).

(Foto: dpa)

Was verbinden Sie mit Erding?

Das ist meine Heimat, hier will ich alt werden. Mit 21, als ich nach Duisburg gewechselt bin, hatte ich das Bedürfnis, ein bisschen raus zu kommen, den Weg alleine zu suchen. Aber es war immer schon ein schönes Gefühl, wieder am Erdinger Ortsschild vorbeizufahren, nach Hause zu kommen. Meine Freunde aus dem Kindergarten sind heute noch meine besten Kumpels.

Was ist denn das Besondere an der Stadt?

Manche wollen ja, dass ihre Kinder in der Großstadt aufwachsen. Andere finden das auf dem Dorf besser. Erding ist ein Mittelding. Für uns als Familie ist das echt angenehm. Man wächst hier sehr geerdet auf.

Wie Sie spielten auch Ihre beiden Brüder in der Jugend des FC Bayern. Sebastian, 33, wurde auch Profi, ist jetzt Trainer bei Union Berlin in der zweiten Liga. Vincent, 25, hat mit dem Fußball aufgehört.

Vincent hatte die besten Anlagen in der Familie, aber immer viele muskuläre Probleme, viele Faserrisse. Er hat irgendwann gesagt, er geht einen anderen Weg, studiert und arbeitet jetzt in Düsseldorf.

Ihr Vater war Ihr erster Trainer bei Eintracht Freising. Ist er in all den Jahren immer auch Trainer geblieben?

Vielleicht ein bisschen. Seit der ersten Stunde war bei uns ein Ball dabei, nach den Spielen haben wir immer gleich Kontakt mit unserem Vater gehabt. Aber er hat uns nie gedrängt. Es geht immer noch hauptsächlich um Fußball bei uns zu Hause, zum Leidwesen der Frauen in der Familie.

Sie waren in Erding dann recht schnell bekannt: Als der Junge aus der Stadt, der es bis in die Bundesliga geschafft hat. 2006 wurden Sie als eines von 25 "Gesichtern der Region" ausgezeichnet.

Das konnte ich leider nicht persönlich entgegennehmen, aber ich habe mich sehr gefreut. Da waren ja viele prominente Persönlichkeiten vertreten. Ich würde mich niemals als prominent bezeichnen. Da waren Werner Brombach dabei, oder Monika Gruber - wichtigere Leute als ich, der nur Fußball spielt.

Sie haben doch nicht nur Fußball gespielt, sie sind ja immerhin auch ausgebildeter Hörgeräteakustiker.

Meine Frau ist Meisterin, ich bin Geselle. Das ist jetzt wieder ein Thema. Fußball ist meine Leidenschaft. Ich spiele, seit ich fünf Jahre alt bin. Es wäre schon traurig, wenn ich aufhören müsste. Aber wenn bis Winter nichts passiert, dann muss ich mir schon Gedanken machen. Wenn es so sein sollte, bin ich, glaube ich, gut aufgestellt.

Sie gelten als Fußballprofi, dem viel an Tradition und Vereinskultur liegt.

Ja?

Da gibt es dieses Video von Ihnen . . .

Oh nein.

Sie sitzen im Vereinsheim des VfL Bochum auf den Schultern eines Fans, ein Bierbecher in der Hand, und singen Grönemeyer: Tief im Westen . . .

Wo die Sonne verstaubt! Das Bochum-Lied ist schon sensationell, das wollte ich noch einmal mit den Fans singen. Das war 2012, nach meinem letzten Spiel für Bochum, da habe ich die Fans eingeladen. Ein sensationeller Abend. Ich war noch in voller Fußballmontur. Kaum hatte ich einen Schluck getrunken, hatte ich schon wieder ein neues Bier in der Hand. Fünf Stunden später bin ich, noch immer in Fußballklamotten, durch die Stadt nach Hause gelaufen. Die Duschen waren zu, alles war dunkel.

In den Kommentaren unter dem Video hat jemand geschrieben, der Fußball sei nicht mehr so, wie er einmal war.

Den Fußball kriegt man nicht kaputt. Aber ich denke schon, dass so etwas selten wird. Ich finde, dass sich mehr Spieler mit den Interessen der Fans beschäftigen sollten. Die stecken so viel Herzblut in den Fußball.

