Erding:Automaten widersprechen nicht

Viele Menschen sehen von Spielhallen nur die schrillen Außenfassaden. Für mehr als 600 Personen im Landkreis Erding aber bleibt es nicht bei einem sporadischen Besuch - sie sind süchtig geworden wie Stefan Reinhard. Sein Leben hat sich seither einschneidend verändert

Von Josef Saller

Bruck: Spielautomat in Gaststaette Hendlhaus an der Hauptstrasse

Das schnelle Glück: Wer spielsüchtig ist, tut sich schwer, an einem Spielautomaten einfach vorbeizugehen.

(Foto: Johannes Simon)

- Stefan Reinhard* ist 27 und spielsüchtig. Die Abhängigkeit ging soweit, dass Reinhard depressiv wurde und zusammenbrach. Seine Arbeitsstelle musste er wechseln - aus Angst, bei der täglichen Autofahrt mit Spielhallen konfrontiert zu werden. In Erding hat er es nicht leicht. Die Zahl der Glücksspielbetriebe ist enorm. Eine Spielhalle kommt auf lediglich 1400 Einwohner. Bayernweit ist der Schlüssel eine Spielhalle auf 4800 Personen. Der Psychologe Thomas Pölsterl, Leiter der Suchtberatungsstelle Prop, schlägt Alarm: "Mehr als 600 Spielsüchtige leben im Landkreis Erding."

Mittlerweile kann und will Stefan Reinhard offen über seine Abhängigkeit sprechen. "Es geht einem besser, wenn man es sich von der Seele redet." Jahre lang hatte er versucht, genau das zu vermeiden, hat sich selbst und die Menschen in seiner Umgebung belogen. "Durch das Spielen vernachlässigt man alles - Familie, Freunde und auch sich selbst." Von Februar bis Juni dieses Jahres hat er sich einer viermonatigen Suchttherapie im Allgäu unterzogen. Jetzt ist er immer noch in psychologischer Behandlung bei einer Suchtberatungsstelle. Seine Sucht besiegt hat er aber noch lange nicht. Trotz der dauerhaften Behandlung und großer Bemühungen wurde er schon rückfällig.

Wenn er von seinem Rückfall erzählt, schämt er sich. Seine Stimme ist das erste und einzige mal unrund und zurückhaltend. Dieser Tag, an dem er sich wieder hinter einen Spielautomaten gesetzt hatte, wirkt offenkundig auch noch Monate später nach. Zu lang kam er von diesen Maschinen nicht los. Sie haben sein Leben bestimmt. "Man weiß zwar, dass es nichts bringt, aber sobald man vor dem Automaten sitzt, schaltet man das Gehirn aus."

Den Höhepunkt erreicht seine Abhängigkeit im September vergangenen Jahres. Von Depressionen geplagt bricht Stefan Reinhard zusammen. "Ich war vollkommen fertig. So konnte es nicht weitergehen." Seine Frau, die ihm aller Widrigkeiten zum Trotz immer zur Seite gestanden hatte, drängt ihn zunehmend dazu, sich externe Hilfe zu suchen. Auch wenn es ihm nicht leicht fällt, entschließt er sich schließlich dazu, eine Therapie zu beginnen.

Sein Leben hat sich seither einschneidend verändert. Seine Stelle als Fahrstuhlmonteur hat er aufgegeben. Jetzt arbeitet er im Familienbetrieb. "Auf meiner Route bin ich täglich am Frankfurter Ring in München vorbei gekommen. Da wimmelt es nur so von Kasinos." Dieser Versuchung mochte er sich nicht aussetzen. Aber auch in seiner jetzigen Tätigkeit lassen sich Autofahrten nicht vermeiden. Zwei Ausfahrten habe er bereits abbrechen müssen, da er sich nicht in der Lage sah, der Verlockung des Glücksspiels zu widerstehen. Das komme vor allem in Stresssituation vor. "Dann versuche ich runterzukommen. Häufig geht es nach ein paar Stunden wieder."

Angefangen hat alles ganz harmlos: Er traf sich häufig mit einigen Freunden zum Dart in einer Sportstätte. Einer seiner Bekannten ging im Anschluss häufig in ein kleines Spielkasino, das sich im selben Gebäude befand. "Dann bin ich halt mal mitgegangen und habe zwei Euro eingeworfen." Aus zwei wurden im Laufe des Abends schließlich zwanzig Euro. Die Beträge wurden größer, das Glücksspiel nahm zunehmend seine gesamte Freizeit in Anspruch. Er habe versucht, dem Alltagsstress zu entfliehen. "Ein Spielautomat widerspricht eben nicht."

Thomas Pölsterl sieht vor allem die große Masse von Spielhallen und Spielautomaten äußerst kritisch. "Verfügbarkeit befördert die Sucht." Speziell die Automaten bergen enormes Suchtpotenzial - das größte aller Glücksspiele, sagt Pölsterl. Die Maschinen seien darauf ausgelegt, süchtig zu machen - angefangen bei der bewusst schrillen Optik und der Akustik. "Da werden bestimmte Reize erzeugt, die den Betroffenen nicht mehr loslassen." Auch Stefan Reinhard sagt, dass er auf Aussehen und Klang der Automaten zunehmend konditioniert war. Die unregelmäßigen Erfolgserlebnisse am Automaten verstärkten das Suchtverhalten zusätzlich. Man hatte das Gefühl, dass es bestimmt wieder klappen könnte - "man müsse es nur lange genug versuchen", erklärt Reinhard.

