Die Geschichte eines kreativen Italo-Bayern:Frisuren mit Pepp

Vor drei Jahren lebte Giuseppe Carlucci noch in Italien und sprach kein Wort Deutsch. Heute betreibt er in Erding den Barbiersalon "Da Boda", nennt sich "Barber-Pepp" und begrüßt die Kunden mit "Griaß di!"

Von Thomas Jordan, Erding

Jonas Ringling setzt sich gleich mal verkehrt auf den Stuhl für die Bartwäsche. Mit dem Hinterkopf lehnt sich der 24-jährige an das niedrige, schwarze Becken, so, als ob ihm die Haare gewaschen würden. "Das machen alle erst mal", sagt Giuseppe Carlucci und lacht. Denn eine "Bartwaschanlage", wie er es nennt, bei der man sich mit dem Gesicht über die Ausbuchtung an der Waschschüssel beugt, gibt es sonst bei keinem Frisör. Auch in Erding gab es das bis vor kurzem nicht. Dann kam Giuseppe Carlucci. Eine Haarwaschschüssel einfach umzufunktionieren, weil die Rasur dann hygienischer und der Bart weicher zu schneiden ist, das ist eine der vielen kreativen Ideen des gelernten Barbiers. Seit September vergangenen Jahres betreibt er den Herrensalon "da Boda" in der Maurermeistergasse 3 mitten in der Altstadt von Erding.

Wie der 25-Jährige aus einem kleinen Dorf in Apulien, der noch vor wenigen Jahren kein Wort Deutsch sprach, zum Betreiber eines klassischen Herrenfrisörladens in Erding wurde, das ist eine Geschichte für sich. Sie hat mit Ehrgeiz zu tun, mit Leidenschaft für das Barbier-Handwerk. Und mit einer Beobachtung, die der schmale, junge Mann mit dem nach oben gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart machte, als er noch daheim in Apulien war. In seiner Region habe es viele Italiener gegeben, die schon einmal in Deutschland gewesen waren. "Und wenn sie zurückgekommen sind habe ich mir immer gedacht, die haben keinen guten Haarschnitt - das muss ich ändern", sagte sich der Süditaliener, der Haare schneidet, seit er zwölf Jahre alt ist.

Die Geschichte eines kreativen Italo-Bayern: Der Barbier Giuseppe Carlucci macht Präzisionsarbeit mit dem Rasiermesser, hier bei seinem Kunden Jonas Ringling.

Der Barbier Giuseppe Carlucci macht Präzisionsarbeit mit dem Rasiermesser, hier bei seinem Kunden Jonas Ringling.

(Foto: Renate Schmidt)

Er schaffte es in das Austauschprogramm einer internationalen Kosmetikfirma und kam in den Frisörsalon von Johannes Mittermeier in Poing. Vor knapp drei Jahren war das. "Ich war ein bisschen verrückt", sagt Carlucci heute und grinst. "Ich wollte Deutsch lernen, auch wenn ich es noch nicht sprechen, nur hören konnte." Und er hörte genau zu. Den Kollegen, den Kunden und irgendwann begann er dann selber Deutsch zu sprechen. Gerade massiert er in seinem Erdinger Salon Waschlotion in den Bart seines Kunden Jonas Ringling: "Wichtig ist, dass man kein normales Shampoo nimmt." Stattdessen verwendet der "Barber-Pepp", wie er sich selbst nennt, Olivenöl und Arganöl-Shampoo. Das sorge dafür, dass der Bart weich werde, bevor er geschnitten wird. Und nach dem Rasieren legt er seinen Kunden nicht nur eine warme Kompresse auf die Wangen wie seine Kollegen, sondern auch noch eine kalte. Damit sich die Poren schneller schließen.

Carlucci trägt eine englische Barber-Schürze aus Leder, dazu schwarzes Hemd und Fliege. Und um sein Barber-Outfit abzurunden setzt er sich einen Zylinder auf den Kopf. Der "Barber-Pepp" macht Präzisionsarbeit, das merkt man an tausend Details.