Sie waren elf Jahre im Ruhrgebiet, neun Jahre beim VfL Bochum. Auch nicht gerade gewöhnlich für einen Fußballprofi.

Philipp Bönig

Dass seine Karriere noch nicht vorbei sein soll, erklärt Bönig im Interview in Erding.

(Foto: Renate Schmidt)

Ich habe mich da immer wohlgefühlt. Als Fußballer habe ich in Bochum alles erlebt, was man erleben kann. Abgesehen von einem Titel und, na ja, einem Tor.

In 184 Spielen.

Schon Wahnsinn, dass mir das nie gelungen ist. Ich weiß auch wirklich nicht, warum. Beim Abschiedsspiel von Dariusz Wosz (Bochumer Nationalspieler, Anm. d. Red.) habe ich zwei gemacht. Vielleicht gibt es die irgendwo auf Video, das wäre schön.

Es gibt ein Video von einem ihrer Tore in den zweieinhalb Jahren bei Ferencváros Budapest in Ungarn. Linker Vollspann, humorlos, unhaltbar. Sieht einfach aus.

Ganz einfach, ja. Weiß auch nicht, warum ich das vorher nie gemacht habe. Die Jahre in Budapest waren eine tolle Zeit. Das erste Tor habe ich geschossen, als meine ganze Familie zu Besuch war und wir den 60. Geburtstag meines Vaters gefeiert haben. War hoffentlich ein cooles Geschenk.

In Budapest haben Sie zusammen mit Benjamin Lauth, dem früheren Stürmer von 1860 München, den ungarischen Pokal gewonnen. Wie Sie hat er aber in diesem Sommer keinen neuen Vertrag erhalten.

Wir liefern uns gerade Tennisduelle in Anzing. Es steht 1:1 , das Finale steigt die Tage. Er will auch noch mal Fußball spielen, ist in einer ähnlichen Situation wie ich. Er hat aber einen anderen Namen. Er war ja Torjäger, ich nur linker Verteidiger (lacht).

Was haben Sie als erstes gemacht, als Sie nach Erding zurückgekommen sind?

Wir sind immer zuerst durch den Ort gefahren und haben geschaut, was sich verändert hat. Auf was ich mich immer gefreut habe, waren Brezn. Da musste ich mir erst mal drei Stück kaufen, und die genüsslich essen. Oder ein Eis beim Krönauer. Ich freue mich auch sehr aufs Volksfest, jetzt bin ich ja mal die ganze Zeit da. Das ist schon ein Event. Nicht so groß wie die Wiesn, aber das macht es aus.

Wie viel Bochum steckt inzwischen in dem Bayer Philipp Bönig?

Also bayrisch spreche ich noch. Meine Tochter Emily ist in Bochum geboren, und als wir neulich im Auto saßen, kam Bochum von Grönemeyer im Radio. Ich habe aufgedreht, wir haben laut mitgesungen. Die Kleinen - Laura ist in Herne geboren - wollen unbedingt mal wieder das Ruhrgebiet besuchen.

Vergleichen Sie mal Bochumer mit Erdingern.

Die Menschen dort sind schon sehr direkt. Meine Kumpels sind in die Kneipe rein - dann habe ich sie schon nicht mehr gesehen. Es herrschen aber viele falsche Vorurteile auf beiden Seiten. Hinter der bayerischen Grenze denken manche, wir laufen nur in Lederhosen rum und essen jeden Tag Schweinsbraten. Und hier denkt man, da oben ist nur grau in grau und kein Flecken grün. Ich hoffe, ich habe auf beiden Seiten ein bisschen Abhilfe geleistet.

Herr Bönig, Sie haben mal einem Fan-Magazin gesagt, dass Sie, wären Sie für einen Tag Angela Merkel, mehr in Bildung investieren würden. Sind Sie ein politischer Mensch?

Das würde ich immer noch so unterstreichen, in Deutschland sind einige Schulen renovierungsbedürftig. Und politisch? Ja, das interessiert mich schon.

Bekannte Persönlichkeiten haben es in der Lokalpolitik ja meist etwas leichter. Wenn es mit dem Fußball nichts mehr wird: vielleicht Bürgermeister?

Nein, ganz bestimmt nicht (lacht). Nein, da muss sich keiner Sorgen machen.

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