Disziplin und Ehrgeiz:Der nach den Sternen greift

Seit zwei Jahren ist Tohru Nakamura, 34, aus Baldham einer der fünf Zwei-Sterne-Köche Münchens. In seinem Lokal Geisels Werneckhof kombiniert er japanische und europäische Rezepte

Von Theresa Parstorfer

Kalbsrücken und Lamm, das waren die zwei Gerichte, die Tohru Nakamura seinen zweiten Michelin-Stern bescherten. Zumindest glaubt der 34 jährige Baldhamer, dass es diese zwei Hauptgänge waren, die er an jenem Abend vor über einem Jahr servieren durfte. Denn wie normalerweise üblich, gaben sich die beiden Gourmet-Gesandten nicht als solche zu erkennen. "Aber man bekommt mit der Zeit ein gewisses Gefühl dafür, wer ein Tester sein könnte", sagt Nakamura und lächelt.

Seit vier Jahren ist er Küchenchef des Restaurants Geisels Werneckhof zwei Straßen von der Münchner Freiheit entfernt und seit zwei Jahren einer der fünf Zwei-Sterne-Köche Münchens. Nach wie vor ist die Einrichtung des ehemals traditionell bayerischen Lokals rustikal. Dunkle Massivholztische und Bänke, ein opulenter Kronleuchter und über der schweren Eingangstür ist auf einem mit Schnörkeln verzierten Schild in Kursivschrift zu lesen: "De gustibus non disputandum" - Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Über Geschmack zu sprechen zaubert jedenfalls regelmäßig ein begeistertes Strahlen in Nakamuras klare, braune Augen, während durch die Küchentüren hinter ihm sanfte Bass-Beats amerikanischer Popmusik wummern. "Aufwärmmusik", nennt Nakamura das. Sein Team beginnt gerade mit den Vorbereitungen für das heutige Menü - das gestalten die neun Mitarbeiter einem leichten Workout gleich, nichts zu Anstrengendes. "Es bringt ja nichts, wenn wir alle schon völlig am Ende sind, wenn um sieben die Gäste kommen", erklärt Nakamura.

"Jakobsmuscheln mit Chicorée, Karotte und Pinienkernen" ist heute eines der 16 Gerichte auf der auf schweres Pergamentpapier gedruckten Speisekarte. Frisch von der schottischen Küste sind die Schalentiere heute eingetroffen und da ist es wieder, das Funkeln in Nakamuras Augen. Er wird sich nachher selbst um diese Prachtstücke kümmern. Muscheln sind noch eines der klassischsten Gerichte im Werneckhof. Bei "Balfego Tuna - Avocado, Shiso und geräucherte Ponzu" hingegen lässt sich erahnen, dass Nakamuras Markenzeichen die Kombination europäischer und japanischer Kochkunst ist. Sein Vater ist Japaner, allerdings war es seine Mutter die zuhause "aufwendige japanische Essen gekocht hat", so Nakamura. Als Belohnung dafür, dass der Sohn nicht nur auf das Gymnasium in Vaterstetten ging, sondern an Samstagen noch zusätzlich die japanische Schule am Gärtnerplatz in München besuchte, um dann mit seinem Vater an den freien Tagen Schriftzeichen zu pauken.

Tohru Nakamura

Voller Körpereinsatz und Konzentration sind gefordert, wenn Tohru Nakamura in der erstaunlich kleinen Küche seines Zwei-Sterne-Restaurants Geisels Werneckhof in München für seine Gäste kocht.

(Foto: Jelena Moro)

Der Vater hätte seinen Sohn auch lieber im Medizinstudium oder einer Ausbildung zum Diplomaten gesehen. "Interkultureller Austausch, Zweisprachigkeit ausnutzen und so weiter", meint Nakamura und hebt beinahe entschuldigend die Schultern. Der Abiturschnitt von 1,6 hätte dazu auch gereicht, aber schon früh war ihm klar gewesen, dass Kochen die eine Leidenschaft war, die er auch zum Beruf machen wollte. Egal war da auch, dass das "Image eines Kochs damals gesellschaftlich bei Weitem noch nicht so aufpoliert war, wie es das heute ist" sagt Nakamura.

Anstatt sich also nach dem Abitur für ein Studium einzuschreiben, begann er eine dreijährige Ausbildung im Königshof am Karlsplatz in München. "Das war manchmal schon ernüchternd, wenn man wusste, dass die Freunde gerade an der Uni sind, und in der Berufsschule der Dreisatz als höchstes der Gefühle durchgenommen wird", sagt Nakamura sachlich. Oder wenn in der Küche stundenlang Preiselbeeren von den Zweigen gepickt werden müssen. Sich an den Traum erinnern, half in diesen Momenten. Den Traum, Koch zu werden.

