Bauen in Erding:Wilder Westen

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Im Baugebiet "Südlicher Thermengarten" könnte in den kommenden Jahren ein außergewöhnlicher Mix entstehen. Bauen wollen die öffentliche Hand, Privatleute, eine Baugenossenschaft und sogar - es wäre das erste Mal in der Stadt - eine Baugemeinschaft

Von Mathias Weber, Erding

Die Stadt rückt näher. Vor weniger als 20 Jahren, als man auf den Feldern zwischen Altenerding und der Flughafentangente den Grundstein legte für die Therme, in die mittlerweile im Jahr mehr als 1,6 Millionen Menschen pilgern, lag die Stadt Erding noch weit am Horizont. Höchstens ein paar Bauernhöfe und Schuppen waren damals zu sehen.

Heute ist alles anders. Heute bestimmen die Spitzen der Thermen-Hallen die Gegend südwestlich der Erdinger Innenstadt, und die Stadt selbst hat sich nach und nach ausgebreitet und ist dem Bad immer näher gerückt. Westlich der Sigwolfstraße ist ein Wohngebiet entstanden; zuerst die Riegel des Korbinian-Aigner-Gymnasiums, dann, südlich davon, eine ruhige Nachbarschaft mit quadratischen Einfamilienhäusern, im Stil der Zeit weiß mit Flachdach. Wie zum Beweis, wie wichtig die Therme für Erding ist, wurde dieses Wohngebiet nach ihr benannt: Thermengarten.

In den kommenden Jahren wird die Stadt noch ein wenig näher an die Therme heranrücken. Derzeit plant das Rathaus den Bebauungsplan 223/1, die südliche Erweiterung des Thermengartens, die Grundstücke gehören der Stadt; die angrenzende Fläche 223/2 wird vom Dorfener Bauträger Robert Decker entwickelt. Noch eine Kolonie an quadratischen Wohnmaschinen wird auf städtischem Gebiet aber nicht entstehen. Im Südlichen Thermengarten ist eine für Erding fast schon wilde Mischung geplant. Nicht ein Bauträger wird die Wohngebäude dort errichten, sondern eine Handvoll; die Bewohner werden ganz unterschiedlich sein, ebenso die Architektur. Die SZ Erding gibt einen Überblick, was geplant ist.

Die Baugemeinschaft

Das gab es in Erding noch nicht: Zum ersten Mal wollen sich im Südlichen Thermengarten Bürger zusammentun und gemeinsam ein Haus finanzieren, planen und bewohnen. 15 Menschen aus Erding und mit Bezug zu Erding haben sich mittlerweile zusammengefunden, sagt Silvia Rohe. "Ein paar Mutige", seien sie. Die Immobilienfachwirtin ist die Sprecherin der Baugemeinschaft, die sich Pro-Erding nennt. Seit dem vergangenen Donnerstag haben sich die Teilnehmer auch zu einem Verein zusammengeschlossen und sind so auf dem Weg, rechtskräftig auftreten zu können.

Die Idee, eine Baugemeinschaft in Erding zu initiieren, die haben die Grünen in die Bürgerschaft getragen. Am Ende hat die Idee auch der Politik gut gefallen, und so soll das Experiment nun auf einer Parzelle im neuen Baugebiet verwirklicht werden. Wobei: Ganz soweit ist das kleine Grüppchen noch nicht. Sprecherin Rohe sagt, welche Hürden noch zu nehmen sind, bis gebaut werden kann: Im Laufe des Jahres soll feststehen, ob das für eine Baugemeinschaft reservierte Grundstück auch wirklich gekauft werden kann. Derzeit spreche man sich mit der Stadt ab, die das Grundstück aber nicht zu Vorzugskonditionen verkaufen dürfe. Dann wisse man auch, wer am Ende wirklich mitmacht, so Rohe. "Mein Leitspruch ist: Man kann bei denen sicher sein, die beim Notar dabei waren", lacht die Immobilienexpertin.

Das Gebäude wird dann von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gebaut, zu der sich die Baugemeinschaft zusammenschließt. Da kein Bauträger zwischengeschaltet ist, entfallen diese Kosten. Der Grünen-Stadtrat und Erdinger Wohnreferent Herbert Maier sagt, dass manche Baugemeinschaften in anderen Städten damit werben, bis zu 25 Prozent der Kosten sparen zu können. So weit will Maier nicht gehen, er schätzt, dass man wie im Erdinger Fall, wo ohne eine Generalplaner gearbeitet wird, aber bis zu 15 Prozent einsparen könnte.

