Ende des Kartoffelschnaps:Für Alkoholerzeuger hat es sich ausgebrannt

Ende des Kartoffelschnaps: Keine Zukunft für den Agraralkohol: Die Schnapsbrennerei in Niederding wird demnächst abgerissen.

Keine Zukunft für den Agraralkohol: Die Schnapsbrennerei in Niederding wird demnächst abgerissen.

(Foto: Renate Schmidt)

Überangebot an synthetischem Alkohol treibt Brennereien in den Ruin. Eine Hoffnungsschimmer könnte Nachfrage nach natürlicher Herstellung sein.

Von Regina Bluhme, Oberding

Es ist noch gar nicht lange her, da lieferten Landwirte aus Oberding und Niederding den Grundstoff für Kosmetika, Arzneimittel und Spirituosen. In kleinen Brennereien wurden Kartoffeln zu Alkohol verarbeitet. Dieser wurde dann in München in einer Destillationsfabrik, zuletzt bei der Agralko AG, weiterverarbeitet. Mittlerweile hat die Niederdinger Erzeugergenossenschaft ihre Brennerei aufgegeben. Das Gebäude wird demnächst abgerissen. Die Genossenschaft Oberding wiederum hat sich in der Agralko engagiert, um die heimische Produktion am Leben zu erhalten. Jetzt steht die AG vor dem Aus.

"Wenn kein kleines Wunder mehr geschieht, dann wird Ende April, Anfang Mai das Insolvenzverfahren eröffnet", beschreibt der vorläufige Insolvenzverwalter Axel Bierbach die Situation: "Das ist schmerzlich für die Gesellschafter, die ihr Kapital verlieren." Die Höhe der Schulden will der Münchner Rechtsanwalt mit Verweis auf die nicht öffentlichen Verhandlungen nicht benennen. Wie stark die Oberdinger Genossenschaft als Mitgesellschafter betroffen ist, dazu wollte auch Vorstand Fritz Müller aufgrund des laufenden Verfahrens keine Stellungnahme abgeben.

Ende des Kartoffelschnaps: Keine Zukunft für den Agraralkohol: Die Schnapsbrennerei in Niederding wird demnächst abgerissen.

Keine Zukunft für den Agraralkohol: Die Schnapsbrennerei in Niederding wird demnächst abgerissen.

(Foto: Renate Schmidt)

Erst 2014 hatte die Agralko die von der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein betriebene Destillier- und Vertriebsstelle in München übernommen. Mehr als 40 landwirtschaftliche Brennereigenossenschaften aus ganz Deutschland hatten sich in der AG zusammengetan, um gemeinsam ihren Agraralkohol aus Kartoffeln oder Weizen zu vermarkten. Das Gelände selbst gehört weiter dem Bund und ist gepachtet.

Einer der Gründe für das Aus ist nach Ansicht von Bierbach das Überangebot an Alkohol auf dem Markt: "Heute wird viel synthetisch hergestellt." Das günstige Erdöl drücke die Preise. Darüber hinaus habe die zu geringe Auslastung der Anlage eine Rolle gespielt. "Das ist, als hätte die SpVgg Unterhaching die Allianz-Arena übernommen." Die Anlage sei zu groß gewesen. Im Jahr hätten in der Agralko 40 Millionen Liter verarbeitet werden können - "angeliefert wurden drei Millionen", sagt Bierbach. Damit sei der Umsatz zu niedrig gewesen, auch angesichts der Fixkosten. Noch allerdings wird gekämpft. "Wir sind auf der Suche nach jemanden, der genügend Alkohol anliefert, so dass sich die Anlage rentiert", berichtet Bierbach. Viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr.

Werner Ippisch war viele Jahre Brennmeister in der Brennerei in Oberding. "17 Saisonen war ich dort", erinnert er sich. Gebrannt wurde immer von Mitte September bis Mitte April. Tonnenweise sind die Kartoffeln am Tag von den 16 Landwirten der Genossenschaft angeliefert worden. Täglich wurden bis zu 2200 Liter reinen Alkohols in den vier riesigen Gärbottichen gebrannt. Pro Monat kam ein Tankzug, der die Fracht nach München ins Destillierwerk schaffte. Von dort wurde der Alkohol an die Kosmetik- , Spirituosen- oder Pharmabranche verkauft. Reinhold Heilinger, Vorstand der Niederdinger Brennereigenossenschaft, kann sich noch gut erinnern, wie immer drei Zollbeamte zur Abnahme in der Brennerei vorbeigekommen sind. "Da wurde ganz streng kontrolliert." Zum heimlichen Trinken habe sich der Alkohol natürlich nicht geeignet - bei einem Gehalt von 86 und 90 Prozent.

Ende des Kartoffelschnaps: Die Bauern konnten in Niederding ihre Kartoffeln abliefern. Auch der Zoll war regelmäßig vor Ort, um das Schnapsbrennen zu kontrollieren.

Die Bauern konnten in Niederding ihre Kartoffeln abliefern. Auch der Zoll war regelmäßig vor Ort, um das Schnapsbrennen zu kontrollieren.

(Foto: Renate Schmidt)

Das Kartoffelschnapsbrennen hatte sich dank des 1919 eingeführten Branntweinmonopols knapp 100 Jahre recht gut rentiert. 1,05 bis 1,25 Euro pro Liter Alkohol seien zuletzt gezahlt worden, erinnert sich der ehemalige Brennmeister Ippisch. Oberding und Niederding sind allerdings erst relativ spät, in den 70er Jahren, ins Schnapsgeschäft eingestiegen. In der Münchner Schotterebene dagegen gab es schon lange kleine landwirtschaftliche Brennereien. "Auf den Kiesböden ist nichts anderes als Kartoffeln gewachsen, und so hatten die Landwirte eine Einnahmequelle", erklärt Ippisch. Die vergorenen Kartoffelreste konnten zudem als Viehfutter wiederverwendet werden.

Nachdem 2013 das Branntweinmonopol weggefallen war, konnten immer weniger kleine Brennereien auf dem Markt bestehen. Ippisch schätzt, dass es rund um München an die hundert kleinen Brennereien gegeben hat. "Heute sind es in ganz Deutschland vielleicht noch 50."

In Niederding hat die Genossenschaft den Brennereibetrieb komplett aufgegeben. Das Gebäude ist verkauft und soll laut Heilinger in den kommende vier Wochen abgerissen werden. Die Genossenschaft selbst will sich im kommenden Jahr auflösen. Wie er weiter informiert, ist auch die Brennerei in Berglern schon seit längerem nicht mehr in Betrieb.

Oberding hat zuletzt in der Saison 2013/14 Schnaps gebrannt. "Jetzt ruht der Betrieb", berichtet Anton Nußrainer von der Oberdinger Erzeugergemeinschaft, in der sich 16 Landwirte zusammengetan haben. Noch hofft Nußrainer, dass sich künftig eine Marktlücke für den "preislich höheren, aber qualitativ hervorragenden" Agraralkohol aus Oberding findet. "Schließlich ist regionale Herkunft derzeit sehr gefragt." Falls die Nachfrage wieder anzieht, stehe man bereit, erklärt der Brennmeister Ippisch. "Wir könnten innerhalb weniger Tage in Betrieb gehen".

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