Dorfen:"Man kann nicht oft genug daran erinnern"

Dorfen: Georg Wiesmaier unterrichtet unter anderem Geschichte an der Mittelschule in Dorfen.

Georg Wiesmaier unterrichtet unter anderem Geschichte an der Mittelschule in Dorfen.

(Foto: oh)

Der Geschichtslehrer Georg Wiesmaier über den Besuch von Leslie Schwartz in Dorfen an diesem Dienstagabend

interview Von Gianna Niewel, Dorfen

Georg Wiesmaier unterrichtet Geschichte an der Mittelschule in Dorfen. Gemeinsam mit der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft organisierte der 62-Jährige am Dienstagabend eine besondere Veranstaltung: Der Holocaust-Überlebende Leslie Schwartz besucht Dorfen - die Stadt, in der er Ende April 1945 auf dem Todeszug vom Außenlager Mühldorf kommend Halt gemacht hat.

SZ: Was ist das für ein Gefühl, einen Holocaust-Überlebenden an einem solchen Ort zu sprechen?

Georg Wiesmaier: Sicherlich habe ich Ehrfurcht vor dem Gespräch und vor dem Ort. Aber Leslie Schwartz kommt bewusst hierhin, es ist in seinem Sinne, die Geschichte und die Geschehnisse aufzuarbeiten.

70 Jahre nach Kriegsende gibt es heuer viele Gedenkveranstaltungen.

Wenn ich aktuelle Studien lese wie die der Bertelsmann-Stiftung, der zufolge mehr als 80 Prozent der Deutschen die Geschichte der Judenverfolgung am liebsten hinter sich lassen würden, wird mir bange. Dann die vielen antisemitischen Vorfälle, Pegida, die Angriffe auf Asylbewerberheime, die sich häufen - es muss klar werden, dass auch wir Verantwortung haben. Man kann nicht oft genug daran erinnern.

Wie gehen Sie als Lehrer mit der Verantwortung um?

Natürlich ist der Holocaust ein Thema im Geschichtsunterricht. Unsere Klassen fahren nach Dachau. Gestern haben wir zusammen "Endstation Seeshaupt" gesehen, einen Film über den Todeszug. Leslie Schwartz wird am Morgen auch in die Schule kommen und sich nur mit den Schülern unterhalten.

Haben Sie das Gefühl, dass sich die Jugendlichen für das Thema interessieren?

Auf jeden Fall. Die Schüler können nicht verstehen, wieso jemand wie Leslie Schwartz aufgrund seiner Herkunft und seines Glaubens hätte sterben sollen. Die Schüler fragen viel: Wer kommt auf die Idee, so etwas zu tun? Und wie können wir verhindern, dass sich diese Geschichte wiederholt?

Wie entstand der Kontakt?

Der Historiker Heinz Mayer, der am Abend mit Herrn Schwartz sprechen wird, hatte vor einiger Zeit in Erding eine Ausstellung über den Todeszug. Die hat er zusammen mit seinen Schülern des Gymnasiums in Markt Schwaben erarbeitet. Dieses Projekt fand ich interessant. Ich wollte die Ausstellung nach Dorfen holen, so kamen wir ins Gespräch. Gemeinsam haben wir dann überlegt, dass es schön wäre, Leslie Schwartz einzuladen - Herr Mayer hat sich im Zuge seiner Forschungsarbeit immer mal wieder mit ihm ausgetauscht. Leslie Schwartz hatte sehr großes Interesse. Die Ausstellung der Schüler ist derzeit auch zu sehen: Fünf Tafeln, die noch bis Donnerstag im Eingang des Jakobmayer-Saals stehen.

Am Abend spricht Leslie Schwartz erst am Bahnhof, danach wird im Jakobmayer-Saal ein Film über ihn und den Todeszug gezeigt. Was sollen die Besucher mit nach Hause nehmen?

Das Bewusstsein, dass der Holocaust nicht irgendwo stattgefunden hat. Die Verbrechen sind auch lokal passiert. Die Täter, das waren nicht nur Hitler, Himmler und Goebbels in Berlin, das waren auch Menschen hier vor Ort. Und genauso wie es in Dorfen, Erding oder Poing Täter gab, gab es auch Opfer. Das vergessen wir gerne, unabhängig davon, dass ja ohnehin niemand etwas gewusst hat. Oder viel eher: gewusst haben will.

Die Gedenkfeier beginnt um 18 Uhr am Bahnhof in Dorfen. Von 19.30 Uhr an sprechen Leslie Schwartz und Heinz Mayer im Jakobmayer-Saal in Dorfen, gezeigt wird auch der Film "Der Mühldorfer Todeszug" von Beatrice Sonnhüter.

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