SZ-Grafik; Quelle: Stadt Erding; Foto: Google Earth Pro (Foto: SZ-Grafik; Quelle: Stadt Erding; Foto: Google Earth Pro)

Die Mitglieder der Baugemeinschaft bilden nun Teams und diskutieren, was sie wie verwirklichen wollen; hier stehe man noch ganz am Anfang, sagt Rohe, aber man habe sich wohl schon darauf geeinigt, mit Ziegeln zu bauen. Die äußere Gestaltung sei dann ein Entwicklungsprozess. Wichtig sei allerdings, dass das Gebäude Flexibilität und Variabilität bietet, damit jeder sich seine Wohnung einrichten kann, wie er will. "Jeder bekommt seine eigene Wohnung, jeder bekommt seine eigene Türe", so Rohe, aber selbstverständlich gehe es bei Baugemeinschaften eben auch um die Gemeinschaft - dementsprechend werden auch Gemeinschaftsräume geplant oder zum Beispiel eine kleine Gästewohnung, die allen Bewohnern zur Verfügung steht.

"Die beste Altersvorsorge ist eine schuldenfreie Immobilie", zitiert Rohe den Erdinger Oberbürgermeister Max Gotz und ruft Interessierte dazu auf, sich bei ihr zu melden (Telefon 08122/900 706 oder baugemeinschaft-pro-erding@web.de). "Ich bin gespannt, ob es klappt", sagt Rohe, denn sicher ist das noch nicht - der Bauplatz könnte theoretisch auch an eine andere Baugemeinschaft gehen, die Stadt erarbeitet dazu offenbar gerade einen Kriterienkatalog. Wie Stadtrat Maier sagt, habe er auch schon ein Angebot aus München im Internet entdeckt, in dem ein Projektentwickler Teilnehmer an einer Baugenossenschaft sucht.

Gute Chancen aber wird wohl die Erdinger Baugemeinschaft haben, schließlich sind hier explizit Bürger aus Erding dabei. Klappt das Projekt, glaubt Rohe, könnte die Idee in der Stadt - wie seit Jahrzehnten schon in anderen Teilen der Republik - Schule machen. "Man muss nur einmal anfangen und Mut haben", sagt sie.

Der Landkreis

Am Thermengarten werden auch Sozialwohnungen entstehen - und zwar gar nicht wenige. Zwei Flächen im Norden und im Osten sind für die Wohnungsbau- und Grundstücksgesellschaft im Landkreis Erding (WBG) reserviert, sieben Gebäude sind im Vorentwurf zum Bebauungsplan eingezeichnet. Geschäftsführer der Gesellschaft ist Mathias Vögele, der auch die Fischers Stiftung leitet. Noch, sagt er, stecke das Projekt in der Vorprüfung. Bald soll der WBG das Grundstück übertragen werden, und wenn "alle sonstigen Voraussetzungen" erfüllt sind, könne es schnell losgehen mit der Feinplanung und im Frühjahr in einem Jahr könnte man mit dem Bau schon beginnen. Die Bauverwaltung hat kürzlich dem Stadtrat mitgeteilt, dass man damit rechne, dass der Bebauungsplan bis zum Ende des Jahres rechtskräftig sein soll. Wer also jetzt schon plant, der kann darauf hoffen, dass seine Bauanträge zügig genehmigt werden und bald mit dem Bau begonnen werden kann - sobald die Infrastruktur angelegt ist.

Für die Landkreis-Gebäude im Norden wurde im Stadtrat einmal eine Zahl von ungefähr 70 Wohnungen genannt, noch einmal so viele könnten es im Nordosten werden. Geschäftsführer Vögele will aber noch keine Zahlen nennen, auch ist noch nicht klar, welche Wohnungstypen benötigt werden. Nur dass es eine Tiefgarage geben wird, davon geht Vögele aus.

Und dass die Wohnungen natürlich günstig sein werden. "Im Rahmen des Satzungszweckes", so Vögele, sollen die Mieten deutlich unter dem üblichen Mietzins liegen. Die Wohnungsbau- und Grundstücksgesellschaft war in den 90er-Jahren mit dem Ziel gegründet worden, preisgünstige Wohnungen zu errichten. 17 der 26 Landkreisgemeinden sowie der Landkreis haben sich in der WBG zusammengeschlossen. Derzeit betreut die Gesellschaft circa 140 Wohnungen. 2006 wurde die WBG letztmals bei einer Wohnanlage an der Karlsbader Straße in Erding tätig. Im Landkreis gab es 2015 nur noch rund 670 Sozialwohnungen, 1990 waren es 1800 Wohneinheiten gewesen. Die Zahl könnte jetzt, mit dem großen Bauprojekt am Thermengarten, wieder deutlich steigen.