Psychologe Pölsterl ist der Meinung, dass die räumliche Nähe zum Flughafen bei der großen Anzahl der Spielsüchtigen eine große Rolle spielen könnte. Viele Angestellte sind dort in Schichtarbeit beschäftigt und haben dementsprechend unregelmäßige Arbeitszeiten. "Wenn jemand um drei Uhr nachts aus der Arbeit kommt, kann er nicht einfach so in eine Bar oder ein Wirtshaus gehen." Die Spielhallen haben hingegeben häufig rund um die Uhr geöffnet. "Für viele Spieler sind sie ein Zufluchtsort." Auf diese Missstände müsse aufmerksam gemacht werden.

Am bayernweiten Aktionstag Glücksspielsucht steht Pölsterl mit seiner Prop-Kollegin Sarah Konietzko am Kleinen Platz in Erding. Etwas ironisch ist es schon, bei einer Veranstaltung, die über die Gefahren von Glücksspiel aufklären soll, Glückskekse an Passanten zu verteilen. Der strahlende Sonnenschein hatte viele Menschen in die Altstadt gespült. Auch wenn es einige Fußgänger bei neugierigen Blicken belassen, können sich Pölsterl und Konietzko nicht über mangelndes Interesse beklagen.

"Die meisten Leute haben zumindest jemanden im Bekanntenkreis, der betroffen ist", erklärt Konietzko. Auf einem großen weißen Plakat hat man Schätz- und Meinungsfragen aufgemalt. Wie viele Spielsüchtige gibt es im Landkreis Erding? Soll Glücksspiel beschränkt oder verboten werden? Die Strichliste auf dem Poster, die mit jeder Antwort weitergeführt wird, bietet keinen Raum für Spekulationen. Zumindest beschränkt sollte es werden, darin sind sich alle Befragten einig.

Auch die Politik ist durch die hohe Zahl von Spielsüchtigen alarmiert. Ein Entwurf, den die GMA, die Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung, 2010 im Auftrag der Stadt Erding erstellt hat, weist das gesamte Stadtgebiet als "Ausschlussbereich" aus. Lediglich zwei Gebiete kommen demnach für neue Spielhallenprojekte in Frage: Die Gewerbegebiete Erding-Nordwest und Erding-Südwest. Dort befinden sich bereits etliche Spielhallenstandorte. Die bereits bestehenden Spielhallen dürfen - unabhängig von ihrer jeweiligen Lage - in den angestammten Räumlichkeiten bleiben. "Dort gilt Bestandsschutz", erklärt Christian Wanninger, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Erdinger Rathaus.

Auf die etwas mehr als 35 000 Einwohner Erdings kommen allein im Stadtgebiet 22 Spielhallen. Seit 2010 hat es keine weitere Anfrage von Spielhallenbetreibern in Erding gegeben, berichtet Wanninger. Die Gründe dafür liegen für Thomas Pölsterl auf der Hand. Zum einen liege es an der überdurchschnittlichen Zahl von Spielhallen im Stadtgebiet und der dementsprechend gedeckten Nachfrage. Zudem dürfte Erding aufgrund des vorgelegten Konzeptes bei neuen Projekten von den Spielhallenbetreibern gemieden werden.

Erdings Oberbürgermeister Max Gotz ist von der Wirksamkeit des Entwurfes ebenfalls überzeugt. "Dass keine weiteren Anträge eingegangen sind, hat bestimmt mit dem ausgearbeiteten Konzept zu tun." Erding war bei derartigen Bestrebungen einer der bundesweiten Vorreiter. "Damals bin ich auch in andere Bundesländer gefahren, nur um das Konzept dort vorzustellen." Die gesellschaftspolitische Dimension von Spielhallen dürfe man ebenso nicht unterschätzen. Je mehr Glücksspielbetriebe es gebe, umso drastischer werde die Spielsucht-Problematik befeuert.

Bayerns einzige Klinik für Spielsüchtige in Sulzberg bei Kempten, in der auch Stefan Reinhard therapiert wurde, muss im April nächsten Jahres schließen, da sie nicht mehr den vorgeschriebenen Standards entspricht. Die nötigen Investitionen in Millionenhöhe kann die Klinik jedoch nicht stemmen. Das Geld, das die Einrichtung für einen Therapieplatz bekomme, reiche gerade so aus, um den laufenden Betrieb zu finanzieren, rechnet Josef Lehner, Leiter der Einrichtung, vor.

Thomas Pölsterl sieht trotzdem ein ausreichendes therapeutisches Angebot. "Diese Angebote werden von den Süchtigen nur zu selten wahrgenommen." Viele Süchtige scheuen die Konfrontation mit der eigenen Sucht. Er geht davon aus, dass nicht einmal jeder Zwanzigste Spielsüchtige professionelle Hilfe in Anspruch nimmt.

*Name von der Redaktion verändert

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