Das merkte auch Johannes Mittermeier, als er der schmale jungen Mann mit der großen Brille noch in seinem Frisör-Salon in Poing arbeitete. Mittermeier besitzt noch vier weitere Frisörsalons, der 47-jährige sprüht nur so vor Tatendrang. Wenn er einen begrüßt, dann schnalzt es, so energisch ist sein Händedruck. "Ich habe das Potenzial bei ihm schon gesehen", sagt der Unternehmer, der sich in seinen Salons um das Geschäftliche kümmert und seinen Teilhabern wie Carlucci den Rücken für das Handwerkliche freihält. Außerdem sei es der Wunsch von Carlucci gewesen, sich selbständig zu machen.

Die Geschichte eines kreativen Italo-Bayern: Zum Rundum-Wohlfühl-Programm für seine Kunden gehört auch der Zigarren-Humidor und die Whiskey-Auswahl.

Zum Rundum-Wohlfühl-Programm für seine Kunden gehört auch der Zigarren-Humidor und die Whiskey-Auswahl.

(Foto: Renate Schmidt)

Das Potenzial, das Mittermeier bei Carlucci sah, beschränkte sich nicht nur aufs Rasieren und Frisieren. Sondern auch auf die Lust an der Selbstdarstellung. Und so entstand der "Barber-Pepp" als Marketing-Gesamtkunstwerk, Zylinder, Schnurrbart und Instagram-Account inklusive. Im Internet postet Carlucci als "da_boda" Fotos vom neuen Undercut-Haarschnitt eines Kunden oder von sich und seinem Team im Holzrahmen mit der Unterschrift "I love Boda". Was Carlucci und Mittermeier seit September in der Maurermeistergasse aufbauen, soll ein Rundum-Wohlfühl-Programm für den Mann werden. Oder besser für den klassischen Gentleman, wie die beiden sagen.

Im hinteren Teil des Salons haben sie eine Holzbar eingebaut. Darauf steht ein kleiner Humidor mit Zigarren, daneben Whiskey-Flaschen, im Hintergrund surrt die Espressomaschine. Wer eine rauchen will, kann dafür in das kleine Raucherzimmer gleich neben den Bartwaschschüsseln gehen. Neben einem Fernsehapparat aus den fünfziger Jahren und einem Elektro-Kamin steht hier auch eine Spielkonsole. Und die beiden planen schon weiter. Im Keller, dort, wo jetzt noch die Bierkisten mit dem Getränke-Nachschub für die Kunden stehen, soll ein Spielsalon entstehen. Ein Tischkicker lehnt schon an der Wand.

Die Geschichte eines kreativen Italo-Bayern: Vorher wird der Bart mit einer Sprüh-Lotion aus Eukalyptus desinfiziert, um auch bei längeren Bärten die darunterliegende Haut zu säubern.

Vorher wird der Bart mit einer Sprüh-Lotion aus Eukalyptus desinfiziert, um auch bei längeren Bärten die darunterliegende Haut zu säubern.

(Foto: Renate Schmidt)

Die Kunden wie Jonas Ringling sind von dem vielfältigen Angebot beeindruckt: "Sehr professionell" sei der Barber-Pepp, sagt er, während Carlucci gerade das Rasiermesser an seiner rechten Wange ansetzt. Der 24-jährige Ringling ist zum ersten Mal beim "Da Boda". Er ist extra aus Vaterstetten hergekommen, ein Freund hat ihm den Tipp gegeben. Bisher war er für's Rasieren und Frisieren nach München gefahren. "Dort sind es horrende Preise, man zahlt 100 Euro und muss vier Wochen vorher einen Termin reservieren."

Beim Barber-Pepp kostet Rasieren und Frisieren gut 60 Euro, Zigarillo inklusive. Und dazu gibt's einen Café Corretto. Die Rezeptur hat Carlucci aus der Heimat mitgebracht. Ein Espresso, mit einem Schuss Sambuca gewürzt, dem Anisschnaps aus Süditalien.

Bayern und Italien, beim Barber-Pepp ist das eine ganz natürliche Verbindung: "Ich habe vor kurzem 'Griass di' geübt" erzählt er, "weil am Telefon melde ich mich immer mit 'Griaß di, da is da Boda'". So wie er das sagt, klingt es schon jetzt wie eine hinreißende bavaro-italienische Sprachkomposition. Aber man kann sich sicher sein, dass der Perfektionist Carlucci daran noch weiter feilen wird. Denn für den ehrgeizigen 25-jährigen ist klar: "Ich möchte der beste Barber in der bayerischen Welt werden."

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