Die Baugenossenschaft

Es ist keine Überraschung: Noch immer ist die Liste von Wohnungsinteressenten bei der Erdinger Baugenossenschaft lang. "Das reißt nicht ab", sagt Matthias Lindmayer, der Vorstand der Genossenschaft, die als Verein organisiert ist. Für das Projekt der Baugenossenschaft im Thermengarten gibt es aber noch keine Liste. Die Baugenossenschaft, die in Erding derzeit ungefähr 370 Wohnungen besitzt, wird sich aber dort betätigen. Auch sie denkt nicht klein: Rund 63 Wohnungen sollen in der Mitte der Anlage entstehen, in wahrscheinlich zwei dreigeschossigen und einem zweigeschossigen Wohnriegel, die um einen Innenhof gruppiert sind. Einen Wohnungsmix wünscht man sich, entstehen sollen aber möglichst viele Vier-Zimmer-Wohnungen; denn an denen, so Vorstand Lindmayer, fehle es besonders.

Silvia Rohe spricht für die Baugemeinschaft. (Foto: Privat)

Unter all den Bauträgern im Thermengarten ist die Baugenossenschaft wohl schon am Weitesten mit der Planung. Die Vorsitzende des Aufsichtsrates, Eva Kolenda, sagt, dass das Grundstück der Baugenossenschaft von der Stadt Erding im Erbbaurecht überlassen wird. Auch eine interessante architektonische Besonderheit hat man sich schon einfallen lassen: Das Gebäude wird weder einen Keller noch eine Tiefgarage im ursprünglichen Sinn bekommen, sondern es wird aufgeständert. Autos werden darunter parken können. Sobald Baurecht besteht, könne zügig gebaut werden, so Lindmayer, nach eineinhalb Jahren Bauzeit könnten schon die ersten Mieter einziehen - möglicherweise im Jahr 2020.

Sie werden zu guten Konditionen wohnen können. Der Mietpreis wird, wie bei Baugenossenschaften üblich, gedeckelt. "Neun Euro für den Quadratmeter war der Wunsch", so Lindmayer. Der durchschnittliche Mietpreis in Erding liegt derzeit im Bereich von 11,50 Euro. Allerdings, das sagt Lindmayer auch, könne noch viel passieren, bis die ersten Mieter einziehen. Er blickt auf die Zinsentwicklung: In den USA sei das Zinsniveau schon angehoben worden, ein Schritt, den er auch hier mittelfristig erwartet - die Zeit drängt also.

Die Einheimischen

Auch für den durchschnittlichen Erdinger soll im Baugebiet Platz sein, in Reihenhäusern an der Straße, aber hinter einem Damm. Als es im vergangenen November dem Stadtrat vorgestellt wurde, sprach Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) davon, wieder ein Einheimischenmodell anbieten zu wollen. In der Stadtratssitzung sagte Gotz aber auch, dass außer an der Schillerstraße in keinem einzigen Fall gelungen sei, die Grundstücke eines Einheimischenmodells in einem überschaubaren Zeitraum zu verkaufen.

Allerdings herrscht mittlerweile, im Gegensatz zum vergangenen November, endlich Rechtssicherheit. Lange war nicht klar, ob eine Bevorzugung von Einheimischen, denen die Stadt bei diesem Modell Bauland vergünstigt weiterverkaufen würde, mit EU-Recht vereinbar ist. Mittlerweile ist es das: Das Bundesbauministerium und der Freistaat Bayern haben sich mit der EU-Kommission auf angepasste Kriterien geeinigt: Für das Modell kommen Bewerber in Betracht, deren Vermögen und Einkommen bestimmte Obergrenzen nicht überschreitet. Bei der anschließenden Punkteverteilung kann dem Kriterium der "Ortsgebundenheit" bis zu 50 Prozent Gewichtung beigemessen werden. Derzeit, so sagt der Baureferent Maier, würde die Stadtverwaltung an einem solchen Kriterienkatalog für das Einheimischenmodell feilen.

All das ist allerdings noch Zukunftsmusik. Bis wirklich gebaut wird im Südlichen Thermengarten, wird noch ein wenig Zeit vergehen. Es kann noch einiges passieren, etwa wenn die Archäologen mit ihren Grabungen anfangen. Denn viele Bauträger, die mit der SZ gesprochen haben, fürchten sich vor einer Sache: Dass man zwischen Therme und Sigwolfstraße ein zweites Kletthamer Gräberfeld findet - und sich der Zeitplan nach hinten verschiebt.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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