Wie ernst ihm dieser Traum war, bemerkten sowohl Martin Fauster, Sterne-Küchenchef im Ausbildungsbetrieb, als auch sein Berufsschullehrer, Josef Reitsam. "Sie haben beide gesehen, dass ich bereit war, den letzten Meter zu gehen", sagt Nakamura, betont die Dankbarkeit, die er nach wie vor empfindet, denn "sie haben mich unterstützt und gepusht." Der letzte Meter, der besteht für ihn aus Disziplin und Ehrgeiz, Eigenschaften, die noch wichtiger seien als Talent. "Auch an freien Tagen in der Küche zu stehen", beispielsweise, um immer besser, immer kreativer zu werden, immer weiter zu "trainieren". Wieder, wie zuvor bei der Aufwärmmusik, so eine Analogie zum Sport, denn "in der Küche unter Zeitdruck muss jeder Handgriff sitzen, in vier Stunden ein Menü zu kochen, das dann auch begeistern soll, das ist Adrenalin pur", sagt er.

Disziplin und Ehrgeiz: Tohru Nakamura, 34, kommt ursprünglich aus Baldham

Tohru Nakamura, 34, kommt ursprünglich aus Baldham

(Foto: Alessandra Schellnegger)

An mehreren Meisterschaften hat Nakamura während der Ausbildung teilgenommen. Bescheiden sagt er: "ja, auch bei den deutschen Jugendmeisterschaften hatte ich das Glück, zu gewinnen." So ist das auch, wenn er über seine beiden Sterne spricht. Vom Glück, "ein Team gefunden zu haben, das ähnliche Ambitionen und den gleichen Anspruch an gleichbleibend hervorragende Qualität besitzt." Noch dazu ein Team, das es schafft, zu neunt jeden Tag zwei sieben-Gänge-Menüs in einer Küche zuzubereiten, die eigentlich schon mit vier Leuten gut ausgefüllt wäre. "Aber eine Küche ist immer zu klein, egal wie groß sie ist", sagt Nakamura und lacht. So müsse man eben effektiver mit dem Platz umgehen, alle Handgriffe aufeinander abstimmen und Zuständigkeiten klären.

Während Geisels Werneckhof an Weihnachten geschlossen blieb, macht es Nakamura nichts aus, an Silvestern zu arbeiten. "Da ist man dann Mitternacht auch schon durch und kann dann mit allen zusammen draußen anstoßen", sagt er. Auf die Frage, was er für ein Silvestermenü vorschlagen würde, antwortet er sehr unkompliziert, "ein tolles Hauptgericht" sei seiner Meinung nach oft schon ausreichend. Gebeizter Grillachs zum Beispiel, das sei ein fantastisches Gericht. Eine geschmorte Kalbshaxe wäre eine Fleischvariante und für Vegetarier empfiehlt er Rote Beete im Salzteig - auch aus dem Ofen, denn "wann, wenn nicht an den großen Familienfesten in der kalten Zeit, nimmt man sich schon die Zeit, einen ganzen Nachmittag auf einen Schmorbraten aufzupassen?" Außerdem gäbe es doch nichts Schöneres als nach einem winterlichen Spaziergang in ein Haus zurückzukehren, in dem es nach Braten und Gewürzen duftet. Gleichzeitig versichert Nakamura, all diese Rezepte seien auch in einer nicht-professionellen Küche, ohne Michelin-Stern kochbar.

Und - gute Vorsätze für 2018? Geht es weiter mit der Suche nach den Sternen am Gourmet-Himmel? Aktiv auf einen Dritten Stern hinarbeiten, könne man nicht, da ist sich Nakamura sicher. "Die Gunst der Sterne ist auf diesem Niveau wirklich nicht mehr beeinflussbar", sagt er. Da müsse man Glück haben. Und natürlich darauf achten, dass es weiterhin konstante, wenn nicht sogar steigende Qualität zu vermelden gibt. Darüber hinaus könne man sich auch verrückt machen, mit der Jagd nach dem Sternendunst, meint Nakamura. Ihm sei es viel wichtiger, jeden Tag vor allem seine Gäste zu begeistern, anstatt immer auf diesen einen Moment zu warten, da wieder einmal ein Undercover-Tester im Restaurant erscheinen könnte, dem man Kalb und Lamm serviert. "Oft handelt es sich bei den Gästen um Leute, die sich schon lange auf einen Abend bei uns freuen und egal wer kommt, ich tue immer alles dafür, nicht zu enttäuschen, sondern eine einmalige Erfahrung zu bescheren."

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