Erding:Beklagenswerte Reisen

Lesezeit: 2 min

Amtsgerichtsdirektorin Ingrid Kaps, weiß von viel Arbeit und kuriosen Fällen zu berichten. (Foto: Renate Schmidt)

Streitigkeiten wegen verspäteter oder gestrichener Verbindungen, verlorenem Gepäck und getrübten Urlaubsfreuden sind am Amtsgericht Erding ein Massengeschäft

Von Regina Bluhme, Erding

Sommer, Sonne, Schadensfall: Immer wieder landen Urlaubsflüge wegen Verspätung, Turbulenzen oder Überbuchung vor Gericht. Für das Amtsgericht Erding, das für den Münchner Flughafen zuständig ist, bedeutet das eine Menge Arbeit. Sogenannte Reisevertragssachen machen mittlerweile 60 Prozent der Zivilklagen aus und belasten die ohnehin dünne Personaldecke. Dabei haben es die Richter manchmal mit kuriosen Fällen zu tun.

Diese Frau kann einem wirklich leid tun: Als Therapie für ihre Flugangst wurde ihr eine möglichst kurze und unkomplizierte Flugreise empfohlen. Die Frau wagte es, doch das Flugzeug geriet in ein Unwetter und musste auf einem Militärflughafen landen. Während die Passagiere stundenlang im Flugzeug festsaßen, fiel auch noch die Klimaanlage aus. Die Frau verklagte die Fluggesellschaft auf Entschädigung.

Der Fall, den Ingrid Kaps schildert, ist natürlich die Ausnahme. "Meist geht es bei uns um gecancelte oder verspätete Flüge oder verschwundenes Reisegepäck", berichtet die Direktorin des Erdinger Amtsgerichts. Wenn so etwas am Münchner Flughafen passiert, dann landen die Fälle bis zu einem Streitwert von 5000 Euro am Amtsgericht Erding: "Mittlerweile haben wir von den Neuzugängen in Zivilsachen 58 Prozent Reisevertragssachen."

Der Frau mit der Flugangst wurde übrigens keine Entschädigung zugesprochen, fügt Kaps hinzu. In diesem Fall durfte die Fluggesellschaft "außergewöhnliche Umstände" geltend machen. Kaps rät allen Passagieren, sich vor dem Abflug genau zu informieren, was alles bei den Fluglinien unter "außergewöhnliche Umstände" fällt. "Dann hätte sich vielleicht so manche Klage von vorneherein erledigt."

Zumindest teilweise Erfolg hatten zwei ältere Ehepaare. Die vier Herrschaften wollten auf Kreuzfahrt gehen und hatten einen Flug nach Neapel gebucht. Dieser wurde jedoch storniert und sie mussten über Griechenland fliegen. Allerdings ging dabei das Gepäck verloren. Die Paare klagten auf 150 Prozent Entschädigung. Begründung: Durch den Gepäckverlust hätten sie keine passende Garderobe für das abendliche Dinner besessen und sich deswegen in Neapel neu einkleiden müssen. Die Mehrkosten inklusive Taxifahrt für die Shoppingtour wollten sie zusätzlich zurück. Sie bekamen eine Entschädigung zugesprochen, sagt Kaps, "allerdings nicht im vollem Umfang".

Klagen von Fluggästen haben nicht selten Aussicht auf Erfolg. Nach Kaps Erfahrung fühlen sich viele Kläger bei Problemen von den Fluglinien allein gelassen. "Immer wieder berichten sie, dass sie keinen Ansprechpartner gefunden hätten oder nur pauschale oder gar keine Antworten erhalten haben", berichtet Kaps. "Ich habe schon den Eindruck, dass manche vielleicht von einer Klage abgesehen hätten, wenn sie sich nicht so über das Verhalten der Fluglinie geärgert hätten". Manchmal einigen sich die Parteien im Prozess auch auf einen Vergleich.

Klagen gegen Fluggesellschaften sind am Amtsgericht Erding zu einem "Massengeschäft" geworden, betont Kaps. Mit Folgen für die 14 Richter in Erding und die Staatsanwaltschaft in Landshut. Die Belastung der Erdinger Richter liegt deutlich über dem bayerischen Durchschnitt. Es gibt eine Kennziffer für die Arbeitsbelastung, die ein Richter bewältigen kann. Eine normierte Arbeitsbelastung entspräche der Kennziffer 1,0. "Bayernweit beträgt sie 1,13 und in Erding 1,28", sagt die Amtsgerichtsdirektorin. "Nach der Bedarfsberechnung würde Erding somit zusätzlich drei Richter zustehen." Doch in ganz Bayern fehle sowohl bei den Richtern als auch bei den Staatsanwälten Personal im dreistelligen Bereich. Kaps ist deshalb schon dankbar, "wenn frei werdende Richterstellen nahtlos wieder besetzt werden".

Doch nicht nur bei den Richtern, sondern in der gesamten Geschäftsstelle mache sich die Mehrarbeit bemerkbar, betont Kaps. Die Urteile müssten ja auch weiterbearbeitet werden, Kosten berechnet oder Verfügungen ausgestellt werden. "Dabei ist eine funktionierende Justiz die Grundlage für die ganze Gesellschaft." Es bestehe die Gefahr, "dass sich Prozesse durch Personalmangel endlos hinziehen". Auch die Wirtschaft brauche eine funktionierende Gerichtsbarkeit. Als Beispiel nennt Kaps den Handwerker, der säumige Zahler verklagen muss, weil ihm sonst sein Betrieb um die Ohren fliegt.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: