Chipkarte für Flüchtlinge in Erding:"Ohne Bargeld geht es nicht"

4,50 Euro

würde jede Barabhebung mit der Flüchtlings-Chipkarte "Kommunal Pass" kosten, wenn die Abhebefunktion freigeschaltet wäre. Ein Guthabenkonto bei der Kreis- und Stadtsparkasse Erding-Dorfen kostet 3,90 Euro im Monat. Jeder Kontoinhaber erhält dafür eine Geldkarte, mit der er kostenlos Bargeld abheben kann.

Kritik und Unverständnis äußern Ehrenamtliche bei einem Treffen in Erding über die Einführung der Chipkarte für Flüchtlinge. Sie fordern das Landratsamt auf, das System schnell zu ändern

Von Florian Tempel, Erding

"Die Familie hat einen neunjährigen Buben. Er hat geweint, weil er das Geld für einen Theaterbesuch mit der Schule nicht hat."- "Um 8.30 Uhr hat eine Flüchtlingsfrau an meiner Tür geklingelt, ob ich ihr 2,70 Euro für den Bus nach Erding geben kann." - "Die Kinder der Flüchtlinge haben große Angst, sie können sich in der Schule keine Breze mehr kaufen." - "Die Leute haben geweint, ich schäme mich für solche Maßnahmen."

Bei einem großen Treffen der Helferkreise haben Ehrenamtliche am Donnerstagabend in Erding erzählten, was sie in dieser Woche erlebt haben. Kurze, bedrückende Berichte über Menschen, die keinen Cent Bargeld mehr haben und auch künftig kein Bargeld mehr haben sollen. Weil Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) die einsame Entscheidung getroffen hat, allen Flüchtlingen in seinem Landkreis das ihnen zustehende Geld nur noch auf ein Chipkarte gutschreiben zu lassen, mit der sich kein Bargeld abheben lässt. Mit dem sogenannten Kommunal Pass ergäben sich "Vorteile für die Leistungsberechtigten", teilte Bayerstorfers Sprecherin noch am Montag mit. Jeder Flüchtlinge hätte so "die größtmögliche Freiheit, selbst über seine Geldmittel zu verfügen".

In einem gemeinsamen Schreiben fordern die Helferkreise Bayerstorfer auf, die gesperrte Auszahlungsfunktion der Chipkarte zu aktivieren: "Unserer Meinung nach kann das System nur funktionieren, wenn mit der Karte unverzüglich Bargeldauszahlungen möglich sind, ohne dass für die Asylsuchenden Bankgebühren anfallen. Wir halten diese Modifizierung für unerlässlich. Sonst ist die Kommunalpasskarte nicht alltagstauglich. Gerade auf dem Land sind die Flüchtlinge schlichtweg auf Bargeld angewiesen." Der Brief wurde von mehr als 200 Menschen, die im Pfarrsaal von St. Vinzenz zusammen gekommen waren, unterzeichnet. Die Helferkreise wollen weitere Unterschriften sammeln und das Schreiben dann am Montag oder Dienstag dem Landrat übergeben.

Caritas-Geschäftsführerin Barbara Gaab teilte bei der Versammlung mit, es gebe berechtigte Hoffnung, dass das Erdinger Chipkarten-System bald geändert werde. Der Taufkirchener Bürgermeister Franz Hofstetter (CSU) habe mit Bayerstorfer darüber gesprochen. Laut Hofstetters Aussage "sieht das Landratsamt jetzt auch, dass es ohne Bargeld nicht geht", sagte Gaab. Eine Freischaltung der Chipkarten für Barabhebungen ist technisch jederzeit problemlos möglich.

In dem gemeinsamen Schreiben der Helferkreise an Bayerstorfer bringen die Ehrenamtlichen auch ihr Unverständnis für die unangekündigte und überraschende Einführung der Chipkarte zum Ausdruck: "Es ist unverständlich, weshalb dieser Schritt nicht vorab mit den Helferkreisen abgestimmt wurde. Wir alle investieren unentgeltlich viel Freizeit, um den Flüchtlingen bei der Alltagsbewältigung zu helfen, sind um Integration und sozialen Frieden bemüht, versuchen Brücken zu schlagen. (. . .) Umso fassungsloser sind wir, dass Sie bei dieser einschneidenden Entscheidung keinen Dialog mit uns gesucht und kein transparentes Verfahren gewählt haben."

Eine ehrenamtliche Helferin berichtete, dass bei einem fehlgeschlagenen Versuch, mit dem Kommunal Pass Geld an einem Bankautomaten abzuheben, doch zumindest eines klar wurde: Jede Barabhebung kostet - wenn diese Funktion freigeschaltet wäre - den Nutzer eine Gebühr von 4,50 Euro. Maximal wären Abhebungen bis 200 Euro möglich.

Welche Kosten dem Landkreis durch das Chipkarten-System entstehen, wollte das Landratsamt nicht angeben. Zudem müsse man die Kosten für den Kommunal Pass, die das Landratsamt an das Unternehmen Sodexo bezahlen müsse, mit Einsparungen gegenrechnen, teilte eine Sprecherin mit. Bislang erhielten die etwa 1400 Flüchtlinge im Landkreis ihr Geld einmal im Monat vom Landratsamt bar ausgezahlt. Das war mit einem hohen Personal- und Verwaltungsaufwand verbunden, der nun wegfällt.

Es gäbe allerdings eine für alle Seiten günstige Alternative nach dem Beispiel des Nachbarlandkreises Freising. Dort überweist das Landratsamt 99 Prozent der Flüchtlinge das Geld auf ein Bankkonto. Die Kreis-und Stadtsparkasse Erding-Dorfen teilte mit, dass dort ein Guthabenkonto im Monat 3,90 Euro koste. Ein solches Konto hat alle üblichen Funktionen, man kann es nur nicht überziehen. Jeder Inhaber bekommt zudem eine Bankkarte, mit derer an vielen Geldautomaten kostenlos Bargeld abheben kann.

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